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Noch bis voraussichtlich 2012 bleibt Özgür D. in Haft. - Fotos: Hans-Hubertus Braune

29.03.11 - HÜNFELD

Karge lange Gänge lassen jedes kleinste Geräusch wiederhallen, schwere Eisentüren unterbrechen die schmucklosen Wände, Sonnenstrahlen fallen durch vergitterte Fenster auf den Flur und vermischen sich mit dem fahlen Licht der Neonröhren. Es ist still am Donnerstagvormittag in der Justizvollzugsanstalt Hünfeld. Viele der Insassen sind um diese Zeit in den Werkstätten, den Produktionshallen oder der Küche des Gefängnisses unterwegs, um zu arbeiten. Sie übernehmen die Frühschicht, die um 6.50 begonnen hat. Zuvor wurden die Gefangenen per Lautsprecher geweckt. Wenn am Morgen die Hafträume durch einen Justizvollzugsbeamten aufgeschlossen werden, um das Frühstück zu verteilen, ist das zugleich die sogenannte "Lebendkontrolle", die hier Morgen um Morgen bei bis zu 507 Strafgefangenen durchgeführt wird. „Kein schönes Wort“ findet Anstaltsleiter Philipp Gescher. „Doch die Maßnahme ist wichtig, schließlich haben wir eine Verantwortung für die Gefangenen.“ Ein menschenwürdiger Strafvollzug steht für ihn an erster Stelle. „Das Leben in Haft ist nicht zu unterschätzen. Freiheitsentzug ist eine enorme Einschränkung. Eine unserer Aufgaben ist es, die Zeit der Inhaftierten hier im Gefängnis möglichst menschenwürdig zu gestalten und ihnen einen Ausgleich zu bieten, um mit der Situation umgehen zu können.“ Der Tag der Gefangenen wird bestimmt durch die Arbeit, die Mahlzeiten und die Freistunden.

Grundsätzlich besteht in der JVA Arbeitspflicht, der immer größer werdende Anteil an über 65jährigen Insassen führt allerdings dazu, dass längst nicht alle Gefangenen einer Arbeit nachgehen. In den Produktionshallen fertigen die Häftlinge Produkte für Unternehmen aus der freien Wirtschaft. In eigenen Werkstätten werden halbjährige Ausbildungsgänge angeboten, die erste Schritte hin zu einem Berufsabschluss bieten können. Die wenigsten Häftlinge führen die Ausbildung nach Entlassung fort. Wer nicht in den Werkshallen beschäftigt ist, findet in der Küche oder im Reinigungsteam der JVA Arbeit. Ein Teil des hier verdienten Geldes wird als Rücklage für die Zeit nach der Haft zurückbehalten, der Rest steht den Häftlingen für Einkäufe im Laden des Gefängnisses zur Verfügung. Ob Schokolade, Tabak oder die Zutaten für die Zubereitung eines eigenen Mittagessens, der Laden bietet den Häftlingen ein kleines Stück Freiheit und die Möglichkeit, selbst auszuwählen.

„Manchmal schmeckt das Essen nicht, dann macht man sich eben selber was. Aber andererseits ist das ja hier auch kein Wunschkonzert“, erklärt Özgür D. lächelnd. Seit Mai sitzt er wegen Betrugs im Gefängnis. Bis 2012 wird er voraussichtlich ein Leben hinter dicken Mauern führen. Auch wenn die JVA Hünfeld als modernstes Gefängnis Hessens technisch der Sicherheitsstufe eins entspricht, gilt sie als Kurzstrafenanstalt der Sicherheitsstufe zwei. Durchschnittlich verbringen die Gefangenen hier zwischen acht und neun Monaten, der Wechsel in der Belegung der Hafträume ist hoch. Einige der Straftäter sitzen jedoch durchaus bis zu drei Jahren ein. Zumeist wurden die hier Inhaftierten in Hessen verurteilt, wegen Betrugs, Raub, Körperverletzung und Drogendelikten.

Jeweils 50 Insassen teilen sich auf einer Station die Gemeinschaftseinrichtungen wie Dusche, Essensraum und Gemeinschaftsraum. Die vielen Türen an langen Fluren stehen während der Freizeiten offen. In diesen knapp zwei Stunden am Tag, können sich die Häftlinge frei auf der Station bewegen. „Man spricht viel von Freundschaften, aber ich hab hier ein, zwei Leute kennengelernt, die sind mittlerweile wieder gegangen. Man sagt, man schreibt sich und hält Kontakt nach der Haft, aber das passiert nicht. Man versteht sich in der Zeit hier ganz gut, aber eigentlich ist es keine richtige Freundschaft. Je länger ich hier bin, umso öfter bin ich allein“, erzählt Özgür D. Bei den Kursangeboten, die den Gefangenen zur Freizeitgestaltung zur Verfügung stehen, ist Sport ist ein zentrales Thema. Die eigene Sporthalle und der Kraftraum sind im Gegensatz zu vielen anderen Kursangeboten zumeist gut ausgelastet. Die Zeit, die jeder Einzelne hier verbringen darf, wird genau eingeteilt. „Dieser physische und seelische Ausgleich ist wichtig. Wer hier in irgendeinem Sinne von Wellness redet, weiß nicht, wovon er spricht“, betont Anstaltsleiter Gescher. Organisation spielt in der JVA eine wichtige Rolle, jeder Gefangene hat einen Plan, der seinen Tag strukturiert. Zwei Mal im Monat ist Besuch erlaubt, jeweils für eineinhalb Stunden kann hier „der Kontakt zur Außenwelt gepflegt“ werden.

