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Ohne die Initiative "ArbeiterKind.de" hätten sich Julia, Marcus und Susan (von links) während ihres Studiums wohl manchmal ziemlich alleingelassen gefühlt. - Fotos: Suria Reiche

REGION Arbeiterkindern eine Chance geben

Der erste Student in der Familie? Initiative "ArbeiterKind.de" will helfen

HintergrundDer "ArbeiterKind"-Stammtisch findet an jedem dritten Donnerstag im Monat ab 7 Uhr im Restaurant "Eidmanns" statt. Kommen kann jeder - egal, ob er Fragen hat oder denkt, dass er selbst in irgendeiner Weise helfen kann.

07.04.16 - Bundesminister Sigmar Gabriel ist eins. Und Airbus-Chef Thomas Enders auch. Ein Arbeiterkind. Als erste in ihrer Familie haben sie sich dazu entschieden, an die Uni zu gehen. Und das, so wissen die "Mentoren" der Initiative "ArbeiterKind.de", ist gar nicht unbedingt einfach, wenn vorher noch niemand in der Familie studiert hat. Wie schreibe ich mich überhaupt an einer Uni ein? Wie funktioniert die Stundenplanzusammenstellung? Und nicht zuletzt: Wie soll ich das Studium finanzieren? Es gibt Fragen über Fragen, die auf einen jungen Menschen einprasseln, wenn er gerade kurz vor seinem ersten Schritt auf einen Campus steht.

Ähnlich ging es auch Marcus. Er ist ein typisches "Arbeiterkind". Sein Vater ist Maurer, seine Mutter Hausfrau. Keines seiner fünf Geschwisterkinder hat studiert, "alle haben etwas Handfestes gelernt." Also machte er das auch. Aus dem Sohn eines Maurers soll schließlich auch ein Handwerker werden - aber doch kein Akademiker. Heute ist Marcus 40 - und hat sich dazu entschieden, doch nochmal an die Uni zu gehen. Bevor er sein Studium der Sozialen Arbeit im vergangenen Jahr an der Hochschule Fulda begann, ist er auf das Angebot von "ArbeiterKind" aufmerksam geworden: "Am Hochschulinformationstag gab es eine Veranstaltung der Regionalgruppe Fulda", erzählt der Rhöner heute, "Ich habe schnell gemerkt, dass ich dort genau die Hilfe bekomme, die ich benötige." Also schloss er sich den Menschen an, wurde Mentor in der Fuldaer "ArbeiterKind"-Gruppe . "Und das hat mich weitergebracht."

Vor allem in einer Sache: Durch die Unterstützung und die Beratung, die er von den Mitgliedern von "ArbeiterKind" bekommen hat, hat er es geschafft, ein Stipendium zu bekommen. Denn was nur die wenigsten wissen: Dafür muss man gar kein Einser-Kandidat sein. "Es gibt so viele Stipendien, dass für fast jeden eins dabei ist", sagt Mentorin Susan. Und sie weiß, dass das Thema Finanzierung gerade für Arbeiterkinder ein wichtiges Thema ist: "Solche, denen die Eltern nicht jeden Monat einen bestimmten Betrag überweisen können, haben im Studium ein finanzielles Problem - und scheuen sich deswegen davor. Obwohl es so viele Möglichkeiten gibt." Und damit meint die 31-Jährige eben nicht nur das allseits bekannte BAFöG. 

Das Resultat: "Laut Statistiken wagen fast 80 Prozent der Kinder eines Jahrgangs, die aus einer Akademikerfamilie kommen, den Schritt ins Studium - und nur rund 20 Prozent aus Nicht-Akademikerfamilien." "Das ist total abgefahren. Es ist für so viele junge Leute möglich zu studieren, aber sie machen es nicht", sagt Julia. Auch sie ist eine Mentorin, steht kurz vor dem Abschluss ihres Studiums. Dass sie mal so weit kommt, hätte sie vorm Start des Studiums nicht gedacht: "Ich war der Meinung, dass es nur sehr, sehr gute Schüler an die Uni schaffen. Und dass man mindestens einen Einser-Schnitt braucht." Darüber dass das nicht so ist, will sie heute gemeinsam mit den anderen Mentoren der "ArbeiterKind"-Gruppe Fulda aufmerksam machen. 

"Wir wollen junge Leute dazu animieren, an sich zu glauben - auch dann, wenn vorher noch niemand den Weg gegangen ist, den sie gehen." Und sie wollen sie dabei begleiten. Denn niemand weiß besser als die Mentoren selbst, wie schwierig der Weg durchs Studium sein kann, wenn einem niemand aus dem engeren Umfeld mit Rat und Tat zur Seite stehen kann: "Im ersten Semester war für mich alles total neu. Die Welt hier am Campus ist auf mich eingeprasselt. Ich habe bestimmt ein halbes Jahr gebraucht, um mich daran zu gewöhnen", erinnert sich Marcus. 

Dank der monatlichen "ArbeiterKind"-Stammtische, der Info-Veranstaltungen, die die Initiative bei jeder Gelegenheit abhält, und der Internetplattform, auf der er sich mit rund 7.000 anderen Menschen über alle Themen rund um das Studium austauschen kann, ist die Welt auf dem Campus heute keine fremde mehr für ihn. Seine Erfahrungen will der 40-Jährige nun gemeinsam mit Susan, Julia und den rund 50 weiteren Mentoren der "ArbeiterKind"-Gruppe Fulda weitergeben: "Unser Ziel ist nicht, dass alle Leute studieren. Aber dass die studieren können, die das wollen. Und dass sie wissen, dass es unabhängig davon ist, was ihre Eltern gemacht haben." Dafür gehen sie in Schulen und stellen sich und das Portal ArbeiterKind.de vor, das 2008 in Deutschland gegründet wurde. Jeder Mentor hat dort ein Profil, auf dem gelistet ist, bei welchen Themen er helfen kann. "So findet jeder, der Hilfe sucht, jemanden, der ihm helfen kann." (Suria Reiche) +++


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