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- Fotos: Michael Mott

FULDA Vortrag von Heimatforscher Michael Mott

Das war die Odyssee der Bonifatius-Bronze aus dem Berliner Reichstag

Vortrag und AusstellungVortrag am 22. Mai, 19.30 Uhr: „Wie Bonifatius in den Reichstag kam“ Referent ist Dr. Andreas Kaernbach, Berlin, der Kurator der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages. Ort: Auditorium Maximum der Theologischen Fakultät, Eduard-Schick-Platz 1, Fulda. Parallel dazu wird die historische Berliner Bonifatius-Bronze ab 23. Mai bis voraussichtlich 18. Juni im Dommuseum ausgestellt (dienstags bis samstags von 10-17.30 und sonntags von 12.30-17 Uhr). Anschließend im Vonderaumuseum, Jesuitenplatz 2, 36037 Fulda (dienstags bis sonntags von 10-15 Uhr).

21.05.17 - Die zwölf Bronzefiguren in der westlichen Vorhalle (Eingangshalle) des Plenarsaales im Berliner Reichstag vom Ende des 19. Jahrhunderts als Teil des von der Kuppel herunterhängenden großen Ringleuchters, dessen breiter Reif einen Durchmesser von acht Metern hatte, haben eine wahre fast unglaubliche Odyssee hinter sich, die bis in unsere Tage reicht. Fertiggestellt wurde der 170 Zentner schwere Leuchter im Jahr 1894 zur Eröffnung des Berliner Reichstagsgebäudes durch Kaiser Wilhelm II., ein Jahr später fand er seinen Platz. Und eine der Bronzen stellt den Heiligen Bonifatius dar.

Mehrfache Rettung der „Metallspende“ in dunkelster Zeit

Als „Metallspende des Deutschen Volkes“, öffentlich von Generalfeldmarschall Hermann Göring ausgerufen, mussten besonders ab dem zweiten Kriegsjahr Anfang 1940 eine unübersehbare Anzahl von Kirchenglocken, Denkmäler, Brunnen, Leuchter, Plastiken – alles Gegenstände aus wertvollem Kupfer, Messing, Tombak, Rotguss, Nickel oder Bronze abgeliefert und auf den sogenannten „Glockenfriedhof“ nach Hamburg gebracht werden. Dieser befand sich auf dem Gelände der Norddeutschen Affinerie AG (NA), wo insgesamt 70.000 t „Altmetall“ angeliefert worden und darauf warteten als kriegswichtige Rohstoffe eingeschmolzen zu werden. Darunter befanden sich auch jene zwölf bronzene Figuren aus der mittelalterlichen deutschen Geschichte, je 80 cm hoch und 40 kg schwer, die Teil des gründerzeitlichen Ringleuchters aus dem Reichstagsgebäude waren.

 Die Figuren hatten zuvor schon den Reichstagsbrand von 1933 schadlos überstanden und wurden auch in Hamburg nicht durch die Nationalsozialisten eingeschmolzen. Mutige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der NA hatten das Einschmelzen zum Nutzen der Rüstungsindustrie verhindert, indem sie entsprechende Befehle des Rüstungsministers unterliefen in dem sie eine Anzahl von Kirchenglocken und andere wertvolle Exponate, darunter auch die zwölf Bronzeskulpturen in einer angemieteten Kiesgrube bei Lauenburg am Elbe-Trave-Kanal vergraben und vor dem Zugriff der Nazis und vor den massiv einsetzenden Bombenangriffen auf den Hamburger Hafen geschützt haben.

 Auch nach dem Krieg ging die Odyssee der zwölf Bronzefiguren weiter. Im Dezember 1947 stufte die Abteilung „Monuments, Fine Arts and Archives“ der britischen Militärregierung die zwölf Bronzen deutscher Geschichte als „kulturell wertlos“ ein. Auch in der Vier-Sektoren-Stadt Berlin zeigte keine Institution Interesse an den zwölf Figuren. Die Bundesbaudirektion teilte der Norddeutschen Affinerie AG (NA) mit, dass keine Bedenken bestünden, die Einzelteile des Ringleuchters einschmelzen zu lassen. Dies tat die NA nicht und bewahrte die Figuren damit ein zweites Mal vor der Zerstörung. Im Sommer 1982 reiste die damalige Bundestags-Vizepräsidentin Annemarie Renger, die 1979 die Kunstkommission des Bundestages gegründet hatte, auf Einladung der NA nach Hamburg und entschloss sich spontan, die Bronzen im Berliner Reichstagsgebäude an prominenten Standort zu präsentieren. Noch im Herbst 1982 fanden sie schließlich im Nord- und Südeingang des Reichstagsgebäudes einen prominenten Standort.

