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- Foto:Hans Scherhaufer

REGION Exklusiv-Interview mit Wolf Biermann

Von frechen Laudatoren, Angela Merkels Ängsten und Menschengärtnern

15.06.17 - O|N: Lieber Wolf Biermann, am Samstag bekommen Sie in Rasdorf verdientermaßen den Point-Alpha-Preis. Waren Sie schon mal in der Gedenkstätte?

WB: Nein, noch nie.

O|N: Point Alpha wurde immer als `die heißeste Stelle des Kalten Krieges` apostrophiert, weil sich dort NATO und Warschauer Pakt unmittelbar gegenüberstanden.

WB: Das bezweifle ich. Weil das Angeberei ist. Ich vermute, das war in der Zeit des Kalten Krieges eine ganz besonders interessant falsche Idylle. In einer Zeit unglaublicher brutaler Spannung bis an den Rand der Selbstvernichtung der Menschheit durch Atomkrieg muss das eine geradezu makabre Idylle gewesen sein. Soldaten haben sich gegenseitig belauert.

Wolf Biermann mit seiner Mutter Emma

Die FDJ-Zeitung "Junge Welt" prophezeite: Dieser junge Pionier aus Hamburg spricht ...


O|N: Wir dachten nach der Wende naiverweise, der Kalte Krieg gehöre nun endgültig der Vergangenheit an. Belehrt uns die Geschichte bzw. Donald Trump jetzt eines Schlechteren?

WB: Nein. Diese Lektion ereilt nur Leute, die Träumer sind, die nicht wissen, dass das Leben immer unerträglich ist, immer zu schwer, die Konflikte, die man gerade lösen muss, sind immer die größten und in irgendeine Idylle wird die Menschheit niemals kommen, solange sie existiert. Diese Idylle, von der manche Menschen träumen, wird erst stattfinden, wenn die Menschheit sich ausgerottet hat. Wie ich es geschrieben habe in meiner Bilanzballade im achtzigsten Jahr, da heißt es nämlich:
`Dies irdische Höllenparadies
ist schön und hässlich wird´s bleiben:
Schön bunt und blutig ungerecht
Der Mensch wird sich selbst vertreiben
von Mutter Erde: Im letzten Krieg
hilft keine Vernunft mehr, kein Beten
ein toter Stern wird der Erdball sein
Planetchen nackt unter Planeten`
Und gemessen an diesen Versen war auch der Kalte Krieg eine schöne Zeit - immerhin war es kein heißer Krieg, was jemand wie ich, der noch die Brandwunden vom heißen Krieg am Hintern hat und in der Seele, ermessen kann. Aber auch, wenn man diese Wunden nicht hat, kann man das ermessen, denke ich.

In Biermanns Wohnung in der Chausseestraße mit Mutter Emma und Manfred Krug ...

"Die junge Nina Hagen, 1970, schnappgeschossen mit versteckter Kamera aus einem Loch ...

In Biermanns MfS-Akte fand sich das Foto von der unvollendeten Mauerinschrift "Biermann ...


Ich finde nicht, dass es jetzt so viel schlimmer ist, weil dieser Trottel da das Weiße Haus erobert hat. Der ist nach meiner Meinung genauso ein gefährlicher Dummkopf wie der Putin, aber mit einem ganz wichtigen Unterschied. Er ist eingebunden in eine funktionierende Demokratie - Gewaltenteilung - und kann nicht seinem Affen Zucker geben, wie er will. Und deshalb macht der mir überhaupt keine Angst. Der kann zwar viel Schlimmes machen und verderben und könnte die Menschheit vielleicht in einen Krieg reinreißen, aber er hat nicht diese Gottesmacht - und das beruhigt mich sehr.

O|N: Sie sind ungemein abgeklärt!

WB: Nööö, gar nicht. Der ärgert mich so, weil ich ja nun auch noch zu den Menschen gehöre, nicht zu den Abgeklärten, ärgert der mich in dieser und jener Hinsicht wie andre Leute auch. Aber man muss ja auch bei aller Empörung wissen, wo Gott wohnt und wie das Maß der Dinge ist in der Welt, in der man lebt. Und das gehört auch zur geistigen und moralischen Hygiene eines Menschen, dass man da nicht hysterisch ist. Diese Gefahr, dass man abstumpft, ist nicht größer als die Gefahr, dass man hysterisch reagiert - das sind nur die zwei Gegenteile derselben Dummheit.

Mit seinen Kindern, den Zwillingen Til und Marie (3), Felix (9) und Benjamin (8) ...

Wortlose Umarmung mit Heiner Müller auf der Buchmesse 1992

Mit Tochter Nelli, den Söhnen David und Lukas und seiner Frau Pamela


O|N: Sie waren schon einmal in Osthessen, nämlich beim Hessentag in Hünfeld. Da hatten Sie einen Auftritt und haben zum großen Erstaunen für alle, die dort waren, etwas über Wladyslaw Szpilman und Wilm Hosenfeld erzählt, die hier kaum einer kannte.

