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- Archivfoto: Hans Hubertus Braune

FRANKFURT / NIEDERAULA Die Straßenbeiträge im Fernsehen

HR-Intendant Dr. Helmut REITZE weist SPD-Vorwürfe zurück - "Gründliche Recherche"

HINTERGRUND: Nach der Darstellung des HR-Beitrags soll die SPD-Mehrheit im Gemeindeparlament allein über die Beibehaltung der einmaligen Straßenbeiträge entschieden haben. Tatsächlich gab es lediglich zwei Gegenstimmen aus der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen bei vier Enthaltungen. Alle restlichen Gemeindevertreter/innen hatten zugestimmt. Dieses Ergebnis sei falsch dargestellt worden, räumt der HR-Intendant jetzt ein.+++

01.06.15 - Die rund 60 Straßen, die im Gemeindegebiet von Niederaula (Landkreis Hersfeld-Rotenburg) saniert werden, sorgten und sorgen weiter für erhebliche Turbulenzen. Die letztes Jahr beschlossene Straßenbeitragssatzung belastet die einzelnen Haushalte und führt zu erbitterten Debatten über die umgelegten Kosten.

Für Kontroversen sorgte der Hessische Rundfunk mit Beiträgen in seinen Wirtschaftssendungen "defacto" und "M€X". In der letzten Ausstrahlung von "defacto" am 12. April 2015 war die Reporterin Sandra Fiene unter anderem mit Mitgliedern der Initiative Bürger für Niederaula im Gemeindegebiet unterwegs. Auch der Bürgermeister Thomas Rohrbach wurde befragt. Im Beitrag ging es um die Höhe der Beiträge und die Frage, ob die Gemeinde "fein raus sei", da lediglich das Land Hessen und die Anlieger die Straßen- und Kanalsanierungen bezahlen würden. Der Beitrag http://www.hr-online.de/website/suche/home/mediaplayer.jsp?mkey=55087025&type=v&xtmc=defacto&xtcr=54
hat hohe Wellen geschlagen. So hat Niederaulas Bürgermeister Thomas Rohrbach etwa zehn Minuten nach der Sendung eine deutliche Drohung per e-Mail erhalten (unter anderem heißt es in der Mail: "...würde ich Ihnen den Schädel einschlagen...Mögen Sie schnell und qualvoll verrecken"). Die zuständige Kriminalpolizei wurde eingeschaltet.

Niederaulas SPD-Mehrheitsfraktion zeigte sich schockiert über diese Auswirkungen.  Mit "gesunder Streitkultur" habe dies nichts mehr zu tun. Im "defacto"-Beitrag seien einige Dinge völlig falsch dargestellt worden. In einem Brief wandte sich der Fraktionsvorsitzende Bernhard Hirschbrich deshalb an den Rundfunkrat und den Intendanten des Hessischen Rundfunks Dr. Helmut Reitze. In dem Brief heißt es unter anderem: "Aufgrund Ihrer mehr als einseitigen Berichterstattung in den o.g. Sendungen Ihrer Mitarbeiterin Frau Fiene zum Thema Straßenbeiträge in Niederaula sehen wir uns gezwungen, Sie und den Rundfunkrat direkt anzusprechen. Bisher waren wir immer der Meinung, dass der Hessische Rundfunk für Objektivität und sachliche Berichterstattung steht. Dies ist aber nach den beiden Berichten augenscheinlich nicht mehr der Fall."

HR-Intendant Dr. Helmut Reitze reagierte mit einem ausführlichen Schreiben, das wir hier im Wortlaut veröffentlichen:

"Sehr geehrter Herr Hirschbrich,

vielen Dank für Ihre Zuschrift. Darin erheben Sie schwerste Vorwürfe wegen der Berichterstattung zu o.g. Thema in unseren Sendungen „M€X" und „defacto"; bezeichnen sie als „populistisch", „hetzerisch", und beklagen wie „leichtgläubig und zum Teil bewusst falsche Sachverhalte ohne irgendwelche Recherche übernommen werden". Nach sorgfältiger Prüfung der Beiträge kann ich Ihre Kritik nicht nachvollziehen, komme im Gegenteil zu einem ganz anderen Ergebnis.

