Archiv
Ganz nebenbei wurde sie mit 6,91 Metern auch DDR-Meisterin im Weitsprung - ohne Training -

REGION Es war einmal... (4)

...Kathrin HENKE - Weltmeisterin und Weltrekord-Sprinterin aus Eichenzell

28.01.16 - Wer erinnert sich nicht an Gerd Müllers goldenes Tor von 1974? Oder an Boris Beckers historischen Sieg in Wimbledon? Sportliche Höhepunkte, die in die Geschichte eingingen. Doch nicht nur auf der großen Bühne des Sports, sondern auch im Kleinen gibt es Momente, die mehr oder weniger präsent im Bewusstsein sind. "Es war einmal ..." ist eine Rubrik, die verblasste Erinnerungen an besondere Ereignisse oder Veranstaltungen wecken soll. Teil vier erzählt die Geschichte von Kathrin Schröder (geborene Henke) und ihrer Leichtathletik-Laufbahn in der DDR.

Diana Dietz kommt um die Kurve gesprintet, den Staffelstab in der Hand. Die späteren DDR-Stars Grit Breuer und Kathrin Krabbe hatten die Juniorinnen-Staffel schon in eine gute Ausgangsposition gebracht, aber nun lag es auf den letzten 100 Metern nur noch an Kathrin Henke: Die damals 19-Jährige holt alles aus sich heraus, stürmt auf die Ziellinie zu und sichert sich und ihren drei Mitstreiterinnen den Weltmeistertitel - 43,48 Sekunden, Weltrekord. Es war das Jahr 1988 bei der Junioren-WM im kanadischen Sudbury. Es war der Höhepunkt von Kathrin Henkes Leichathletik-Karriere. Der Weltrekord sollte bis 2006 Bestand haben. Seit über 20 Jahren lebt Kathrin Schröder nun schon in Eichenzell und betreibt eine erfolgreiche Praxis für Physiotherapie und osteopathische Behandlung.

Die WM-Medaille von Sudbury

Die Nationalmannschaft der Deutschen demokratischen Republik

"Der Sport war mein Leben, aber leider haben mir immer wieder Verletzungen an den Füßen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Als dann die Wende kam, stand ich vor der Frage: Karriere oder Berufsausbildung. Ich habe mich für Letzteres entschieden", erzählt die 46-Jährige im Gespräch mit O|N-Sport.

Aufgewachsen in Erfurt war Kathrin schon immer ein aktives Kind. Im zweiten Schuljahr begann ihre Laufbahn in der Arbeitsgemeinschaft Leichathletik mit ersten kleinen Wettkämpfen. "Ich hatte wohl ein wenig Talent von meiner Mutter Barbara in die Wiege gelegt bekommen - sie war eine passable Hochspringerin - und mit meiner langen, dünnen Statur war ich zum Sprinten geschaffen", erzählt sie weiter. Es dauerte keine zwei Jahre, bis die damals 9-Jährige von der Betriebssportgemeinschaft der Umformtechnik Erfurt (UT) entdeckt wurde. Ab dann hieß es: drei Mal in der Woche für eineinhalb Stunden Training. "Aber mich musste da niemand hinjagen. Sport stand für mich an erster Stelle, auch wenn das meine Lehrer anders sahen", schmunzelt sie.

Die Leistungen wurden besser, die Wettkämpfe fanden nun schon auf Bezirksebene statt und so dauerte es nicht lange, bis auch ein Trainer einer der 13 großen Sportleistungszentren der DDR auf die junge Sprinterin aufmerksam wurde. Eine Woche Sichtungswettkampf und die Trainer des Bezirks Erfurt waren überzeugt. Nun standen an allen fünf Werktagen zwei Trainingseinheiten á zwei Stunden und ein weiteres Training am Samstag auf dem Plan. Dazwischen noch Schulunterricht und ein gemeinsames Mittagessen mit den anderen Athleten. "Ich bin morgens um 20 vor sechs Uhr mit der Straßenbahn in die Stadt gefahren - abends kam ich dann um 18:30 Uhr nach Hause und habe meine Hausaufgaben erledigt. Das Gefühl, etwas in der Jugend zu verpassen, hatte ich nie. Klar: Ausdauerläufe haben mir keinen Spaß gemacht, aber ich habe den Sport geliebt, es war mein Leben."