Ernst Kramer nahm mit Albert Speer 1931 Bronze in Augenschein

Nun griff der Fuldaer Barockexperte und Privatgelehrter Architekt Ernst Kramer (1909-1993) ins Geschehen ein. Im Laufe seiner Ausbildung, absolvierte Kramer auch ein Bauentwurfsseminar an der Fakultät für Bauwesen an der Technischen Hochschule in Berlin bei Architekt Prof. Heinrich Tessenow. Unter Leitung von dessen Assistenten, Albert Speer, unternahmen die Studenten etwa im Jahre 1931 aber vor dem Reichstagsbrand eine Besichtigungsexkursion durch das Reichstagsgebäude. Dabei erregte besonders der große Bronzeleuchter Kramers Interesse, zumal er „mit Freude und Genugtuung“ dem Hl. Bonifatius ansichtig wurde. Bei Speer handelte es im Übrigen um den Architekten Prof. Albert Speer, der später unter Hitler „Generalbauinspektor für die Welthauptstadt Germania“ wurde und dessen Mitarbeiter Kramer von 1936 bis 1939 auch war.

Nach Kramers Ausführungen im Magazin Fuldaer Domspatz 1/92 vom 15. Januar 1992, hatte der Privatgelehrte von der Rückführung nach Berlin erfahren, an die Verwaltungsbehörde des Deutschen Bundestages geschrieben und nachgefragt ob die Skulpturen besichtigt werden könnten. Er erhielt Nachricht, daß zwei der acht Figuren bereits ausgepackt seien, darunter Bonifatius. Seine Anfrage, ob man jemand von Fulda nach Berlin entsenden könne, der vielleicht einen Abguß machen dürfe, wurde negativ entschieden, doch eine Fotomöglichkeit gerne zugelassen. Da Ernst Kramer sich zu dieser Zeit wegen seines Alters als „marschunfähig“ bezeichnete, bat er seinen Nachbarn und Gönner, den ehemaligen Fuldaer Oberbürgermeister Dr. Alfred Dregger, unter anderem Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ihm ein Foto zu besorgen. Er teilte ihm auch mit, in welchem Flur dort Bonifatius abgestellt sei, um dort von Reisenden aus Fulda begrüßt zu werden. Zu seinem 82. Geburtstag 1991 erhielt nun Kramer von Dr. Dregger einen Umschlag mit Fotografien von der Figur.

Aus Berliner Depot kamen die Leuchterfiguren 2007 wieder nach Hamburg

Im Sommer 1995 wurde der Reichstag vom Architekten Sir Norman Foster umgebaut und die Gründerzeit-Bronzen wanderten in ein Depot nach Berlin-Treptow, in dem sie für zwölf Jahr in Holzkisten als Bestand der Kunstsammlung des Deutschen Bundestages lagerten. Ein glücklicher Aktenfund während interner Recherchearbeiten im firmengeschichtlichen Archiv der NA brachte den Vorgang 2006 wieder ans Tageslicht und die Bronzen wurden mit Genehmigung des Kunstbeirates des Deutschen Bundestages wieder zu Ausstellungszwecken nach Hamburg gebracht, was auch als Dank des Deutschen Bundestages für das bürgerschaftliche Engagement der Firma zu verstehen ist.

Im September 2007 eröffnete Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust und Dr. Werner Marnette, Vorstandsvorsitzender der NA im Rathaus die Ausstellung „Zwölf Bronzen – eine Odyssee“. Die Ausstellung sollte im Anschluss auf dem Firmengelände der NA zu sehen sein. Dann wurden die Skulpturen wieder in Container gepackt und auf dem Gelände de NA in Hamburg gelagert 1), die am 25. April 2016 ihre Reise nach Berlin antraten. Zwei Skulpturen – Martin Luther und Otto I. von Wittelsbach – waren aber schon früher nach Berlin zurückgekehrt und sind inzwischen wieder in der parlamentsgeschichtlichen Ausstellung des Deutschen Bundestages im sogenannten Deutschen Dom auf dem Berliner Gendarmenmarkt zu sehen.