WB: Den Pianisten, ja - wie dann der Film von Roman Polanski hieß. Dass das Buch überhaupt wieder aus dem Bücherschrank von Wladyslaw Szpilman, dem Pianisten, wieder rauskam aus der zweiten Reihe, wo er es hingestellt hatte, damit seine Kinder es nicht lesen, ja nicht mal wissen sollten, dass sie einen jüdischen Vater haben, der im Ghetto überlebte, lag nur daran, dass ich Zahnschmerzen hatte. Es klingt wie ein blöder Witz und es ist die Wahrheit: nur, weil ich Zahnschmerzen hatte, kam dieser Roman raus, in Deutsch und in vielen Sprachen der Welt. Denn der Sohn von dem Pianisten ist doch der Zahnarzt Jerzy Szpilman, der hat mich gebohrt und repariert. Und dann hab ich mich mit ihm angefreundet. Dann erzählt man sich doch gegenseitig erstmal seine Familiengeschichte, woher man kommt, was einen geprägt hat und was man für tolle Sachen erlebt und überlebt hat - und da hat er mir ein Buch gezeigt vom Rowohlt-Verlag, das hieß glaub ich zwanzig polnische Erzähler, einer der üblichen Sammelbände, die von Literaten herausgegeben werden, denen selber nichts einfällt. Da war eine Erzählung von drin, nämlich die Szene, die man aus dem Film kennt, wo er auf dem Umschlagplatz, wo die Transporte nach Treblinka abgingen, wo die Juden in die Waggons getrieben wurden im Warschauer Ghetto, geprügelt von jüdischen Polizisten, die als Waffe nur Knüppel haben durften - und diese Szene schildert der Szpilman in seinem Buch. Dann hab´ ich meinem neuen Freund, dem Zahnarzt nach dem Buch gefragt, aus dem das stammt. Sagt er, das gibt es nicht mehr, das liegt bei meinem Vater im Bücherschrank in der hinteren Reihe. Wir haben es als Kinder dann doch entdeckt und haben gelesen, was wir nicht sollten, denn der Vater wollte nicht mehr davon reden, der wollte wieder ein Musiker werden, ein Komponist, ein Klavierspieler. Dann hab ich dafür gesorgt, dass dieses Buch ins Deutsche übersetzt wurde. Der Verlag wollte es zunächst nicht drucken - `… aber wenn Sie, lieber Herr Biermann, uns ein Vorwort schreiben, dann können wir es vielleicht wagen, ohne den Verlag zu ruinieren ... So wurde es gedruckt unter dem Titel "Das wunderbare Überleben". dann ins Englische übersetzt mit dem viel besseren Titel. Roman Polanski hat sofort erkannt, das ist mein Thema und dann diesen sehr guten Film gemacht hat.
Aber wir kommen vom Wege ab ...

O|N: Hat Ernst Bloch recht, der sinngemäß gesagt hat, dass die Rechten die viel einfacheren Wahrheiten haben? Erklärt das den Erfolg der AfD, die besonders auch hier in Osthessen reüssiert?

WB und Ernst Bloch in Tübingen

WB: Nein, da muss ich Ihnen widersprechen. Da irrt der Genosse Bloch sich, denn die Wahrheiten der Linken waren genauso simpel wie die der Rechten. Das ist eine Selbstbeweihräucherung, die nicht berechtigt ist. Im Wettkampf darum, wer blöder ist, würde ich nie zu sagen wagen, wer den Sieg davongetragen hat. Alle Leute, die die Welt mit ideologischen Augen anschauen, haben eben diesen Fehler, dass sie primitiver reden als sie eigentlich sind. Die AfD hat Erfolg, weil sie echte Schmerzen, Ängste, Gefühle vieler Menschen formulieren, was die etablierten Parteien, die sich demokratisch nennen, nicht tun, weil sie das Elend der Demokratie erleiden: man muss auch von den Idioten gewählt werden, wenn man an die Hebel der Macht kommen will. Dabei sind das nicht unbedingt machtbesessene Leute. Angela Merkel ist alles andere als machtbesessen, aber sie gehört natürlich zu den Leuten, die gerne etwas verändern wollen in der Welt, in der sie leben. Das ist das Dilemma der Demokratie, dass man dafür gewählt werden muss. Da hat es ein Diktator sehr viel bequemer. Putin wacht nicht jeden Morgen mit der bangen Frage auf, ob er in Syrien mit seinen Bombenflugzeugen jetzt seine Wiederwahl gefährdet. Das ist eben das Elend der Demokratie, dass die Leute, die gewählt werden wollen, bei allem, was sie tun oder lassen, öffentlich sagen oder schweigen, immer so automatisch wie Luftholen überlegen, was bringt oder kostet es an Stimmen. Wir dagegen können uns den Hochmut leisten, darüber zu lachen. Aber wenn wir darauf angewiesen wären, gewählt zu werden, würde ich für uns auch nicht die Hand ins Feuer legen. Das ist das Kreuz der Demokratie - und davon lebt die AfD. Vielleicht werde ich in meiner kleinen Rede beim Point Alpha über dieses peinliche Thema ein paar Worte sagen.

