Die Stadt liest ein Buch - Auftaktveranstaltung in City-Galerie

07.11.16 - Eine „Gerichtsverhandlung“ am Samstagmorgen auf der Veranstaltungsfläche in der City-Galerie erregte Aufsehen. Das „Hohe Gericht“ hatte sich zusammengefunden, um aus dem Buch „Terror“ aus der Feder von Ferdinand von Schirach zu lesen, dass für die inzwischen 15. Leseaktion der Kreisstadt Bad Hersfeld von der zuständigen Jury ausgewählt wurde. Eine gute Wahl, denn es ist ein Buch von bedrückender Aktualität. In der dramatischen Fassung geht „Terror“ bereits um die Welt, das Theaterstück war und ist an zahlreichen Bühnen im In- und Ausland zu sehen. Schirach, der als Strafverteidiger in Berlin tätig ist, wurde für seine Werke mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kleist-Preis. Seinen Erfolg erklärt die französische Libération so: „Schirachs Meisterleistung ist, uns zu zeigen, dass – egal wie monströs dessen Taten zunächst scheinen mögen – ein Mensch doch immer ein Mensch ist“.

In der von Regisseur Holk Freytag konzipierten Lesung schlüpfte Landrat Dr. Michael Koch in die Rolle des Richters, Jurist Carsten Lenz übernahm die Verteidigung des Angeklagten Lars Koch, Pröpstin Sabine Kropf-Brandau gab der Staatsanwältin ihre Stimme, Pfarrerin Imke Leipold verlas Schirachs Rede auf Charlie Hebdo, Holk Freytag trat in den Zeugenstand und las außerdem aus dem Werk „9/11“ von Bernd Greiner.

Der Pilot: Auf dem Flug von Berlin nach München bringt ein Terrorist eine Lufthansa-Maschine in seine Gewalt und will sie über der Allianz-Arena bei München abstürzen lassen. Und zwar während eines Länderspiels. Die Arena ist mit 70.000 Menschen restlos ausverkauft. Zwei Kampfjets der Luftwaffe versuchen, das Flugzeug zur Landung zu zwingen – ohne Erfolg. Sie eskortieren die Maschine und kurz vor dem Stadion beschließt Lars Koch, einer der beiden Eurofighter-Piloten, den Airbus abzuschießen. Die 164 Insassen werden alle getötet – die 70.000 im Stadion werden jedoch durch den Abschuss alle überleben. Wird Lars Koch diese Entscheidung später vor Gericht rechtfertigen können?

Dr. Thomas Handke moderierte

Dieses Buch wirft Fragen auf, stellt bisher gültige Antworten in Frage und es zeigt, wie wenig eindeutig Entscheidungen rechtlich und moralisch beantwortet werden können, aber dennoch beantwortet werden müssen. Wie wollen wir künftig leben? Muss man sich in Zeiten wie diesen für die Freiheit oder für die Sicherheit entscheiden? Ist die Würde des Menschen trotz Terror unantastbar oder doch antastbar? Dürfen wir Unschuldige töten, um andere Unschuldige zu retten? Die Staatsanwältin beharrt auf ihrer Sichtweise: „Leben darf nicht mit Leben aufgewogen werden. Recht und Moral müssen gemäß unserer Verfassung streng getrennt werden“, ist die Begründung für eine von ihr geforderte lebenslange Haftstrafe des Angeklagten. Der Verteidiger hingegen plädiert auf Freispruch. „Die Terroristen haben ihr Ziel klar formuliert, sie wollen uns zerstören“, macht er deutlich. Die Aufgabe des Lesers, anstelle eines Gerichtes zu entscheiden, wird durch die Plädoyers des Verteidigers und der Staatsanwältin nicht leichter.

Abschließend konfrontiert Dr. Thomas Handke als Moderator die teilnehmenden Vorleser mit der Frage nach ihren persönlichen Ängsten. Holk Freytag berichtet von der „German-Angst“, über die sich unsere europäischen Nachbarn amüsieren. „Es ist eine Hobby-Angst, die wir pflegen“, ist seine Meinung. Er ergänzt: „Ich wünsche mir Gelassenheit, glaube fest, dass unsere Sicherheitsdienste und auch unser Innenminister einen guten Job machen“.

Alle Interessierten können bis zur Abschlussveranstaltung am Donnerstag, 24.11.2016, um 19.00 Uhr in der Stadthalle, Teil einer einzigartigen Reihe von Begegnungen an unterschiedlichen Veranstaltungsorten werden und letztendlich als Laienrichter ihr Urteil sprechen. Sämtliche Veranstaltungen sind im Osthessen-News-Terminkalender aufgelistet. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei. (Gudrun Schmidl) +++