Fotos: Tobias Koch / Berlin

MdB Michael Brand und Prof. Dr. Lammert setzten Schlussakkord

Der Fuldaer Heimatkundler Michael Mott und seine Frau hatten sich in Kenntnis von den Bemühungen Ernst Kramer und Dr. Alfred Dregger im Herbst 2006 und Frühjahr 2008 in einem Schreiben an den seit 2005 in Berlin tätigen Fuldaer Bundestagsabgeordneten Michael Brand gewandt, mit der Bitte um Klärung der Frage, wo „unser Fuldaer“ Bonifatius abgeblieben sei, der ihm vielleicht bei seiner sicherlich nicht leichten Tätigkeit in Berlin „hilfreich zur Seite stehen könnte“. MdB Michael Brand setzte sich deswegen am 13. März 2008 mit dem Präsident des Deutschen Bundestages Prof. Dr. Norbert Lammert in Verbindung und bat ihn um Unterstützung bei der Recherche über den Verbleib der Bronzefigur „Bonifatius“. Bereits am 31. März 2008 antwortete Prof. Dr. Lammert und machte auf einen Katalog der NA anlässlich der Hamburger Ausstellung im Herbst 2007 aufmerksam.

Nach der Hamburger Ausstellung fand Bonifatius nicht wieder den Weg nach Berlin zurück, sondern fristete in einem Container irgendwo auf dem großen Hamburger Firmengelände ein wenig würdiges Dasein. MdB Michael Brand war nun eifrig bestrebt mit dem Ehepaar Mott "unseren Bonifatius“ in Hamburg aufzusuchen. Doch verschiedene Gründe verhinderten ein Besuch und als Ende April 2016 schließlich ein Termin feststand, kam schließlich überraschend die Nachricht: „Unser Bonifatius ist im Container auf dem Weg nach Berlin“. Also wurde umdisponiert und „Auf nach Berlin“.

Nun, am 10. Mai 2016 war bei „Kaiserwetter“ der große Tag. Im geschichtsträchtigen Berliner Schadow-Haus – dem letzten erhaltenen klassizistischen Gebäude in Berlin in der Schadowstraße 10, das nach umfangreicher Restaurierung 2013 an den Deutschen Bundestag übergeben wurde und u.a. als Büro und Depot für den Kunstbeirat und die Kunstsammlung des Deutschen Bundestages dient, stand die gerade frisch aus Hamburg zurückgekehrte Bonifatius-Bronze im Mittelpunkt. Die stellvertretende Leiterin des Referates „Kunst im Deutschen Bundestag“ Frau Kristina Volke begrüßte die Gäste, zu denen sich auch Bundestagspräsident Prof. Dr. Nobert Lammert gesellte. MdB Brand und Michael Mott sprachen erläuternde Worte rund um die Bonifatius-Figur. Nach Übergabe des Fuldaer großformatigen Aufsatzbandes „Bonifatius: Vom angelsächsischen Missionar zum Apostel der Deutschen“, Michael Imhof-Verlag, 2004 an den zweithöchsten deutschen Repräsentanten, wo auch Mott mit einem Beitrag vertreten ist, wurde mit dem aus der Bonifatiusstadt Fulda mitgebrachten Jupp Hahners „Bonifatiustropfen“-Likör auf Bonifatius glückliche Rückkehr (mit Ausnahme des Sicherheitspersonals) angestoßen.

Leuchter als Krönung von Standbild Kaiser Wilhelm I.

Das Bildprogramm dieses Ringleuchters führte mehrere Deutungen zusammen: Das Parlament als Inbegriff der endlich erlangten Einheit Deutschlands verkörperte die säkulare nationale und evangelische Form des Himmlischen Jerusalems. Zugleich unterstrich der Leuchter durch die Aufnahme des Mythos von Barbarossa und die damit verbundene Bezugnahme auf die vorhergehenden Kaiser bis zurück zu Karl dem Großen den dynastischen Anspruch der Hohenzollern. Zusammen mit der achteckigen Kaiserkrone krönte ihre Burg, gleichfalls als irdisches Abbild des Himmlischen Jerusalems, den Leuchter.

Einst waren die Skulpturen Mittelpunkt eines umfassenden Bildprogramms, das vom Architekten des Reichstagsgebäudes, Paul Wallot (1841-1912), und verschiedenen Kommissionen zur bildnerischen Ausstattung entwickelt wurde. Schließlich rückte die Eingangshalle zum Plenarsaal, die westliche Hallenrotunde, in den Mittelpunkt des Bildprogramms. Sie wurde hervorgehoben durch eine eigene kleine Kuppel. In ihrem Mittelpunkt war ein Standbild von Kaiser Wilhelm I. aufgestellt. Hervorgehoben und gekrönt wurde das Standbild von dem Ringleuchter mit seinen zwölf Bronzefiguren.

