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Die Reisegruppe am Fuße der Sigismundsäule am Schlossplatz des Warschauer Schlosses - Foto: privat

SCHLÜCHTERN Studien- und Begegnungsreise nach Polen

Förderverein besucht Jarocin und Warschau - "Großartige Reise"

04.06.17 - "Großartig" war das einmütige Urteil der 35 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 13. Studien- und Begegnungsreise des Fördervereins für Städtepartnerschaften nach Polen unter der Gesamtleitung des Vorsitzenden des Vereins, Stadtrat Reinhold Baier. Generalstabsmäßig organisiert und fürsorglich betreut wurde sie wiederum von Peter Lotz. Die administrative Projektierung von Seiten der Stadtverwaltung wurde wie seit mehreren Jahren in bewährter Weise von Sachgebietsleiterin Kerstin Baier-Hildebrand gemanagt.

Es war mit sieben Tagen die bisher längste Reise des Fördervereins ins Nachbarland Polen, da sie zum ersten Mal einen zweitägigen Besuch der Hauptstadt Warschau mit einschloss. Die Gruppe rekrutierte sich überwiegend aus Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus dem Bergwinkel; für ein Drittel von ihnen war die Fahrt eine Premiere. Ihren Anfang nahm die jetzt schon zur Tradition gewordene Studien- und Begegnungsreise nach Polen unmittelbar nach der Grundsteinlegung der Städtepartnerschaft zwischen Schlüchtern und Jarocin und der Gründung des Fördervereins im Jahr 2003. „Es gibt weit und breit keine andere Stadt in Hessen, die ihre Beziehungen mit ihrer polnischen Partnerstadt so konsequent und nachhaltig gestaltet und pflegt wie Schlüchtern“, erklärte der Vorsitzende. Dies sei vorwiegend „dem Engagement des Fördervereins, der Schulen, der Feuerwehren und vieler privater Initiativen“ zu danken.

Die diesjährige Fahrt führte über die - auch wegen der VW-Produktion – wirtschafts-starke Messestadt Posen in die Hauptstadt Warschau, die im Zweiten Weltkrieg zu 80 Prozent zerstört worden war. Historisch aufs Genaueste restauriert, präsentierte sie sich mit Schloss und Altstadt eindrucksvoll den Gästen in ihrem alten Glanz. Aber auch der mit 237 m hohe Kulturpalast aus dem Jahr 1955, ein Geschenk der Sowjet-union an ihren treuen Verbündeten Polen, seinerzeit das zweithöchste Gebäude Europas, zählt heute zu den unbestrittenen Wahrzeichen der 1,7 Millionen Stadt. Gedrückt verharrte die Gruppe vor dem Ghetto-Denkmal für Hunderttausende ermordeter Warschauer Juden und in Erinnerung an Willy Brandts Kniefall 1970 sowie am Denkmal, das den Kämpfern des Warschauer Aufstands vom August 1944 gewidmet ist. Überlebende Kombattanten des Aufstandes kamen in deutsche Konzentrationslager, u. a. in das Arbeitslager „Katzbach“ der Adlerwerke in Frankfurt M, von wo sie in den letzten Kriegswochen auf ihrem Todesmarsch nach Mittel-deutschland auch durch Schlüchtern getrieben wurden. Die auf dem Todesmarsch Verstorbenen und Umgebrachten wurden später als „unbekannte polnische Kriegstote“ auf dem Schlüchterner Ehrenfriedhof beigesetzt.

Erstmals nahm Peter Lotz auch einen Besuch in die 130 km südwestlich von Warschau gelegenen Stadt Lodz mit ins Programm auf, der drittgrößten Polens. Früher Zentrum der europäischen Textilindustrie, auch „Manchester Polens“ genannt. Heute weltweit bekannt und geschätzt wegen seiner Filmindustrie und seiner Filmhochschule, aus der Regisseure wie Roman Polanski und Andrzey Waida gekommen sind. Die Besucher aus Schlüchtern staunten über die architektonische und künstlerisch ansprechende Umgestaltung der früheren Manufakturen zu einem Einkaufs- und Erlebniszentrum und genossen bei schönstem Frühlingswetter und polnischen Spezialitäten das einzigartige Ambiente.

