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- Fotos: Barbara Enders

08.07.13 - REGION

"Petticoat und Elvistolle" - Zeitreise 50 Jahre zurück bei Fladungen Classics

Ein schickes gepunktetes Kleid mit voluminösem Glockenrock, spitze Pumps und zur kunstvollen Locke geschwungener Pony zur Hochfrisur – das richtige Outfit für die Dame, die sich einen vergnüglichen Nachmittag bei den Fladunger Classics gönnt. Ihr Begleiter trägt eine coole Sonnenbrille und hat die Haare mit viel Pomade zur Tolle geformt. Die wettermäßig besten Tage des Jahres, wie es ein Besucher ausdrückt, haben sich die Fladunger für ihr Fest ausgesucht.Bei der Anreise über die Hochrhönstraße bedauere ich es ungemein, dass ich kein Caprio fahre, denn das hätte alles noch getoppt, so müssen die weit geöffneten Fenster die Oben-Ohne-Fahrt suggerieren.

Bei der Einfahrt nach Fladungen lockt ein Süßigkeitenstand vor der Grenzlandhalle mit seiner Optik, drinnen erwartet mich eine riesige Modelleisenbahn. Welch´ eine Freude, die Landschaften der Anlage und die darin dekorierten Figuren wirken wie aus den Sechzigern! „Ja", erklärt mir Herr Dederich aus Göppingen, der die 400 km lange Anreise nicht scheute, um mit seinen Freunden der Eisenbahnfreunde Mellrichstadt eine der größten Spur-1-Anlagen Deutschlands zu präsentieren, „wir haben das schon alles auf das Thema der Classics abgestimmt"!Am Maulaffenturm beginnt der echte Trubel! Ein Wahnsinn, was die Bürger des Rhöner Städtchens und seiner Ortsteile alles auf die Beine gestellt haben. Gleich hinter dem Turm ist das Riesenrad aufgebaut, alle Straßen und Gassen sind mit alten auf Hochglanz polierten Autos und Motorrädern zugeparkt, dazwischen drängen sich die Besucher, fachsimpeln, fotografieren, lassen sich fotografieren. Wer sich so toll hergerichtet hat, wie viele der jungen Mädchen, kann den Fotografen einfach nicht entgehen. Ein paar Meter weiter steht der der blau-weiße Chevrolet der Familie Simon aus Bad Neustadt. Anita Simon stellt Knabberzeug und Getränke auf den kleinen Nierentisch am Gehsteig. Ihr Outfit hat sie auf die Farbe des Impala, Baujahr 1959, abgestimmt.

Stan Laurel und Oliver Hardy laufen mir über den Weg und lassen sich willig fotografieren. Gegenüber ruht sich gerade der Fahrer einer Isetta aus, das Innere des Winzlings ist sogar mit Teppichen ausgelegt.Ein VW-Bus mit Pritsche und riesigen Lautsprechern auf dem Dach kündigt die Vorstellung der Vespa-Akrobaten an. Die Münchner Verspa-Freunde machen die abgesperrte Ludwigsstraße zur Artistenarena. Mit ihren originalen Vespas führen sie Kunststücke vor, die dem Zuschauer bis zum Schluss staunende „Ah´s" und „Oh´s" entlocken. Bei jeder Fahrt steigert sich die Zahl der Mitfahrer, dann die der Fahrzeuge, die durch die Körper der Akrobaten miteinander verbunden sind und bilden zum Ende hin einen Zug aus drei Vespas, die durch ihre Füße mit dem vorderen und die Hände mit dem hinteren Fahrzeug verbunden sind. Die Vespa-Freunde legen Wert darauf, dass ihre Fahrzeuge Originale sind, wie man sie vor 50 Jahren im Laden kaufen konnte und ebenso ist ihre Akrobatik an die der Artisten aus den 1950er Jahren angelehnt. Zum Abschluss springen sie durch einen brennenden Reifen.

Außerhalb der Stadtmauer ist der Campingbereich. „Schauen sie ruhig mal rein", fordert mich die nette Besitzerin eines klitzekleinen Wohnwagens auf. Damit fährt die Familie heute noch ab und zu in den Urlaub. Die Inneneinrichtung ist ein Schock für die Augen, große laute Muster, wie es halt damals modern war. Starfotos bedecken die wenigen freien Flächen der Wände.Durch einen kleinen Durchgang der Stadtmauer gelange ich wieder in den Innenstadtbereich.

Hier, hinter dem Rhönmuseum sieht es noch etwas unordentlich aus, da das Gebäude noch in den letzten Zügen seiner Renovierung liegt. Der Lärm drängt die Frage auf, ob dort sogar am Festwochenende der „Classics" gearbeitet wird. Erich Schmitt aus Dipbach bei Würzburg bedient einen riesigen Betonmischer und grinst breit unter seinem Arbeitshütchen. „Na klar, in einer halben Stunde geht es wieder los"! Auch die hier aufgebauten Baumaschinen haben schon einige Jahre auf dem Buckel. „Mit dem Baukran wurde noch vor zwei Wochen ein Haus aufgerichtet", erklärt Andreas Hoch.

