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REGION Die MITTWOCHS-KOLUMNE

WIELOCH schreibt an (21)… die Schrebergärtner im Waidesgrund

Zur Person:In „Wieloch schreibt an“ richtet sich Jochen Wieloch (40) immer mittwochs in einem persönlichen Brief nicht nur an regionale Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Sport oder Kultur, sondern auch an Menschen des Alltags, die in den Tagen zuvor besonders aufgefallen sind und für positive oder negative Schlagzeilen gesorgt haben. Bei der Kolumne handelt es sich um eine Mischung aus Kommentar und Portraitierung, in der Jochen Wieloch mal sachlich, mal emotional lobt, kritisiert und bei Bedarf auch ordentlich Dampf ablässt. Der Petersberger kennt sich in den Medien Print, TV und Internet bestens aus und ist unter anderem als Spezialist für Unterhaltungs-elektronik gefragter Autor für zahlreiche Verlage, Magazine und Fachzeitschriften. Neben dem ZDF, 3sat und dem Bayerischen Rundfunk arbeitete der Germanist unter anderem auch für die Motor Presse in Stuttgart und auto-tv in München.

18.01.17 - Liebe Schrebergärtner,

Kongress statt Kartoffeln, Wohnen statt Weidenbäume, Parken statt Pflaumen: Noch zwei bis drei Jahre, dann müssen Sie raus aus Ihrer grünen Oase. Sie verlieren Ihre Heimat. Den Ort, an dem viele von Ihnen seit Jahrzehnten Ihre komplette Freizeit verbracht haben. Wo Kinder und Enkel aufgewachsen sind. Wo Sie sich mit viel Herzblut Ihr eigenes Paradies geschaffen haben. Wo aus Nachbarn Freunde wurden. Sie werden entwurzelt. Ich kann mir vorstellen, dass Sie traurig, sauer, voller Wehmut sind. 113 Ihrer Schrebergärten – also alle – werden platt gemacht.

Der Grund: Ihre Gärtchen sind Vergangenheit, die Verantwortlichen im Stadtschloss planen unsere Zukunft. Man kann der Stadt dafür keinen Vorwurf machen. Ihr gehört das Gelände. Sie spielt mit offenen Karten, hat große Pläne, wird Sie finanziell entschädigen, Ihnen andere Gärten anbieten. Für die Jüngeren von Ihnen vielleicht ein Neuanfang. Für die Älteren wohl das Aus. Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Ihren Waidesgrund kann Ihnen niemand ersetzen. Freuen Sie sich auf die letzten Sommer im Grünen zwischen Ochsenwiese und Esperanto – auch wenn Ihnen mancher Apfel deutlich bitterer schmecken wird als früher.

Liebe Gartenfreunde, in Hoyerswerda, Bitterfeld-Wolfen oder Roßleben könnten Sie Ihre Gärtchen mit Sicherheit behalten. Diese Regionen bluten aus. Hier braucht man keinen zusätzlichen Wohnraum. Parkplätze oder Kongresszentrum, für wen? Ihr Pech ist, dass Fulda wächst. Die Innenstadt ist zum Wohnen beliebt. Die verkehrsgünstige Lage für Geschäftsleute aus ganz Deutschland ein Pfund. Aus wirtschaftlicher und städtebaulicher Sicht macht es wohl Sinn, Ihre Kleingärten zu opfern. Für Tradition und Nostalgie ist da leider kein Platz. Vielleicht ist es auch gut so, denn sonst würde sich nie etwas verändern. Im Regal hinter mir steht das Jahrbuch des Fuldaer Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums aus dem Jahr 1961. Ich bin erschrocken: Die Schule steht mitten auf der grünen Wiese. Rundherum ist nichts. Gähnende Leere. Wie Apollo 11 einst auf dem Mond. Heute ist das Schulviertel ein Ort voller Leben und eine gefragte Wohngegend. Unvorstellbar vor 50 Jahren.

Liebe Schrebergartenfreunde, wie sieht Ihr Areal an der Ochsenwiese in einem halben Jahrhundert aus? Der Grundstein für die Zukunft wird heute gelegt. Das ist schade für Sie. Aber irgendwie auch spannend. Für Ernest Hemingway war das Merkwürdige an der Zukunft die Vorstellung, dass man unsere Zeit einmal die gute alte Zeit nennen wird. Albert Einstein interessierte weniger die Vergangenheit, sondern stets die Zukunft, „denn in ihr gedenke ich, zu leben“. Suchen Sie sich was aus. Notfalls halten Sie es mit Hermann Hesse: „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“ Ich kenne alte Bäume, die auch an ihrem neuen Standort prächtig blühen.

Mit herzlichen Grüßen,


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