„Was mich am meisten beschäftgt ist, dass ich nicht nur mir weh getan hab, sondern vor allem meiner Familie da draußen“, resümiert Özgür D. „Was ich gemacht habe, war falsch. Und immer wieder denke ich darüber nach, habe ich die Bilder vor Augen, und die Sehnsucht nach meiner Familie.“ Wären seine Gedanken sichtbar, wäre der kleine Haftraum sicher voll davon. „Vor allem die Wochenenden, an denen man nichts zu tun hat, sind schlimm. Und auch nachts, wenn man nicht schlafen kann, denkt man nach. Immer wieder. Und es macht trotzdem keinen Sinn.“ Ein kleines Bett, ein schmales Regal und ein kleiner Tisch passen in die Zelle hinein. Die Toilette und ein Waschbecken befinden sich separat einmal um die Ecke. Viele private Sachen hat der Frankfurter hier nicht. „Das will ich nicht“, erklärt er. Zu viele Erinnerungen seien damit verbunden. „Es gibt Leute, die sagen ’ich geh jetzt in meine Zelle’, ich sag das nicht. Ich seh das nicht als mein eigenes an.“ Neben dem Tabak und dem Kalender steht ein kleiner Fernseher auf dem Tisch. Die Gefangenen empfangen hier alle frei zugänglichen Kanäle. Auch die Spielekonsolen in den Gemeinschaftsräumen sind beliebt. Hier dürfen allerdings nur ältere Modelle genutzt werden. „Alles was mit Fachkenntnis zu einem PC umgebaut werden könnte, ist nicht erlaubt“, erklärt Philipp Gescher, der erst in diesem Jahr die Leitung der Anstalt übernommen hat.

Seit 2005 gibt es die JVA in Hünfeld. Als erstes Gefängnis in Deutschland ist sie eine teilprivatisierte Anstalt. Alle Arbeiten in der JVA, die dem staatlichen Gewaltmonopol unterliegen, werden entsprechend von 117 staatlichen Kräften übernommen. Andere Bereiche wie der Sozialdienst, die psychologische Betreuung, der ärztliche Dienst oder bestimmte Sicherheitsdienste besetzen 97 private Kräfte des Unternehmens SERCO. Damit startete vor knapp sechs Jahren ein Pilotprojekt, das schon im Vorfeld für heftige Diskussionen gesorgt hatte. Der Ort, an dem das Gefängnis errichtet werden sollte, war umstritten, neben Hünfeld war Schlüchtern und Schwalmstadt-Ziegenhain im Gespräch. Bürgerinitiativen äußerten ihrem Unmut über die geplante Anstalt und malten Horrorszenarien von brutalen Ausbrechern und gefährdeter Sicherheit. Letztendlich bot man der Stadt, die der Anstalt den zukünftigen Standort bieten würde, 5 Millionen Euro an. In Hünfeld wurde die JVA nun zu einem bedeutendem Arbeitgeber in der Region, für die Häftling zu ihrem Alltag hinter Gittern. Auch wenn das Gefängnis eine der modersten Justizvollzugsanstalten ganz Deutschlands ist, so bleibt das Leben in Unfreiheiheit und in der Enge der Gefangenschaft. "Ich schaue eigentlich kaum aus dem Fenster in die Freiheit", erklärt ein Häftling. "Hier drinnen und da draußen, das sind zwei völlig unterschiedliche Welten."

Sehen sie dazu eine 8-minütige Videodokumentation von Patricia Kümpel und Dennis Schmelz, einfach auf den Videolink oben rechts klicken. (pakü) +++


ON-Kameramann Dennis Schmelz fängt Eindrücke aus der JVA ein.



ON- Redakteurin Patricia Kümpel im Gespräch mit dem Leiter der JVA Hünfeld, Dr. Philipp Gescher (l.) und dem seit über 30 Jahren im Vollzug beschäftigten Beamten Berthold Stock (2.v.r.).


In den Werkstätten können die Gefangenen ein halbes Jahr lang erste Fertigkeiten für einen Beruf erlernen.




Der bei den Insassen besonders beliebte Kraftraum.

Körperlicher Ausgleich ist für das eingeschränkte Leben in Haft besonders wichtig.



Özgür D. im Haftraum. Er bezeichnet ihn nicht als "seine Zelle".








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