Breslau stand als nächste Stadt auf dem Besuchsprogramm. Obwohl die Stammgäste der Studien- und Begegnungsreisen schon etliche Male die Hauptstadt Schlesiens besucht hatten, machten sie wieder neue Entdeckungen in der Stadt, in der, wie es ein Teilnehmer zitierte, bis zum Kriegsende „jeder Stein deutsch gesprochen“ hat. Anders als noch vor einigen Jahren, berichten die Stadtführer heute ohne Scheu objektiv und ausführlich über die Geschichte der alten deutschen Stadt, den Dom, das Rathaus und den Marktplatz, den zweitgrößten aller Städte in Mittel-Ost-Europa. Breslau lernten die Besucher aus Schlüchtern aber auch als ein Symbol der „doppelten Vertreibung“ kennen. In der Stadt, aus der die Deutschen vor der Roten Armee flohen und vertrieben wurden, siedelte die neue polnische Regierung Vertriebene aus Ostpolen an, die ihre Heimat an die Sowjetunion abtreten mussten.

Wie stets wurden die Gäste aus Schlüchtern in Jarocin sehr gastfreundlich empfangen. Robert Kacmierczak, stellvertretender Bürgermeister der Partnerstadt und rühriger und erfolgreicher Kulturdezernent, zugleich ein verlässlicher und engagierter Repräsen-tant des Partnerschaftsvereins Jarocins, zeigte den Gästen voller Stolz die renovierten und für kulturelle Zwecke umgestalteten Bauwerke, darunter das ehemalige Schloß des Fürsten Radolin, eines preußischen Gesandten, der mit dem Diplomaten und kaiserlichen Außenminister Richard von Kühlmann (Schloß Ramholz) befreundet war. Einige Teilnehmer, die schon in den Jahren vor der offiziellen Gründung der Partnerschaft in Jarocin waren, wie Peter Lotz, Reinhold Baier, Hartmut Jäger und Ernst Müller-Marschhausen, berichteten den „Neuen“ immer wieder voller Bewunderung darüber, wie sich die Stadt innerhalb nur eines Jahrzehnts modernisiert und „herausgeputzt“ hat. Robert Kacmierczak erklärte dazu, dass man diese Erfolge, wie etwa die Umgestaltung des Radolin-Schlosses, nur mit Mitteln der Europäischen Union habe bewältigen können.

Einen Höhepunkt der Studien- und Begegnungsreise bildete auch dieses Mal der traditionelle „Jarocin-Schlüchterner Freundschaftsabend“, ausgerichtet von beiden Partnerstädten im „Stammrestaurant Fiesta“. Beide Bürgermeister, der Jarociner Adam Pawlicki, und Schlüchterns Stadtoberhaupt Matthias Möller, der eigens für dieses Treffen angereist war, begrüßten als gemeinsam Einladenden die Gäste aus Schlüchtern und die zahlreichen Repräsentanten der Jarociner Schulen, Vereine und Feuerwehren. Von polnischer Seite wurde positiv kommentiert, dass es sich Bürger-meister Möller nicht hat nehmen lassen, schon in seinem ersten Amtsjahr seinem polnischen Kollegen und den Bürgern der Partnerstadt einen „Antritts-Besuch“ abzustatten. In seinem launigen Grußwort stellte Matthias Möller seinen Mitbürgern aus dem Bergwinkel mehrere „Prüfungsfragen“, um festzustellen, was von den vielen Informationen über „Land und Leute in Polen“ hängen geblieben ist und ob sich die „Studien- und Begegnungsreise“ auch hinsichtlich ihres „Bildungseffekts“ gelohnt hat.

