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- Fotos: Hendrik Urbin

REGION EuGH-Urteil gefährdet Vor-Ort-Apotheken

Bittere Pille: EU-Gerichtshof kippt Medikamenten-Preisbindung - "Eine Katastrophe"

21.10.16 - Der Europäische Gerichtshof sieht bei der Medikamenten-Preisbindung hierzulande EU-Recht verletzt und hat nun die deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel in seinem jüngsten Urteil gekippt. Die deutsche Festlegung einheitlicher Abgabepreise beschränke den freien, grenzüberschreitenden Warenverkehr in der EU, heißt es in dem Urteil der Luxemburger Richter. So würde der Zugang zum deutschen Markt für Anbieter aus anderen EU-Ländern erschwert werden, und sei daher nicht mit EU-Recht vereinbar. Demnach gelten bindende Preise für Versandapotheken aus dem EU-Ausland nicht mehr. Ausländische Versandhandel dürfen nun Medikamente an deutsche Kunden auch billiger verkaufen - für deutsche Apotheken gilt die Arzneimittelpreisbindung jedoch noch.

Medikamenten-Preisbindung in Deutschland

Die Arzneimittelhersteller, also die Pharmazierunternehmen, legen eigenständig fest, zu welchen Preisen sie die Medikamente an die Apotheken und Großhändler abgeben. Die Apotheken erheben dann auf die Einkaufspreise gesetzlich festgelegte Zuschläge in Höhe von drei Prozent - für rezeptpflichtige Medikamente gilt immer dieser Aufschlag. Zusätzlich zu den Aufschlägen können die Apotheken pro Packung einen Fixbetrag in Höhe von 8,35 Euro berechnen. An die einheitlichen Abgabepreise sind ebenso die Versandapotheken mit Sitz in der EU gebunden. Bei gesetzlich Versicherten zahlen den Preis die Krankenkassen - er ist aber auch für die privaten Versicherten gültig.

Was sagt die Bundesregierung zum Urteil?

Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums soll die Preisdeckelung gewährleistet sein - Medikamente dürfen nicht zu teuer werden, und dass Krankenkassenbeiträge bezahlbar bleiben. Nach dem EuGH-Urteil ist die Regelung aus Sicht des Ministeriums nicht mehr auf ausländische Versandapotheken anwendbar. Weitere Konsequenzen würden nun geprüft werden, aber das flächendeckende Apotheken-Netz in Deutschland steht dabei an oberster Stelle.

Was bedeutet das Gerichtsurteil für Patienten?

Foto: pixabay

In letzter Konsequenz ist das noch unklar. Verbraucherschützer sehen das EuGH-Urteil für Patienten zunächst einmal positiv. "Sie könnten bei verschreibungspflichtigen Medikamenten künftig Kosten sparen, wenn Sie bei ausländischen Versandapotheken bestellen", sagt etwa der Gesundheitsexperte des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Kai Vogel. Die Folgen für die Apothekenversorgung in Deutschland müssten laut Vogel aber in Ruhe erörtert werden: "Die Forderung eines Versandhandelsverbots für rezeptpflichtige Arzneimittel wäre die falsche Reaktion. Stattdessen sollte überlegt werden, ob deutsche Apotheken nicht den gleichen Spielraum in der Preisgestaltung erhalten sollten. Andernfalls hätten sie einen klaren Standortnachteil."

Der Sprecher der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Reiner Kern, warnt dagegen davor, dass sich Versandhändler "die Rosinen rauspicken" und Vor-Ort-Apotheken zu stark unter Druck setzen könnten. Dies würde die wohnortnahe Apotheke in ihrer Existenz gefährden.

Was sagt die Landesapothekerkammer Hessen?