Seit über 20 Jahren wohnt sie nun schon in Eichenzell

Ihre Patienten vertrauen ihrer physiotherapeutischen Behandlung

Der Sommer 1986 und ein paar Adidas-Schuhe

"Jeden Sommer hatten wir zig Wettkämpfe, auch im Ausland. Bei den Qualifikations-Wettkämpfen zur Junioren-Weltmeisterschaft in Birmingham (England) konnte ich unter die besten fünf Läuferinnen sprinten und durfte schließlich mit ins Trainingslager fahren." Es war eines der wenigen Privilegien, die die Athleten genießen konnten. "Wir waren zwar öfters im Ausland, aber wir konnten nie so recht machen, was wir wollten. Einmal habe ich in Tschechien mit einem bundesdeutschen Athleten getanzt. Mein Trainer ließ ausrichten, dass ich das lieber lassen solle, wenn ich weiterhin dabei sein möchte. Aber: bei der Nationalmannschaft habe ich mein erstes Paar Spikes von Adidas bekommen - das war schon etwas Besonderes." In Birmingham startet Kathrin dann in der 4x100 Meter-Staffel und übergibt den Staffelstab an Schlussläuferin Kathrin Krabbe, die zum EM-Titel sprintet.

Auf den Sieg folgten Training, Training und noch einmal Training, denn im Sommer '88 war die Junioren-WM in Sudbury. Ich habe es nach einem erfolgreichen Jahr wieder in den Kader geschafft und war mit beim Traingslager in Kienbaum (nahe Berlin, d.Red). Wir hatten zwar Unterricht und viele Einheiten, aber die Stimmung war wie in einem Feriencamp." Mit einer Boeing 747 ging es schließlich über Amsterdam in Richtung Kanada. "Mein Vater war nicht neidisch darauf, dass ich nach Kanada fliegen durfte - vielmehr darauf, dass wir mit dem 'Jumbo' geflogen sind", erinnert sie sich. Der Sieg im Finale, der Weltrekord, der Karrierehöhepunkt folgte.

"Aber danach lief es nicht mehr wirklich rund: ich hatte die Norm für Olympia knapp verpasst, meine Verletzungen am Fuß warfen mich immer weiter zurück und ich habe im Seniorenbereich den Anschluss nicht mehr gefunden." Leistungen blieben aus und somit auch die konsequente Fördereung der Trainer. In einem Trainingslager nach der WM in Spanien dann zum ersten Mal die Gedanken: "Willst du das wirklich? Immer unterwegs sein auf Wettkämpfen und in Trainingslagern? Es war die Zeit der Wende, die Zeit der Veränderungen und ich war verliebt in einen jungen aus Erfurt." Schweren Herzens beendete sie ihre Karriere, wollte dem Sport aber in einer Form der Rehabilitation treu bleiben. Sie bewarb sich 1990 an der Massageschule in Fulda. "Dort bekam ich aber den Tipp, Physiotherapie zu lernen." Nach drei Jahren Ausbildung in Erfurt kam sie zurück nach Osthessen. Seit 1996 betreibt sie ihre eigene Praxis für Physio- und osteopathische Therapie in Eichenzell. "Zum Glück habe ich so meine Berufung gefunden."

Schon als Kind sportbegeistert

Im Rückblick auf die erfolgreiche Karriere, trauert die heutige Kathrin Schröder aber nichts nach. "Es hat zwar etwas gedauert, bis ich bei Wettkämpfen im Fernsehen nicht mehr mitgezuckt habe beim Startschuss, aber es war ja eine bewusste Entscheidung von mir. Ich habe eine neue Art von Freiheit erlangt. Mit der Öffnung der innerdeutschen Grenze gab es völlig neue Möglichkeiten, ich konnte zum ersten Mal Urlaub machen und bis heute macht mir mein Beruf Spaß." Für die vielen Erfolge von DDR-Sportler macht sie die herausragend guten Trainingsbedingungen verantwortlich. "Im kalten Krieg war der Sport Werbung für das Land. Wir wurden unterstützt, hatten tolle Trainingsmöglichkeiten, besondere Lehrpläne in der Schule und hatten keine Kosten für Reisen zu Wettkämpfen. Leistungssport bedeutet, dass man alles für den Erfolg tut - man muss über Grenzen gehen und das hält der Körper nicht ewig aus. Ich hatte Glück, so gute Leistungen bringen zu können und im Nachhinein bin ich auch mit meiner Entscheidung glücklich." (Julius Böhm) +++


Über Osthessen News

Kontakt
Impressum

Apps

Osthessen News IOS
Osthessen News Android
Osthessen Blitzer IOS
Osthessen Blitzer Android

Mediadaten

Werbung
IVW Daten


Service

Blitzer / Verkehrsmeldungen Stellenangebote
Gastro
Mittagstisch
Veranstaltungskalender
Wetter Vorhersage

Social Media

Facebook
Twitter
Instagram

Nachrichten aus

Fulda
Hersfeld Rotenburg
Main Kinzig
Vogelsberg
Rhön