Ehe die Heimreise angetreten wurde, erlebten die Gäste aus Schlüchtern einen musikalischen Hochgenuss: Die Jarociner Gastgeber hatten den Auftritt des international renommierten „Kammerorchesters ‚Amadeus’ des Polnischen Rundfunks“ unter der Dirigentin Agnieszka Duczmal umterminiert, um der Reisegruppe aus Schlüchtern an ihrem letzten Tag noch die Möglichkeit zum Besuch des Konzerts dieses Spitzenorchesters zu ermöglichen. Die Beethoven-Sonate, die Tschaikowski Serenade und Franz von Suppés „Leichte Kavallerie“ waren „für uns ein Erlebnis der besonderen Art“, bedankte sich Vorsitzender Reinhold Baier, „ein schöneres Geschenk zum Abschied hättet Ihr uns nicht machen können.“

Ressümée und Rückblick des Vorsitzenden Reinhold Baier

In einem Resümée und Rückblick auf die Reise fasst Vorsitzender Reinhold Baier prägende Beobachtungen und Eindrücke zusammen. Mit einem gewissen Bedauern merkte er an, dass die allgemeine „Polen-Begeisterung“, die vor zehn, zwanzig Jahren in unserem Land vorherrschte, „spürbar zurückgegangen“ seit. Ausgenommen davon seien die engen freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Menschen beider Partnerstädte Schlüchtern und Jarocin. Es sei zu hoffen, dass sich die „europakritische Politik der derzeitigen Regierung“ nicht auf die Städtepartner-schaften auswirke. Schlüchtern sei vor bald eineinhalb Jahrzehnten die Städtepartnerschaft mit Jarocin auch deshalb eingegangen, um auf diese Weise „einen Baustein zum Bau des vereinten Europa“ beizusteuern. Jetzt beobachte man, dass sich die polnische Regierung von der EU „wegzubewegen“ scheint. Augenfällig würden solche Tendenzen, wenn etwa bei Staatsbesuchen von Merkel bei der polnischen Regierungschefin oder beim Besuch Steinmeiers beim polnischen Staatspräsidenten zwar die deutsche und die polnische Flagge gezeigt würden, aber die Europaflagge „ostentativ weggelassen“ würde.

Die Besuchergruppe aus Schlüchtern, so Baier, sei aus dem Staunen über die modernen und aufs Beste ausgebauten polnischen Autobahnen mit einer Vielzahl technisch und architektonisch eindrucksvoller Brücken und „unendlich langer“ Schallschutzwände nicht herausgekommen. Scherzhaft habe eine polnische Führerin gesagt, Polen habe die längsten Schallschutzwände Europas, selbst dort, wo nur ein Stück Wald zu schützen sei. Der wirtschaftliche Aufschwung Polens, so Baier, sei aber nur durch die Unterstützung der EU zustande gekommen. Polen sei mit rund zehn Milliarden Euro jährlich der größte Nettoprofiteur, Deutschland mit rund 15 Milliarden Euro der größte Nettozahler. Gerade diese „Diskrepanz zwischen dem materiellen Nutzen, den Polen von der EU hat, und der Distanzierung der polnischen Regierung von Brüssel“ habe bei den Besuchern aus Schlüchtern ein „gewisses Kopfschütteln“ verursacht. Noch mehr Irritationen habe die Weigerung Polens hervorgerufen, seinen früheren Ministerpräsidenten Donald Tusk zum EU-Ratspräsidenten mit zu wählen und sich durch sein „Nein“ von den übrigen 27 EU-Staaten zu separieren.

Baier betonte abschließend, dass die 13. Studien- und Begegnungsreise trotz „einer gewissen Abkühlung auf der politischen Ebene“ eine Fülle „neuer und wichtiger Eindrücke von unserem Nachbarland“ vermittelt und die „Freundschaft mit den Menschen in unserer Partnerstadt gefestigt“ habe. +++


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