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Nachdenklich: Michael Roth ist sich der Verantwortung seiner politischen Entscheidungen bewusst - Archivfoto: Hendrik Urbin

BERLIN Das Jahr 2015 im Rückblick (Teil 2/2)

"Gibt zwei Arten von Schuld, aber es braucht Militär gegen widerlichen IS"

FAKTEN ZU MICHAEL ROTHGeboren am 24. August 1970 in Heringen (Werra); Seit 1987 Mitglied der SPD, seit 1998 direkt gewählter Bundestagsabgeordneter, Wahlkreis 169 Werra-Meißner – Hersfeld-Rotenburg; 2009 bis Februar 2014 Generalsekretär der SPD Hessen; 2009 bis 2014 Sprecher der SPD-Landesgruppe Hessen im Deutschen Bundestag; bis 2013 Europapolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion; Seit Dezember 2013 Staatsminister im Auswärtigen Amt

23.12.15 - Der Bundestagsabgeordnete und Staatsminister für Europa Michael Roth (45, SPD) blickt auf ein schwieriges Krisenjahr 2015 zurück. Die OSTEHESSEN|NEWS-Volontäre Julius Böhm und Toni Spangenberg haben den Sozialdemokraten in Berlin zu einem Interview getroffen. In seinem Berliner Ministerbüro im Auswärtigen Amt hat sich Roth zu den großen Weltproblemen aber auch zu Themen geäußert, die die Menschen in seiner Heimat, dem Werratal, bewegen.

Im heutigen zweiten Teil rechtfertigt Roth den Bundeswehreinsatz in Syrien, der vor knapp drei Wochen im Bundestag beschlossen, und blickt aus deutscher Sicht auf die Krisenherde der Welt. Dabei geht er auf die Erfolge des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr ein, spricht aber auch von einem Dilemma, dem man sich als Politiker - gerade in außenpolitischen Entscheidungen - immer wieder Stellen müsse.

Als oberstes Ziel für das kommende Jahr hat sich Michael Roth einen Waffenstillstand als ersten Schritt einer Friedenslösung in Syrien gesetzt. "Das wäre ein Hoffnungsschimmer für die ganze Welt. Die Menschen in Syrien müssten nicht mehr leiden und es gäbe auch keine Gründe mehr, die Heimat zu verlassen und in die Welt zu fliehen." Dass sich Deutschland mit 1.200 Soldaten, acht Flugzeugen und einem Kampfschiff an dem militärischen Einsatz in Syrien beteiligt, sorgte für viel Kritik in der Opposition. Ein Einsatz sei das falsche Mittel und die Entscheidung sei zu überhastet gefallen, hieß es aus vielen Lagern. "Ich hatte nicht den Eindruck, es habe keine intensive Diskussion darüber gegeben, im Parlament, in den Medien, der Öffentlichkeit. Uns ist die Entscheidung nicht leicht gefallen, aber im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) muss auch militärisch vorgegangen werden."

"Krisen der Welt haben ein Gesicht bekommen"

Im vergangene Jahr sei das Interesse der deutschen Bevölkerung an der Außenpolitik extrem gestiegen: "Bei jeder Familienfeier wird spätestens nach dem zweiten Glas Bier über die Probleme in der Welt diskutiert. Das ist gut. Jahrelang hat sich kaum jemand damit beschäftigt, aber plötzlich kommen die Fragen auf: Was hat das alles mit uns zu tun? Was macht Assad (syrischer Staatspräsident, d.Red.) in Syrien? Warum kommen die Flüchtlinge zu uns? Durch die fliehenden Menschen, die Schutz bei uns suchen, haben die Krisen auf der Welt ein Gesicht bekommen." Es zeige, wie sehr sich alles gegenseitig beeinflusse: "Die Welt ist ein Dorf, aber ein sehr großes und unübersichtliches."

Afghanistan-Bilanz "überwiegend positiv"

Schon über 10 Jahre dauert der deutsche Einsatz in Afghanistan. Von über 60.000 Toten ist die Rede, der Großteil aus der zivilen Bevölkerung und auch 54 Bundeswehrsoldaten ließen ihr Leben. Das Fazit zum Afghanistan-Krieg sei überwiegend positiv. "Der militärische Einsatz des Westens hat für Stabilität gesorgt. Wir treten nicht als Aggressor auf, sondern unterstützen und bilden derzeit die Sicherheitsbehörden aus, sodass sie in Zukunft selbst die Kontrolle im Staat haben. So ist auch der Einsatz gegen den IS aus anderen Gründen sinnvoll, wenngleich nicht das Militär, sondern die Diplomatie die dominante Rolle inne haben müsste." Auf die Frage, ob die bisher geführten Antiterrorkriege "des Westens" nicht für noch deutlich mehr Terroristen als zuvor gesorgt hätten, widersprach Roth: "Sicher hat der sogenannte Westen auch Fehler gemacht. Aber ich warne vor einem solch einseitigen Denken in schwarzweiß Kategorien. Die afghanische Regierung hat uns sogar gebeten, länger im Land zu bleiben, um für Stabilität zu sorgen. Andernfalls könnten nämlich Terrorgruppen wie die Taliban wieder aggressiv vorgehen."

Die Zahl der Toten im syrischen Bürgerkrieg ist schon jetzt deutlich größer. "Die Lage dort ist viel komplizierter, denn wir sind definitiv kein Verbündeter Assads. Im Gegenteil. Im Irak hingegen wurden wir von der Regierung um Unterstützung gebeten. So konnten wir die kurdischen Peschmerga mit Waffen beliefern, wodurch sie sich gegen den IS im Norden Iraks verteidigen konnten - die Lieferung war umstritten aber schließlich erfolgreich. In Syrien fragen uns Bevölkerungsgruppen: warum helft ihr uns nicht? Die Antwort lautet: weil wir es völkerrechtlich nicht dürfen. Wir können den Peschmerga nur Waffen geben, weil es die irakische Regierung erlaubt, aber Assad wird das nie genehmigen. Diese Beispiele zeigen, dass man sehr differenziert abwägen und entscheiden muss."

Zwei Arten von Schuld...

Der IS sei eine solch erbärmliche, zynische und widerliche Organisation. "Da muss man auch militärisch vorgehen, aber ich betone das auch. Es gibt immer zwei Arten, sich schuldig zu machen. Entweder man greift ein und liefert zum Beispiel Waffen oder man tut gar nichts. Verantwortung trägt man so oder so. Das nehme ich auch abends mit ins Bett. Dieses Dilemmas bin ich mir sehr bewusst." Entscheidend sei aber, dass mit der Bevölkerung der Krisenländer eng zusammengearbeitet werde. "Wenn wir von der Bevölkerung als Invasoren wahrgenommen werden, hat das alles keinen Sinn. Hier gilt es, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen."

Der Waffenstillstand in Syrien und mehr politische Stabilität in Afghanistan und dem Irak seien Wünsche. "Und gerade in der Weihnachtszeit ist es legitim, Wünsche zu äußern. Und es besteht durchaus Hoffnung, dass 2016 ein besseres Jahr werden kann." (Julius Böhm) +++


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