"60+1" - Feier mit "Geale Riewe med Ribbche en Brud"

28.09.16 - „Einen Freitagabend Anfang der 1950er Jahre wird man sicher als den 'Urknall' für das Dorfgemeinschaftshaus hier in Stumpertenrod nennen dürfen“, so Ortsvorsteher Uwe Steuernagel am Samstagabend bei der „60 plus 1“ Feier des Einweihungstages des Dorfgemeinschaftshauses zu Beginn seiner Festrede. Zur Chronik war dann zu hören, dass es im Ort keinen Saal gab, in dem Festveranstaltungen abgehalten werden konnten und man beabsichtigte auch, einen Bullenstall zu bauen. So beauftragen die Gemeindegremien der damals selbständigen Gemeinde Stumpertenrod, Bürgermeister Otto Steuernagel mit dem Gemeindevorstand und der Gemeindevertretung am 6. März 1953 den Landtagsabgeordneten Friedrich Wilhelm Stein, sich bei der Landesregierung in Wiesbaden nach Fördermöglichkeiten im Rahmen des Programms „Soziale Aufrüstung des Dorfes“ umzusehen.

DGH 60+1

Es wird serviert

Gesangsverein Eintracht Stumpertenrod

Das Vorhaben wurde den Bewohnern vorgestellt, fast alle Einwohner waren anwesend und es gab nur wenige Bedenken, dass eine solche Gemeinschaftseinrichtung eine Konkurrenzstätte zur Kirche werden könne. Diese räumte der anwesende Landrat Dr. Kurt Mildner aus. Gute Nachrichten kamen aus Wiesbaden: eine Bezuschussung war möglich. Bereits am 15. Februar 1954 wurde die Hofreite von Johannes Stein II und für die Planungen zu diesem Gemeinschaftsvorhaben der Architekt Heinrich Happ aus Seibelsdorf beauftragt.

Ortsvorsteher Uwe Steuernagel

Der Wunsch nach einem Bullenstall wurde fallen gelassen, es sollte ein Dorfgemeinschaftshaus mit einem Saal, Theaterbühne, Erntekindergarten, Garage, Feuerwehrgarage, Jugendraum, Mosterei, Wäscherei mit Mangelbetrieb, Gefrieranlage, Gemeinschaftsbad, Küche und Hausmeisterwohnung gebaut werden. Der Gesamtkostenvorschlag belief sich auf rund 100.000 DM, verglichen mit heutiger Kaufkraft in etwa 245.000 Euro. Am 27. August 1954 ging der Bewilligungsbescheid von der Landesregierung ein und bereits am 31. August wurden die ersten Gewerke vergeben. Nur rund sechs Wochen danach, am 15. Oktober 1954 wurde mit Vertretern der Landesregierung, des Kreises und der Bevölkerung ein zünftiges Richtfest gefeiert. Danach ließ man den Bau bis zum Frühjahr 1955 zum Austrocknen ruhen.

Die Arbeiten gingen sehr zügig voran und so konnte bereits am 7. August 1955 die Einweihung mit Festkommers, Festzug und dem Theaterstück „Die Rettung von Stumpertenrod“ gefeiert werden. Das Haus wurde in der Folgezeit sehr rege genutzt. Die Wäscherei mit Mangel war anfangs fast die ganze Woche in Betrieb. Ende der 1970er Jahre wurde das Waschen eingestellt, da nun fast in jedem Haushalt eine eigene Waschmaschine stand. Gemangelt wird aber heute noch. Auch das Gemeinschaftsbad wurde zunächst sehr rege genutzt, erfuhr aber das gleiche Schicksal wie die Wäscherei, denn durch die fortschreitende Modernisierung der Haushalte wurde auch diese Gemeinschaftseinrichtung nicht mehr benötigt.

Posaunenchor

U.Steuernagel und E.U.Offhaus

Unterkohlrabi-Gelbe Rüben

Für die Gefrieranlage wurde ein eigener Verein gegründet, der die Anlage bis heute betreibt. Auch die an den Obst- und Gartenbauverein übergebene Mosterei ist bis heute noch erfolgreich im Betrieb. Eine Besonderheit war der Erntekindergarten, der von April bis November halbtags geöffnet war. Bis zu 42 Kinder wurden hier in der Spitze von einer einzigen Person betreut. Da die damaligen Betreuerinnen keine Ausbildung als Kindergärtnerinnen hatten, durfte der Erntekindergarten in der Form nicht mehr betrieben werden. Um den Betrieb der Einrichtung aufrecht zu erhalten, mussten bis in die Gegenwart hinein viele Anstrengungen unternommen werden: Sondergenehmigungen erwirkt, Ausbildungen nachgeholt und das Betreuer-Team aufgestockt.

Geale Riewe med Ribbche en Brud

Da der einzige Fernseher im Ort seinerzeit im DGH stand, war an praktisch jedem Abend öffentliches Fernsehen angesagt. „Public viewing“ in Stumpertenrod, noch bevor man überhaupt diesen Ausdruck kannte. Der Schützenverein trug in den 1960er Jahren seine Wettkämpfe im Saal aus und führte in jedem Winter einen Theaterabend durch. Mehrere Umbauten erfolgte in der Zeit bis heute und Ortsvorsteher Steuernagel meinte abschließend: „Wir haben ein sehr lebendiges DGH, vielleicht eines der Lebendigsten mit all den Aktivitäten unter einem Dach in der Gegend: Kindertagesstätte, Jugendraum, Mosterei, Feuerwehr, Mangeln, Gesangverein, Familienfeierlichkeiten und mit Jahreshauptversammlungen der Vereine. Möge es immer wieder kreative und engagierte Mitbürger geben, die sich um den Fortbestand dieses Hauses und all seiner Einrichtungen verantwortlich fühlen, damit wir irgendwann auch weitere Jubiläen '60+?' feiern können."

Bürgermeister Dietmar Schlosser wies in seiner Ansprache daraufhin, dass das DGH Stumpertenrod eines der Ersten des Landes und in ganz Deutschland sei. Unter Ministerpräsident Georg August Zinn sei es im Rahmen des „Hessenplanes“ ins Leben gerufen worden. Dank sagte er allen, die im Dienst des Gemeinwohls tatkräftige Arbeit am DGH geleistet hätten. Er hoffe, dass auch in Zukunft alle Funktionsräume ihre Erwartungen erfüllen mögen und die Nutzer viel Freude am Leben im DGH hätten.

Bürgermeister Dietmar Schlosser

Höhepunkt der Feierstunde war zuvor das gemeinsame Essen mit „Geale Riewe med Ribbche en Brud, ins Hochdeutsche übersetzt: „Gelbe Rüben (Unterkohlrabi) mit Rippchen und Brot) gewesen. 50 Kilogramm Unterkohlrabi sowie je zehn Kilogramm Karotten und Kartoffeln war dazu gekocht und gestampft worden, deshalb heißt das Gericht auch vielfach „Kohlrabestampfes“. Mit frisch gebackenem Bauernbrot aus dem über 100 Jahre alten Dorfbackofen schmeckte das traditionelle Essen sehr gut. Die musikalische Umrahmung hatte der Gesangverein Eintracht und der Posaunenchor Stumpertenrod übernommen. (Dieter Graulich) +++