Fünf Tage und fünf Nächte Bibellesung in der Martinskirche - überwältigende Beteiligung

28.05.17 -
Kein Ereignis hat unsere Sprache so geprägt wir Martin Luthers Übertragung der Bibel ins Deutsche. Dass er damit auch der des Lateinischen nicht mächtigen Allgemeinheit das Wort Gottes zugänglich machte, zählt zu den großen Errungenschaften der Reformation. Um beides zu feiern, hat sich die Evangelische Martinskirchengemeinde entschlossen, den gesamten Text der Bibel, einschließlich der Apokryphen, in der Martinskirche zu lesen. Die Lesung dauerte fünf Tage und fünf Nächte. Neben einem festen Team aus der Martinsgemeinde beteiligten sowohl religiöse Spezialisten wie auch ehrenamtliche Prädikanten und Lektorinnen und zahlreiche Laien. Die christlichen Konfessionen waren ebenfalls vertreten: ob römisch-katholisch, altkatholisch, lutherisch, calvinistisch, baptistisch – Christen aller Couleurs beteiligten sich an der Lesung in der Kanzel aus der Altarbibel Luther 2017.

„Priestertum aller Gläubigen live“ – resümiert Gemeindepfarrer Karl-Heinz Barthelmes dankbar, „das gemeinsame Pilgern durch alle Bücher der Bibel hatte einen reinigenden Effekt für die Seele!“. Neben bekannten Texten kamen auch die abgelegenen und weitgehend unbekannten Stellen zum Tragen. Erstaunlich, dass der kontinuierliche Lesefluss kein Mal unterbrochen wurde. Selbst schwierige Passagen wurden gemeistert: eine Leserin etwa, die x-mal die Vokabel der unterschiedlichen Opfervorschriften aus 3. Mose verlas, meldete sich am gleichen Tag mit der Bitte um eine weitere Lesung an.

Erstaunlich gut hielten die Konfirmanden Wort, die die erste Nacht bestritten. Sogar die große Ansammlung von Namen und Zahlen aus Stammbäumen und Stämmen Israels nach dem Auszug aus Ägypten wurden aufmerksam und verständlich vorgetragen. Mancher hatte andere Texte als die normalerweise Bevorzugten. Eigens zum Ausprobieren reisten Leute aus dem Kreisgebiet auch zur Nacht an. Tapfere Leser füllten alsbald die ursprünglichen Leerstellen der ständig gewachsenen Übersicht, die aus Gründen des Datenschutzes vorab ohne Namen bekanntgegeben wurde. Eine Braut kam vor ihrer Hochzeit zur Lesung des  "Hohen Liedes der Liebe“ nach Salomo. Großartige Rückmeldung kam ebenfalls von ursprünglich skeptischen Hörern/Lesern. Kirchenferne und der Kirche verbundene kamen zusammen, die sonst kaum Gelegenheit, Zeit und Willen haben, sich auszutauschen. Bibellese als eine Tranzendenzerfahrung im meditativ illuminierten Kirchraum.

Den jeweils anderen Text spürbar, hörbar werden und atmen zu lassen; die Bibel von Luther für alle ins Deutsche übersetzt, damit möglichst viele Zugang zur Bibel bekommen können. Spirituelle Erfahrung aktiv zu machen, Glaube kommt aus dem Hören, aber eben auch aus dem lebendigen Weitersagen der Frohen Botschaft. Dass auf über 1000 Seiten im Alten Testament und den Apokryphen nicht explizit von Jesus die Rede war, machte den ein oder anderen bereits ganz neugierig auf die rund 300 Seiten des Neuen Testaments. Beeindruckend las eine leseerfahrene ältere Dame aus dem Buch der Makkabäer. Die Lesegeschwindigkeit variierte je nach persönlichem Habitus und wurde neben einem Bild der jeweiligen Leserin auf einer Tonspur aufgezeichnet.

„Von dieser Komplett-Lesung der Luther Bibel 2017 werden viele noch lange zehren“ sind sich die Veranstalter der Gemeinde mit Pfarrer Karl-Heinz Barthelmes und dem ehemaligen Festspielintendanten Holk Freytag einig. Ein unvergessenes Erlebnis für all jene, die mitgemacht haben bzw. auch mitmachen wollten. In den Morgenstunden mit einem kurzen musikalischen Beschluss und einem gemeinsamem Vaterunser endete die Komplettlesung. Jenen, die sich ebenfalls noch oder wieder zur Verfügung gestellt haben, sei an dieser Stelle ausdrücklich im Namen der Martinskirchengemeinde gedankt.
(Telefon 06621-2801 oder Mail: [email protected] ) (pm/gs)