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Wieviele Puten verträgt ein Ort oder eine Region? In Ebersburg-Thalau sollen Mastställe für bis zu 15.000 Tiere entstehen - und dagegen regt sich massiver Widerstand

(v.li.): Karsten Fries (Bürgerinitiative), Landrat Bernd Woide, Bürgermeisterin Brigitte Erb und Moderator Reiner Ickler (FZ). - Fotos: Zak Gerauer

25.04.08 - Thalau

Mehrheit dagegen! Entscheiden Gerichte über umstrittene Putenmastställe?

Weitgehend sachlich wurde gestern Abend in der Mehrzweckhalle von Ebersburg-Thalau über ein Thema diskutiert, das seit Wochen die Gemüter in der Region erregt. Es geht um den Neubau von Putenmastställen, gegen den zahlreiche Bürger Sturm laufen. Sie wollen, dass die verantwortlichen Politiker dies verhindern. Doch beim gestrigen FZ-Forum mit etwa 400 Gästen entlud sich die aufgeheizte Stimmung während der zweieinhalbstündigen Veranstaltung in nur wenigen persönlichen Vorwürfen und führte auch zu einigen wiederholten Fragestellungen. Im Kern bleibt es aber bei dem Graben zwischen den Gegner der Ställe und deren möglicherweise zukünftigen Betreibern, viel neues und Erhellendes oder Versöhnendes gab es nicht.

Dazwischen, quasi im Graben, die Gemeindeverwaltung und der Landkreis in der Rolle der rechtlichen Prüf- und Genehmigungsinstanz. Da sich deren Rolle aber tatsächlich nur auf baurechtliche Aspekte konzentrieren darf, geht Landrat Bernd Woide (CDU) davon aus, dass letzlich Gerichte über den Bau der Ställe zu entscheiden haben. Auf dem Podium Regina Krista von der Betreiberfamilie, Dr. Hans Unbehauen (SPD Ebersburg), Christoph Weichlein (CDU Ebersburg), Brigitte Erb (Bürgermeisterin Ebersburg), Bernd Woide (Landrat / CDU), Reineer Ickler (Moderator/FZ) und Karsten Fries (Bürgerinitiative).

Regina Krista (Betreiberfamilie der Ställe, auch 2. Vorsitzender im Fremdenverkehrsverein Ebersburg) führte die Beweggründe zur Planung der Putenmastanlage als wirtschaftliche Notwendigkeit auf, um Ihren Hof als Ertragsquelle für 2 Familien/Generationen betreiben zu können. Die allgemeine Situation in der Landwirtschaft (z.B. sinkende Milchpreise) und die Erfahrung mit Geflügel (20 Jahre würden bereits Gänse und Puten gezüchtet) legten die Grundlage für die Selbständigkeit des Hofnachfolgers. Eine Öko-/biologische Mast sei zwar wünschenswert, jedoch regional nicht tragfähig und ausserdem erzeugten auch Bioputen Mist. Verhandlungen, u.a. mit der supermarktkettetegut... hätten eine zu geringe Abnahmemenge ergeben. Diese werde dem notwendigen Ziel einer Vollerwerbslandwirtschaft nicht gerecht. Alternative Standorte habe man geprüft und wäre grundsätzlich auch bereit gewesen dort zu bauen.

Erstaunt zeigte sich Frau Krista, dass der Vorsitzende der Bürgerinitiative noch keinen Putenmaststall persönlich begutachtet habe, aber auch, dass eine von ihr arrangierte Infofahrt zu einem solchen Mastbetrieb nur auf verhaltenes Echo in Thalau gestoßen sei. Sie fühle sich teilweise von der Büberinitiative "verfolgt" und entschuldigte sich gleichzeitig für die in einem Internetforum aufgetauchten Äusserungen Ihres Sohnes. Selbige stießen laut Wortmeldungen aus dem Publikum nicht nur in der Bürgerinitiative sauer auf, sondern ließen Zweifel an der menschlichen Verantwortung des Hofnachfolgers für bis zu 15.000 Tiere und der damit für die Anwohner möglicherweise verbundenen Gefahren aufkommen. Krista prangerte die Kürzungen im Tourismusbudget der Gemeinde Ebersburg an und führte aus, dass der Tourismus hier als vorgeschobene Begründung gegen die Ställe herhalten müsse. Sie sei in Ebersburg selber eine der größeren Anbieter von Ferienwohnungen und die Gäste zeigten durchaus Verständnis für Landwirtschaft und auch für die Mastställe.

