Blinder Mexikaner aus Holland will ohne Geld und Papiere in die Ukraine

16.01.17 - Eine wahre Odyssee hat Samstagnacht ihr vorläufiges Ende in Fulda gefunden. Aber der Reihe nach: Heute Morgen erreichte die Redaktion von OSTHESSEN|NEWS eine ungewöhnliche Mail, die wir deshalb hier im Wortlaut veröffentlichen:

"Am Samstagabend ist mir etwas Merkwürdiges und zugleich tief Tröstliches begegnet: Nach einem langen und anstrengenden Heimweg durch winterliche Straßenverhältnisse aus den südlichen Alpen kam ich durch die Stadt. In der Kurfürstenstraße sah ich in der Dunkelheit einen blinden Mann mit Koffer und weißem Blindenstock über die Straße irren. Obwohl mich der Eindruck sehr irritierte, fuhr ich zunächst weiter und dachte, es werde wohl jemanden geben, der zu diesem Menschen gehöre.

Doch dann kehrte ich noch einmal um, weil mir durch den Kopf schoss, dass der Blinde vielleicht doch ganz allein sein und hilflos umherirren könnte. Als ich zur Kreuzung an der Post kam, sah ich den blinden Mann an der Seite von zwei Frauen, die sich seiner angenommen hatten: Sie sprachen Englisch mit ihm und versuchten, herauszufinden, wohin er wollte. Er sagte, er wolle nach Österreich mit einem Bus, der von der A7 aus losfahre. Die beiden Frauen fragten immer weiter, wo genau das sein sollte. Dann boten sie an, ihn dorthin zu bringen.

Ich war ungeheuer beruhigt, dass sich beiden jungen Frauen um den gestrandeten blinden Mann gekümmert haben. Diese für die beiden ganz selbstverständlich scheinende Anteilnahme für einen „wildfremden“ hilflosen Mann imponierte mir sehr. Ich konnte sicher gehen, dass sie ihn auch dann nicht sich selbst überlassen würden, wenn sie den Bus nach Österreich auf der A7 nicht mehr finden würden an diesem späten kalten Winterabend."

Soweit der berührende Bericht unserer Leserin.  Uns hat das Schicksal des verirrten Blinden aber nicht in Ruhe gelassen. Deshalb haben wir bei der Polizei in Fulda nachgefragt, was wohl aus dem Mann geworden ist. Und tatsächlich: dort war man sehr wohl informiert, denn der Blinde hatte inzwischen auch die Polizei beschäftigt. Seine Befragung in Englisch hatte schließlich ergeben, dass er aus Mexiko stammt und 24 Jahre alt ist. Aus seiner Heimat war er vor einiger Zeit in die Niederlande gereist, wo wohl ein Freund von ihm lebt, und hatte dort um Asyl ersucht. Von den Behörden hatte er daraufhin eine Identitätskarte bekommen, sein Pass war einbehalten worden. Mit der dort ausgestellten niederländischen ID-Card hatte er sich allein nach München aufgemacht, wo ihm nach eigenen Angaben diese Karte und sein Geld gestohlen worden waren. Das hatte ihn aber nicht davon abgehalten, weiter nach Fulda zu fahren, wo er in der Nacht zum Sonntag gestrandet war. Er gab an, zu seinem Vater in die Ukraine reisen zu wollen. Asyl in Deutschland wollte er ausdrücklich nicht beantragen.

Bei der Polizei hatte man zunächst für eine Übenachtungsmöglichkeit gesorgt und dann die Ausländerbehörde eingeschaltet. Der zuständige Mitarbeiter Matthias Paschen-Hartmann erklärte, der junge Mann sei blind, ansonsten völlig klar und orientiert, jedoch obdach- und mittellos. Da es sich um einen so genannten Dublinfall handele, also eine Einreise aus einem sicheren Drittland, werde er wohl wieder in die Niederlande rücküberstellt. Zunächst war er erkennungsdienstlich behandelt worden und dann an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nach Gießen geschickt worden. Dort bekomme er Papiere, werde er versorgt und über seinen weiteren Verbleib entschieden.

Die Irrfahrt eines Blinden durch viele Länder ist somit noch nicht zu einem guten Ende gekommen. Den Menschen, denen er zufällig in Fulda begegnet ist und die ihm zumindest zu helfen versuchten, wird er noch eine ganze Weile im Gedächtnis bleiben. Carla Ihle-Becker+++