Präsidentin Ursula Funke aus Wiesbaden schlägt in einem Mitgliederschreiben Alarm: "Wir werden alles daran setzen, auf eine europarechtskonforme Gesetzesänderung hinzuwirken, die eine flächendeckende und wohnortnahe Arzneimittelversorgung rund um die Uhr sicherstellt." Dies gehe bis zur Frage, ob und wie ein europarechtskonformes Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel durchgesetzt werden könne. Der Vorstand und die Geschäfsführung der Apothekerkammer haben bereits juristische Mittel angekündigt. "Von unseren Mitgliedern erwarten wir, dass sie sich witerhin rechtstreu verhalten. Patienten, die unter Hinweis auf die EuGH Entscheidung Preisnachlässe fordern, muss deutlich gemacht werden, dass dies illegal ist." Funke spricht von einem "mühsamen und steinigen Weg" und verspricht einen Kampf "für die Versorgungssicherheit der Menschen in Deutschland".

Was sagen Vor-Ort-Apotheken in der Region Fulda?

Apotheker Dr. Askan Fahr-Becker.

Von der Fuldaer Bären-Apotheke: Claudia Eckardt und Markus Helm.

"Wir halten am festgeschriebenen Preis fest und dürfen keine Rabatte geben oder Aktionen ausrufen", erklärt Apotheker Markus Helm von der Bären-Apotheke im Altstadt-Carree in Fulda und spricht von einem "Wettbewerbsnachteil" für alle Apotheken in Deutschland. "Das Urteil ist eine Katastrophe - ich stimme da nicht zu. Der Versandhandel sollte für verschreibungspflichtige Medikamente verboten werden, bei rezeptfreier Arznei ist das kein Problem", so Dr. Askan Fahr-Becker, Inhaber der Bahnhof-Apotheke Fulda. Er befürchtet, dass gerade chronisch Kranke eher zum billigeren Versandhandel greifen: "Menschen, die an chronischen Krankheiten leiden und dauerhaft Medikamente benötigen, werden sehr wahrscheinlich im Internet bestellen. Das gefährdet natürlich den Umsatz der Apotheken."

Doch nicht nur das EuGH-Urteil gefällt Fahr-Becker nicht: "Was uns so ärgert, ist, dass immer von Apothekenpreisen gesprochen wird – das stimmt aber nicht. Die Leute meinen, wir Apotheker würden uns eine goldene Nase verdienen. Das war vielleicht einmal so, aber seit rund zwanzig Jahren hat sich das Blatt gewendet. Nehmen wir beispielweise ein Medikament für 100 Euro, das bekommen wir vom Hersteller und vom Einkaufspreis dürfen wir dann den gesetzlich festgeschrieben Zuschlag von drei Prozent erheben. Zusätzlich dürfen wir ja die Gebühr von 8,35 Euro aufschlagen, davon zieht jedoch wieder die jeweilige Krankenkasse 1,77 Euro ab – unterm Strich bleibt also nicht so viel", erläutert Dr. Fahr-Becker. "Viele verschreibungspflichtige Medikamente werden immer teurer und liegen weit über 100 Euro. Heutzutage sind die Pharmaunternehmen - also die Hersteller - und der Staat die Großverdiener", bestätigte Rainer Brosig von der Marien-Apotheke.

Brosig sieht dem Versandhandel aber nicht ganz so kritisch entgegen: "Ich würde sagen, dass der Versandhandel nicht das Problem ist, den gibt es ja schließlich schon ziemlich lange. Und eine Auswertung aus den USA zeigt, dass dort der Medikamentenversandhandel zehn bis zwanzig Prozent am Gesamtumsatz ausmacht, der Großteil läuft über Apotheken. Natürlich werden durch das Urteil auch Umsatzeinbußen zu verzeichnen sein. Betroffen sind dann aber eher Apotheken auf dem Land. In Fulda gibt es viele Apotheken – die meisten befinden sich in der Nähe von Ärzten und somit in Kundennähe. Aber in den ländlichen Gebieten könnten Apotheken durch den Internethandel schließen, weil die Leute es sich einfach machen und online bestellen. Oder weil gerade ältere Leute nicht mehr so leicht von A nach B kommen", so Brosig. Auch gibt es in Sachen Schnelligkeit, Verfügbarkeit und Beratung Defizite beim Handel im Internet: "Wenn das Baby nachts um halb 2 an einem Samstag Fieber bekommt, würden sie dann ins Internet gehen und Arznei bestellen", gab Brosig abschließend die Frage auf. (Nina Sauer / Christian P. Stadtfeld) +++


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