Karsten Fries (1. Vorsitzender Bürgerinitiative) nannte viele Bedenken gegen die Ställe auf und summierte diese als mögliche gesundheitliche, touristische und wertliche Einbußen der Ebersburger Bevölkerung durch die Mastanlagen. Unvollständige Antragsunterlagen hätten eine Chance zur Ablehnung schon auf kommunaler Ebene geboten und auch sonst entstünde bei der Bürgerinitiative (BI) der Eindruck, man spiele auf Seiten der Gemeinde und des Landkreises auf Zeit. Die Bürgerinitiative behalte sich weitere Rechtsmittel vor und möchte diese "im Sinne der Bürger auch ausschöpfen". Dafür bekam er "tosenden Applaus". Da die Bürgerinitiative nicht aus Juristen bestehe, lerne man täglich hinzu und wünschte sich, dass die Ausführungen von Landrat Woide zum Thema „Privilegiertes Bauen“ früher gekommen wären.

Massiv angegangen wurde Christoph Weichlein (CDU Fraktionsvorsitzender Ebersburg) für die Abstimmung gegen den Beschluß der Gemeinde (der sich gegen den Bau aussprechen sollte). Dieser stellte jedoch mehrfach klar, dass es weder einen Fraktionszwang gegeben habe, noch dass Kollegen hinsichtlich einer Entscheidung anderweitig beeinflußt worden wären. Weichleins Präsentation gestern Abend wurde von den Fragestellern aus dem Publikum als selbstherrlich empfunden und angeprangert. Sprüche wie „Wir entscheiden, wo es langgeht“ gehörten sich in diesem Zusammenhang einfach nicht.

Weichlein verwies auf die bereits im Vorfeld stattgefundenen Gutachten, die den aktuellen Standort (Ochsentreiberweg, an der Bundesstraße zwischen Thalau und Schmalnau, auf der Seite zum Ortsteil Ried) als passendes Grundstück auswiesen würden. Die Familie Krista hätte rechtlich die Erlaubnis dort zu bauen und eben nach dieser Gesetzeslage habe die CDU ihre Stimme abgegeben. Diese "Gewissensbegründung" wurde sogleich mit einem lauten Buh-Ruf des Publikums quittiert. Auch wurde der Einwand eines SPD-Kreistagsmitgliedes laut beklatscht, der Weichlein fragte, wie er den Scherbenhaufen wieder beseitigen wolle, den er mit dieser "CDU-Abstimmung" angerichtet habe.

Als Biologe kritisierte Dr. Hans Unbehauen (SPD Ebersburg) die Widersprüchlichkeit des Biosphärenreservates Rhön mit seinen Anforderungen an nachhaltige Landwirtschaft mit der nun aufkommenden Agrarindustrie der Putenmastställe. Er sehe inhaltlich doch Verstöße gegen das Baugesetzbuch und rechtfertigte mit dem Ausgang und der Art der letzten Sitzung des Bauausschußes die Anrufung des Kreises zur rechtlichen Prüfung.

Dass die Gemeinde bauliche Fragen an den Bauauschuß delegiere und von daher schon das richtige Gremium abgestimmt habe, betonte einmal mehr die Bürgermeisterin Brigitte Erb. Auch bestätigte sie die Ausführungen Weichleins, dass der Standort Ochsentreiberweg in der Planung der beste Kompromiss gewesen sei. Massentierhaltung und auch die Mast seien nicht verboten und so könne eine Kommunalverwaltung nur bei baurechtlichen Verstößen eine Zustimmung zum Bau der Ställe verweigern. Im Gegenteil habe sich die Bürgermeisterin durch die Wahl des aufwendigeren und ausführlicheren Bauleitverfahren zu einer detailierteren (längeren) Begutachtung dieses Bauvorhabens entschieden. Im laufenden Verfahren stünden der Kommune nun nur rechtliche Bewertungen zu, eine politische Steuerung sei hier weder möglich, noch erlaubt. Erb erklärte, sie habe sich Putenmastställe inzwischen mehrfach angesehen und keine Geruchsbelästigung festgestellt – in einem Fall sei sogar ein Hofladen integriert gewesen. Auch stünde der Status des Biosphärenreservates wegen der Ställe nicht zur Debatte - auch wenn in der Diskussion mit selbigem Reservat "auffällig oft" argumentiert werde.

Der Landrat des Kreises Fulda, Bernd Woide (CDU) führte als Dienstherr der oberste Baugenehmigungsbehörde im Kreis aus, dass er ebenfalls "nur baurechtliche Aufsicht" habe und in dieser Phase nicht politisch einwirken könne. Eine Baugenehmigung könne nur verweigert werden, wenn öffentlich-rechtliche Belange dagegen stehen würden – eine bloße Beeinträchtigung sei dabei von den Anwohnern hinzunehmen. Würde er politisch wirken oder gar seine persönliche Meinung einbringen, wäre der Entschluß rechtswidrig.