Der Fladunger, im Öl verschmierten Doppelripp-Unterhemd und Hosenträgern ist einer der vier Hauptorganisatoren der Faldungen Classics und freut sich sichtlich über das Interesse. Er erzählt von seinen Bemühungen den 60er-Jahre -Star Gus Backus zu engagieren, der als einer der absoluten Stars der Classics gilt. Backus lehnte erst ab, was er denn überhaupt dort auf der Bühne machen sollte, fragte er Hoch. „Na, dreimal zwanzig Minuten auf der Bühne die Leute unterhalten und noch ein bisschen was singen, habe ich ihm erklärt"! Die Überredungskünste haben gewirkt und aus den Lautsprechern schallt die Stimme von Gus Backus bis hierher hinter das Museum. Andreas Hoch fügt grinsend hinzu, „scheinbar fühlt sich Gus Backus wohl, er ist nun schon fast einer Stunde auf der Bühne und hört immer noch nicht auf".

Und wirklich, vor der Bühne drängen sich die Zuschauer und Fans, als Gus Backus erklärt, dass er heute endlich versteht, was er damals auf Deutsch gesungen hat. „Heute beherrsche ich eure Muttersprache, wie ihr die meine beherrscht"! Und als er die „Bohnen in die Ohr´n" ohne Musikbegleitung singt, unterstützt ihn der Chor seiner Fans. Und ohne die typischen Autogrammkarten signiert und verteilt zu haben, darf er nicht abgehen. Den Nachmittagskaffee nehme ich stilvoll im „Cafe Vergissmeinicht" aus einer Sammeltasse, die aus zartem Porzellan und so flach geformt ist, dass es schon eine Kunst darstellt, den Kaffee beim Trinken nicht zu verschütten. Gegenüber sitzt mir eine junge Schönheit, die wohl im Kleiderschrank ihrer Großmutter ein Kleid gefunden hat. Einen silbernen Klappspiegel in der Hand haltend, zieht sie sich die sorgfältig die roten Lippen nach. Beim Bummel durch die Gassen vergeht der Nachmittag wie im Flug. Unzählige Flohmarktstände sind in den Seitengassen aufgebaut. Dazwischen gibt es auch Neues, aber den größten Zulauf haben die Verkäufer der Klamotten aus den 60ern, dazwischen gilt es Schätze aus dem Schallplattenfundus eines Händlers zu heben, sogar alte Jukeboxen gibt es zukaufen.

Dazwischen ein Stand mit Softeis, daran komme ich einfach nicht vorbei, wenn es auch einige Minuten dauert, bis ich in der langen Schlange bis zur Eismaschine aufgerückt bin. Im Scheunenkino laufen Werbespots und Kurzfilme. Zur Erfrischung gönne ich mir eine Libella, Kultgetränk der damaligen Jugend. Am Milchpilz gibt es nicht nur Milch, sondern auch einen Martini im schicken Cocktailglas. Die Tankstelle nebenan erinnert viele Junggebliebene an ihre Kindheit, auch beim Auftritt von Gus Backus raunen mir einige Nebenstehende zu, „mit der Musik sind wir aufgewachsen – und jung geblieben"! Die Tankstelle, man mag es nicht glauben, wird nach den Classics wieder in den Lagerhallen verschwinden, mitsamt der Zapfsäulen und dem Tankwärterhäuschen. Langsam, aber nur ganz langsam dämmert es über Fladungen, an diesem herrlichen warmen Sommertag denkt keiner ans Nachhause gehen. Auch die Speisen und Getränke sind auf die alte Zeit abgestimmt. Das Laternenmaß gibt es ebenso zu kaufen, wie den Toast Hawaii und den Käseigel.Als es endlich beginnt dunkel zu werden, ist es soweit! „Die drei von der Tankstelle" flimmern über die Leinwand des Autokinos.

Monika Völker sitzt im schicken blauen Kleid in einem feuerroten Mustang. Ihr Auto kommt nicht nur zu solchen Festen zu Ehren, sie fährt das ganze Jahr über damit spazieren, „aber zu solchen Anlässen kommt schon mal der Petticoat aus dem Schrank". Sie nahm die vierstündige Anfahrt aus Bochum in Kauf und genießt das Fladunger Ambiente. „ Wir waren bereits am Freitagabend hier und haben uns die Show mit Elvis angesehen. Der ist echt gut und man kann toll zur Musik tanzen", schwärmt sie mir vor. Habe ich da was verpasst? Die beiden großen alten Filmvorführmaschinen schnurren leise vor sich hin und projizieren das Bild auf die riesige Leinwand. Die Vorführung kommt durch die Unterstützung der Familie Schaufler von den NES-Kinos zustande. Der Seniorchef gibt dem Vorführer noch einige Tipps, daneben füllt ein Helfer Popcorn aus riesigen Säcken in eine Theke, aus der es gleich von schicken jungen Mädchen verkauft wird. Immer noch drängen sich die Vergüngungswilligen an der Kasse des Riesenrades, das mir mit der mittlerweile eingeschalteten Beleuchtung, die aus hunderten von bunten Glühbirnen besteht, den Weg nach Hause weist.+++ara



























































































































































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