O|N: Wollen Sie bei dieser Gelegenheit nicht singen?

WB: Machen Sie sich da keine Illusionen. Ich bin immer noch in der Situation, dass man mich eher bitten muss,  n i c h t zu singen.

O|N: Ahnen Sie, was Herr Lammert Ihnen mit seiner Laudation ins Stammbuch schreiben will?

WB: Nein, aber ich kann Ihnen etwas verraten, worüber Sie schön lachen können: ich hab mich ja mit der Kanzlerin angefreundet, die ich überhaupt nicht kannte. Die kriegte den jüdischen Leo-Baeck-Preis vor rund zehn Jahren, und aus Gründen, die ich nun wirklich nicht wissen kann, erbat sie sich - verlangte, forderte, wünschte sie, dass der Biermann die Lobrede hält. Und ich hab das gemacht, weil mich das reizte und interessierte. Und als die Lobrede gehalten war im Hotel Adlon vor lauter Wichtigkeiten und Nichtigkeiten, war sie sehr glücklich über diese Rede und kam zu mir und sagte etwas Verblüffendes: "Ich hatte furchtbare Angst, dass sie mich in die Pfanne haun!" Ist das nicht interessant? Dass sie kommt und das mit dieser unglaublichen Direktheit, Offenheit und Furchtlosigkeit sagt? Und sie fügte hinzu: "Aber so viel Mut muss man haben, sonst braucht man gar nicht erst anfangen." Das hat mit gefallen.

O|N: Aber diese Befürchtung in die Pfanne gehaun zu werden, haben Sie bei Herrn Lammert sicher nicht?

WB: Nein, den kenn ich etwas besser als die Kanzlerin mich kannte. Der hat sich im Bundestag diebisch gefreut, dass er mich ermahnen durfte. Ich bin sehr gespannt auf seine Rede, denn er ist ja ein Witzbold im allerbesten Sinne des Wortes. Witz hieß ja früher Geist, nicht alberne Späße. Es wird sicher eine Rache von ihm. Er muss sich revanchieren, denn ich habe vor rund drei Monaten eine Rede auf ihn gehalten.

O|N: Sie sind laut Ihrer Autobiografie ein Zeugnis auf zwei Beinen. Sind Sie immer noch neugierig?

WB: Das ist so, als wenn Sie mich fragten, atmen Sie noch`?

O|N: Und was steht noch auf Ihrer Löffeliste? Also der Liste dessen, was man noch machen will, bevor man den Löffel abgibt.

WB: Ja, weiß ich gar nicht, hab ich noch nicht drüber nachgedacht ...

O|N: Sie haben sieben Söhne und drei Töchter und haben vermutlich auch schon einen Apfelbaum gepflanzt.

WB: Das hab ich wirklich! Nicht nur mit Worten, sondern auch mit den Händen. Und nicht nur einen - und nicht nur einen Apfel-, ich hab auch gerade einen Kirschbaum gepflanzt und ein Gitter drum rum gemacht, damit die Rehe das Grün nicht abfressen. Denn ich kenne natürlich das berühmte Buch, das Sie auch kennen, wenn man so viel Mühe auf Ihre Bildung verwandt hat, das hört auf mit dem berühmten Satz, den Sie bestimmt schon tausendmal gehört haben: il fault cultiver notre jardin. Candide, was auf Deutsch übersetzt ja ein kleiner Dummkopf heißt, ein Naivling dieser naive deutsche Trottel, über den sich der freche Philosoph in Frankreich lustig macht, kommt am Ende zu der tiefen Lebensweisheit - das ist die Pointe des ganzen Buches: Es ist unsere Aufgabe, unseren Garten zu pflegen, in Schuss zu halten und gute Gärtner zu sein. Und ich bin ja auch immer ein Menschengärtner gewesen, denn auch Menschen wachsen ja auf wie Bäume oder Blumen oder Radieschen. Ich hab mit meinen Liedern ja auch im DDR-Garten die Pflanzen begossen - und das ist ja nicht schlecht!

O|N: Alle weiteren Fragen, die jetzt noch jemand haben könnte, beantwortet Ihre im letzten Jahr erschienene Autobiografie mit dem Titel "Warte nicht auf bessre Zeiten", die ich nur empfehlen kann. (Daraus stammen - mit freundlicher Genehmigung des Propyläen-Verlags - auch die Fotos.)

B: Ich habe das zwar geschrieben, aber das Buch gemacht hat meine Frau. Denn wenn ich das auch gemacht hätte, dann hätten Sie das nie im Leben gelesen, weil es dann 10.000 Seiten dick geworden.

O|N: Wolf Biermann, ich danke Ihnen für das Gespräch. (Carla Ihle-Becker)+++


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