Auf besondere Ablehnung durch das Publikum stieß dabei Woides Ausführung, dass die Gemeinde Ebersburg eine Ablehnung des Einvernehmens in einer 2-Monatsfrist vorzulegen habe. Läge diese nicht vor, sei auch bei Uneinigkeit der Kommune rechtlich von einem erteilten Einverständnis auszugehen. Insgesamt seien die Verhandlungen über den Bau der Putenmastställe das aufwendigste Verfahren des Landkreises (bisher betrug z.B. die Maximalzahl bei Puten in ähnlichen Betrieben nur 1.300 Stück), gleichzeitig dürfe es aber auch nicht als Präzedenzfall gesehen werden. Sollte erkennbar sein, dass es aus diesem Grunde besonders behandelt würde, wäre das Verfahren aber ebenfalls unrechtmäßig. Deshalb würde sehr viel Prüfarbeit investiert, um eine möglichst hohe Rechtssicherheit zu erlangen. Das Individualrecht der Betreiberfamilie sei dabei auch nicht durch die Menge der BI-Mitglieder beeinflußbar. Publikumseinwände gegen ausufernde Agrarindustrie könne er verstehen, müsse aber Bundesrecht vertreten und durchsetzen.

Nach ca. 1 Stunde Statements der Podiumsteilnehmer wurden in der Mehrzweckhalle von Thalau auch Fragen aus dem Publikum zugelassen. Schwerpunktmäßig beschwerten sich viele über die CDU-Abstimmung im Bauausschuß und verlangten immer eine Erklärungen dafür. H. Bug (Ried) gab zu bedenken, dass es sich bei den 15.000 Puten nur um 60 Großvieheinheiten (Milchkühe) handele und meldete Zweifel an, ob dagegen eine Bürgerinitiative vorgegangen wäre. Man würde regelrecht Angst davor haben müssen, dass in Zukunft Bauern aus dem Dorf getrieben würden, hieß es. H. Fries räumte auch ein, dass bei entsprechender Größe und Haltung die Bürgerinitiative auch gegen eine größere Kuhhaltung protestieren müsse. H. Weichlein führte noch aus, dass es einfach widersprüchlich sei, in Zeiten von Lebensmittelknappheit und hohen Preisen eine Mehrproduktion von den Landwirten zu verlangen – diese aber konkret der Familie Krista verweigere werde. Tierschutzrechtliche Bedenken gegen die Putenmassenhaltung müsse wohl Landrat Woide als Bauablehnungsgrund verwerfen, denn da gäbe die Gesetzeslage keine weitere Handlungsvollmacht.

Die Rechtsanwältin der Bürgerinitiative sah keinen solchen Zwang (zur Zustimmung zum Bauvorhaben) wie durch Woide vorgestellt und verwies auf viele Kurorte, die eben keine Mastbetriebe in der Umgebung hätten. Angesprochen wurde von der Bürgerinitiative noch die Angst vor einem „Gülledreieck“ wie in Niedersachsen. Eine Bürgerin machte dann den Vorschlag, dass die Ebersburger sich verpflichten sollten, eine Biopute abzunehmen, quasi im Abonnement.

Genau diesen Punkt, nämlich die regionale Lösung des Problems machte Bürgermeisteirn Erb abschließend zum Thema. Lokale Verhandlungen könnten Lösungen aufzeigen, die auf Kommunal- oder Kreisebene undurchführbar wären. Regionalmärkte wären wünschenswert. Es sei doch eigentlich unnötig, dass etwa trotz zweier großer regionaler Mineralwasserhersteller in der Region in manchem Läden auch noch Wasser von nichtregionalen Produzenten stünde. Landrat Woide meinte abschließend, dass die Ebersburger das Problem letzlich "auch intern lösen müssen, Gespräche führen sollten und so wieder zu einem Miteinander für die Zukunft finden können". (zg). +++


(v.li): Christoph Weichlein (CDU), Dr. Hans Unbehauen (SPD) und Bauherrin Regina Krista.

Massiv angegangen: der Christdemokrat Christoph Weichlein ...


Wortmeldungen u.a. vom SPD-Kreistagsabgeordneten Dr. Strelitz...

Viele Bürgerinnen und Bürger meldeten sich zu Wort....


...doch die Gräben sind scheinbar unüberwindbar...

Deutlich mehr als die Hälfte der 400 Bürger waren gegen die geplante Putenmaststallanlage....

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