Beide Beiträge basieren auf einer gründlichen, umfangreichen Recherche. ln dem „M€X"-Beitrag wird verglichen, ob und wie sieben hessische Gemeinden ihre Bürger an der Sanierung und dem Bau von Straßen über Beiträge direkt beteiligen. Als Bilanz heißt es in dem Beitrag zu Niederaula wörtlich:

„Fakt ist: Der Bürgermeister tut das, was das Gesetz verlangt. Wenn die Kommune verschuldet ist, muss sie einen Straßenbeitrag von ihren Bürgern kassieren - immer dann, wenn Straßen richtig saniert, also komplett neu gemacht werden. Bis zu 75 % der Gesamtkosten dürfen dann auf Anlieger umgelegt werden. Kleinere Ausbesserungen dagegen zahlt die Kommune, ihre Bürger bleiben verschont. Die Niederaulaer wollen jetzt kämpfen”.

Selbstverständlich wird an mehreren Beispielen gezeigt, wie hoch die Beiträge sind, dass Rentner ihre Rücklagen für ihr Alter dafür auflösen müssen, eine Familie mit mehreren Kindern Schulden aufnehmen muss. Die Belastung für die Beitragszahler wird weder aufgebauscht noch verschwiegen. Ich habe keine „populistischen" oder gar ..hetzerischen.. Misstöne entdecken können. Die nicht einfache Sachlage wird verständlich aufbereitet und sachlich dargestellt. So auch in der Schlussbilanz des Beitrages. Wörtlich heißt es:

„Das M€X-Fazit: Hessens Kommunen brauchen Geld für notwendige Sanierungen. Keiner will kaputte Straßen. Wenn damit aber Bürger in den finanziellen Ruin getrieben werden, müssen andere Lösungen her. Die Solidarität aller etwa, damit Menschen wieder in Ruhe leben können."

Für den „defacto"-Beitrag komme ich grundsätzlich zu dem gleichen Ergebnis wie bei dem „M€X"-Beitrag. ln Niederaula ist die Autorin Sandra Fiene Fragen nachgegangen, die Bürger der Gemeinde bewegen: Warum werden in Niederaula auf einmal so viele Straßen saniert? Warum müssen die Bürger für die erheblichen Kosten der Straßen- und Kanalsanierungsarbeiten aufkommen? Gibt es Alternativen zu dem Umlageverfahren, das in Niederaula per Satzung festgelegt wurde? Ist es üblich, dass ein Ingenieurbüro die Empfehlungen zu Teil- oder Vollsanierungen von Straßen gibt und dasselbe Büro dann auch für die Sanierung zuständig ist? Warum lassen Bürgermeister und Gemeindevertreter keinen weiteren unabhängigen Gutachter zu? Warum werden so viele Straßen und Kanäle - nach Informationen unserer Reporterin 32 Straßen in drei Jahren - in Niederaula voll- und nicht teilsaniert? Was bedeutet eine Teilsanierung, was eine Vollsanierung für das Portemonnaie des Bürgers?

Der „defacto"-Bericht spiegelt die Diskussion um das Straßen- und Kanalsanierungsprogramms von Niederaula wieder, zeigt, wie erbittert in der Gemeinde über den Umfang und die Notwendigkeit der Sanierungsmaßnahmen gestritten wird. Dazu hat die Autorin sowohl mit Mitgliedern der Bürgerinitiative als auch mit dem Bürgermeister von Niederaula lange Gespräche geführt, hat umfangreiche Unterlagen dazu ausgewertet. Beide Seiten, der Bürgermeister als Vertreter der Gemeinde und die Bürgerinitiative, sind in dem Fernsehbeitrag zu Wort gekommen, konnten zu den wichtigsten Punkten vor der Kamera direkt Stellung nehmen.