Wallot konnte nun auf ein Bildprogramm zurückgreifen, dessen Grundzüge der Historiker Hans Delbrück (1848-1929) bereits 1892 in seinem Auftrag entwickelt hatte, und zwölf historische Persönlichkeiten, die für das Werden des Deutschen Reiches in Mittelalter und beginnender Neuzeit entscheidende Bedeutung gehabt haben. Realisiert hat dieses Bildprogramm zum einen Oskar Dedreux (1854-1929) durch die Gestaltung des Leuchters in der Augsburger Fabrik Riedinger, zum zweiten der Bildhauer August Vogel (1859-1932) durch die Gestaltung der Skulpturen. Angesichts der Schwere des Leuchters von 170 Zentnern musste eine eigene motorgetriebene Aufhängung entwickelt werden.

Die historischen Figuren des Riesenleuchters
Die Figuren in der Reihenfolge, wie sie im Hamburger Ausstellungskatalog von 2007 aufgeführt sind:

1. WULFILA, griechisch Ulfilas, westgotischer Bischof und Bibelübersetzer, geboren um 311, gestorben um 383 wahrscheinlich in Konstantinopel;

2. BONIFATIUS, angelsächsischer Benediktiner und Missionar (Apostel der Deutschen), geboren um 622 in Wessex, gestorben am 5. Juni 754 bei Dokkum in Friesland; 2)

3. ROLAND, Hruodlandus, Graf der Bretonischen Mark und Sinnbild bürgerlicher Freiheit der Städte, Geburtsjahr unbekannt, gestorben am 15. August 778 in Roncesvalles;

4. EGINHARD (Einhard), Berater, Gesandter und Baumeister Karls des Grossen, geboren um 770 im Maingau, gestorben am 14. März 840 in Seligenstadt am Main;
(Einhard hatte auch etliche Verbindungen zum Kloster Fulda, wo er erzogen wurde und als Urkundenschreiber zwischen 788 und 791 belegt ist. 794 wurde er von Abt Baugulf an die Hofschule gesandt, wo er Schüler Alkuins wurde);

5. GERO, Markgraf der Elbmark, Feldherr, geboren um 900 als Sohn des Grafen Thietmar, gestorben am 20. Mai 965;

6. BRUNO I. (Brun von Sachsen), Erzbischof von Köln, Heiliger; geboren 925 als Bruder Ottos I., des großen, gestorben am 11. Oktober 965 in Reims;

7. MARKGRAF HERMANN BILLUNG, Stellvertreter von König Otto I. im Herzogtum Sachsen, geboren zwischen 900 und 912, als Sohn wohlhabender Eltern mit Besitzungen in Sachsen und Thüringen, gestorben am 27. März 973 in Quedlinburg;

8. REINHARD VON DASSEL, Reichskanzler und Erzbischof von Köln, geboren um 1120, gestorben am 14. August 1167 bei Rom;

9. OTTO I. VON WITTELSBACH, Herzog von Bayern, Ratgeber von Kaiser Friedrich I. Barbarossa, geboren um 1120 als ältester Sohn des Pfalzgrafen Otto V. von Wittelsbach aus dem Hause des Grafen von Scheyern, gestorben am 11. Juli 1183 in Pfullendorf;

10. HERMANN VON SALZA, Hochmeister des Deutschen Ordens, Berater und Diplomat Kaiser Friedrich II., geboren um 1170, gestorben am 20. März 1239 in Salerno;

11. ALBERTUS MAGNUS, Naturforscher, Philosoph, Theologe und Bischof von Regensburg, geboren um 1200 in Lauingen an der Donau, Sohn von Markward von Lauingen, gestorben am 15. November 1280 in Köln;

12. MARTIN LUTHER (urspr. Luder), Theologie-Professor, Reformator, geboren am 10. November 1483 in Eisleben als Sohn des Bergmanns Hans Luther und dessen Frau Margarete, gestorben am 18. Februar 1546 in Eisleben.

Es soll noch angeführt werden, dass sicherlich auch die früheren Fuldaer Reichstagsabgeordneten „unseren“ Bonifatius entdeckt und bestaunt haben. Zu denken ist zum Beispiel an den millionenschweren Parlamentarier Richard Müller (1851 – 1931), der als Kandidat der Zentrumspartei zunächst für den Wahlkreis Regierungsbezirk Kassel 7 (Fulda, Schlüchtern, Gersfeld) 1893 in den Reichstag einzog. Fabrikbesitzer Müller, dem Reichskanzler Bernhard Fürst von Bülow zweimal erfolglos das Amt des deutschen Finanzministers angeboten hatte, zog sich 1920 aus dem deutschen Parlament zurück, nahm sein Mandat nicht mehr an. (Michael Mott) +++


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