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FULDA Tränen, Gegröle und ein Baby

7 Stunden "Kasperletheater" am Amtsgericht: Wegen Farbklecks am Castor

24.06.15 - Es wirkte, wie eine lange ausgeklügelte Choreografie der beiden Angeklagten Cécile L. (33) und Christof N. (29) - und Richter Jahn bezeichnete den Prozess als ein über vier Stunden langes "Kasperletheater". Den beiden Atomkraftgegnern wird vorgeworfen, im November 2011 einen fahrenden Castortransport und einen Zug der DB-Netz mit Farbbeuteln beworfen zu haben - die beiden sollen mit zwei weiteren Atomkraftgegnern auf Bäume am Rand der Gleise geklettert sein und mit Transparenten demonstriert haben. Nach zig Rügen von Seiten der Verteidigung, einem Befangenheitsantrag gegen Richter Jahn und vielen Pausen ging es nach fünf Stunden in die eigentliche Beweisaufnahme. Zu einem Urteil kam es am heutigen Dienstag nicht. Das Verfahren wurde am Ende eingestellt.

Bereits eine halbe Stunde vor Verhandlungsbeginn am Morgen trafen sich die Angeklagten mit anderen Atomgegnern, um vor dem Amtsgericht in Fulda zu demonstrieren - angemeldet war die Versammlung nicht, weswegen Polizei und Ordnungsamt vor Ort waren. Nach einer gründlichen und langwierigen Personenkontrolle aller Angeklagten und deren Begleiter folgte ein ebenso langwieriger und gründlich vorgetragener Katalog von Anträgen der Angeklagten und ihrer Verteidiger: Die Personenkontrolle würde Besucher abschrecken und die Verhandlung nicht mehr als öffentlich gelten lassen, beim ersten Verhandlungstermin (Februar 2014) und bei privaten Aktivitäten seien Zivilpolizisten anwesend gewesen - der Justiz wird Eingrenzung der Freiheitsrechte vorgeworfen.

Anti-Atom-Demo auf der Gerichtslampe ... Fotos: Julius Böhm

Die beiden Angeklagten besprechen sich vor der Verhandlung

Zudem sei die Verhandlung zeitlich verschleppt worden (Tatzeitpunkt: November 2011) und der Prozessaufwand würde dem geringen Schaden bei weitem nicht gerecht werden - "nur weil wir politisch motiviert handeln, wird solch ein großer Aufwand betrieben", so die Französin Cécile L., deren Wohnsitz in Lüneburg gemeldet ist. Noch bevor zum ersten Mal der Tathergang selbst zum Gegenstand der Verhandlung wurde - nämlich nach über fünf Stunden um 14:05 Uhr - wäre die Verhandlung beinahe früher zu Ende gewesen. Pflichtverteidiger Tronje Döhmer bot die Einstellung des Verfahrens an - Wilke wollte sich dem aus "prozessökonomischen Gründen" nicht in den Weg stellen, Richter Jahn aber war völlig anderer Meinung.

"Das wäre eine Offenbarungseid für die Justiz, wenn ein Verfahren eingestellt wird, nur weil jemand lange genug Ärger macht", so der Vorsitzende zunächst empört - später sollte er seine Meinung noch korrigieren. Ärger? Grund genug für die Angeklagten einen Befangenheitsantrag gegen Richter Jahn zu stellen - "Wie können Sie unsere rechtlich korrekten Rügen als Ärger bezeichnen?" Die Verhandlung wurde zunächst fortgesetzt, bis ein Richter über den Befangenheitsantrag eintscheiden könne - diesmal Empörung von Seiten des Publikums, der Angeklagten und ihrer Verteidigung. Als dann Cécile L. die Verhandlung aus gesundheitlichen Gründen unterbrechen wollte, erreichte das "Kasperletheater" seinen Höhepunkt: Sie hatte Tränen in den Augen, das Publikum lachte über das Verhalten des Richters und ein Baby krabbelte durch den Gerichtssaal.

Nach kurzer Pause - Cécile L. hatte den Saal verlassen - ging es nur noch mit Christof N. (aus Berlin) weiter und die eigentliche Beweisaufnahme begann: "Das war jetzt lange genug Kasperletheater hier - jetzt fangen wir an", so der Richter. Ein Zeuge eines Bahn-Dienstleistungsunternehmens beschrieb, wie der, von Farbe besprenkelte Zug gereinigt wurde, ein geladener Polizist aus Rosenheim will den Angeklagten beim "Werfen von irgendetwas" gesehen haben - im Saal konnte er ihn nicht identifizieren. Christof N. und seine beiden Verteidiger stellten den beiden Zeugen je eine halbe Stunde lang Dutzende Fragen - danach wollte auch der Angeklagte eine Pause machen, schließlich habe er seine Mittagspause zum Verfassen des Befangenheitsantrags nutzen müssen.

Nach stundenlanger Beweiseaufnahme und Vernehmung von fünf Zeugen hatte dann auch Richter Jahn ein Einsehen und dem segnete den Antrag zur Einstellung des Verfahrens zu. "Auch nach fünf Zeugen war noch nicht wirklich klar, ob der Angeklagte der Täter war. Es hätten weitere Zeugen geladen werden müssen - wir hätten Einsicht in Videomaterial nehmen müssen", erklärte Staatsanwalt Wilke. Der Prozess wurde eingestellt, da der Aufwand viel zu groß für ein solch geringes Vergehen gewesen wäre. (Julius Böhm) +++


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