Zu Ihren Vorwürfen im Einzelnen:

1. Höhe der Straßenbeiträge
Die Zahlungsbescheide für die betroffenen Bürger lagen zum Zeitpunkt der defacto­ Berichterstattung noch nicht vor. Das wird in dem Beitrag auch ausdrücklich gesagt. Die von Ihnen kritisierten Zahlen wurden durch die Redaktion berechnet. Den Berechnungen liegen die Angaben der Anlieger über die Größe ihres Grundstücks usw. zugrunde und Zahlen, die Bürgermeister Rohrbach selbst auf einer Bürgerversammlung am 19. August 2013 genannt hatte. Die von der Redaktion errechneten Summen beinhalten sowohl Straßenbaubeiträge als auch Umlagen für Wasser, Kanal- und Hausanschlüsse, also die Gesamtkosten, die auf die Bürger zukommen. Wenn Sie und der Bürgermeister auf ganz andere Zahlen kommen, warum hat Herr Rohrbach uns seine Berechnungen nicht vorgelegt? Selbstverständlich hat die Autorin ihn danach gefragt. Gelegenheiten für eine Antwort hat es genug gegeben. Unsere Autorin hat sowohl ausführliche Telefongespräche als auch ein Interview mit dem Bürgermeister geführt. Offenbar gibt es bis heute keine endgültigen Zahlen. Sie selbst schreiben von "ca. 10.000, 19.000 oder 9.000 Euro". Herrn Battenberg z.B. liegt jedenfalls bis heute kein Zahlungsbescheid in Höhe der von Ihnen genannten Summe vor.

2. Fehlende Transparenz sowie Informationsdefizite
Dies wird in dem Beitrag der Gemeinde so pauschal überhaupt nicht vorgeworfen. Allerdings greift die Autorin Fragen und Anregungen der Bürgerinitiative zum Verfahren auf: Warum müssen in Niederaula auf einen Schlag sehr viele Straßen vollsaniert werden und dadurch die Bürger mit den erheblichen Kosten belastet werden? Warum weigert sich die Gemeinde ein zweites unabhängiges Gutachten in Auftrag zu geben, um zu prüfen, ob Kanäle und Straßen lediglich teilsaniert und nicht komplett erneuert werden müssten? Dies ist ja wichtig für die Kostenverteilung. Und warum wird dasselbe Ingenieurbüro, das eine Empfehlung über den Umfang der Sanierung abgibt, auch mit der Sanierung selbst beauftragt? Die Bürgerinitiative sieht die Gefahr der Selbstbedienung und verlangt deshalb ein unabhängiges Zweitgutachten.

Die Autorin hat den Bürgermeister direkt mit diesen Fragen konfrontiert. Er hat dazu auch vor der Kamera Stellung genommen und ein Zweitgutachten ausdrücklich abgelehnt. Das Vorgehen von Frau Fiene entspricht gängiger journalistischer Praxis. Ich sehe keinen Grund, dies in irgendeiner Form zu beanstanden.

3. Abstimmungsverhalten im Gemeindeparlament
In diesem Punkt ist Ihre Kritik berechtigt. Sie geben das Ergebnis der Abstimmung korrekt wieder. Zwar hat die SPD im Gemeindeparlament die absolute Mehrheit, und diese Mehrheit hätte ausgereicht die Straßenbeitragssatzung zu beschließen. Dies hat die Autorin ausdrücken sagen wollen mit ihrer Formulierung: “Doch die SPD­Mehrheit im Gemeinderat entschied anders." Tatsächlich entsteht dadurch aber der falsche Eindruck, die SPD-Fraktion hätte gegen die übrigen Mitglieder der Gemeindevertretung die Satzung beschlossen. Diesen Fehler bedauere ich ausdrücklich.

4. Sanierung der Wohnstraße des Bürgermeisters
Sie schreiben, in dem Beitrag sei angesprochen worden, „dass die Wohnstraße des Bürgermeisters, so wohl die Information der Bürgerinitiative an den HR, im Jahre 2009 kurz vor der Einführung der Straßenbeitragssatzung saniert wurde". Dies ist frei erfunden. ln keinem der beiden Beiträge findet sich eine Silbe zu diesem Thema. Ihr Vorwurf entbehrt jeder faktischen Grundlage.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal festhalten: Beide Beiträge sind gründlich recherchiert. Die Darstellung ist sachlich und ausgewogen: Die massiven Vorwürfe gegen die beiden Autorinnen und die beiden beteiligten Redaktionen sind nicht gerechtfertigt. Die verkürzte und dadurch missverständliche Darstellung des Abstimmungsergebnisses ist ein Fehler, den ich sehr bedauere und für den ich mich bei Ihnen nur entschuldigen kann.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Helmut Reitze
- Intendant - +++


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