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REGION Die Mittwochs-Kolumne

WIELOCH schreibt (42) ...an die unmenschlichen Unfall-Gaffer

ZUR PERSONIn „Wieloch schreibt an“ richtet sich Jochen Wieloch (40) immer mittwochs in einem persönlichen Brief nicht nur an regionale Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Sport oder Kultur, sondern auch an Menschen des Alltags, die in den Tagen zuvor besonders aufgefallen sind und für positive oder negative Schlagzeilen gesorgt haben. Bei der Kolumne handelt es sich um eine Mischung aus Kommentar und Portraitierung, in der Jochen Wieloch mal sachlich, mal emotional lobt, kritisiert und bei Bedarf auch ordentlich Dampf ablässt. Der Petersberger kennt sich in den Medien Print, TV und Internet bestens aus und ist unter anderem als Spezialist für Unterhaltungs-elektronik gefragter Autor für zahlreiche Verlage, Magazine und Fachzeitschriften. Neben dem ZDF, 3sat und dem Bayerischen Rundfunk arbeitete der Germanist unter anderem auch für die Motor Presse in Stuttgart und auto-tv in München.

14.06.17 - Erbarmungslose Unfall-Gaffer,

Herz und Hirn, Ihnen fehlt beides. Wenige Meter entfernt: Eine Familie ist im Autowrack eingeklemmt, Flammen lodern meterhoch, Rettungskräfte kämpfen verzweifelt um Leben – Bilder, von denen man hofft, sie nie sehen zu müssen. Sensationsgierige Geschöpfe wie Sie ticken da anders. Früher haben Sie sich nach vorne gedrängelt, um „nur“ zu gaffen. Heute zücken Sie Ihr Handy, um zu filmen. Schreie, Blut, Tod, Sie halten alles fest. Oft sind Ihre Aufnahmen schon im Internet, wenn Angehörige noch nichts vom Unglück ihrer Lieben wissen. Polizei und Feuerwehr schlagen Alarm: Anstatt sich aufs Helfen konzentrieren zu können, müssen sie sich mit Idioten wie Ihnen herumschlagen. Ich bin mir sicher: Ihr IQ ist niedriger als die Auflösung Ihrer Smartphone-Kamera. Und Sie haben nicht immer das neueste Modell.

Der gegenwärtige Trend ist besorgniserregend: Hat es irgendwo gekracht, wird die Autobahn sofort zum öffentlichen Fotostudio und Filmset. Reisebusse halten auf dem Seitenstreifen an, damit die Urlauber besser sehen und knipsen können. Fahrer von Betonmischern parken auf der mittleren Spur, um durch ihre Kameralinse zu glotzen. Ganz egal, ob dadurch die Einsatzfahrzeuge behindert werden. Voyeuristen wie Sie kämpfen sich mit Ellenbogen in die erste Reihe. Handgemenge und erbitterte verbale Auseinandersetzungen mit Notärzten und Lebensrettern nehmen in extremem Maße zu. Neben Ihnen stirbt ein junger Autofahrer. Und Sie diskutieren, warum jetzt ein ungünstiger Zeitpunkt für ein Filmchen sein soll. Sie widern mich an.

Moral, Anstand, Taktgefühl, Empathie – eher erklärt man einem Schimpansen die Heisenbergsche Unschärferelation, bevor Sie ansatzweise verstehen, dass und warum Ihr Verhalten barbarisch ist. Ich wünschte mir, Unfallhelfer dürften Ihre Smartphones nehmen und auf die Asphaltdecke schleudern. Mit voller Rückendeckung vom Gesetzgeber. Ein kräftiger Tritt mit dem Feuerwehrstiefel aufs Display, und das Thema wäre erledigt. Spätestens nach dem zweiten zerstörten Gerät würden Sie es künftig bleiben lassen. Nicht aus Einsicht. Gegen Ihre perfide Schau- und Sensationslust ist kein Kraut gewachsen. Sondern weil Sie es im Portemonnaie zu spüren bekommen.

Unmenschliche Unfall-Gaffer, Sie sind nicht das einzige Problem. Die Gaffer sitzen auch zu Hause am Computer oder Tablet. Unfallfilmchen auf YouTube, Facebook und Co. sind offenbar der Renner. Klickzahlen sind hier die unmoralische Währung. Für Sie ist das Bestätigung und Ansporn zugleich, beim nächsten Crash noch näher ranzugehen. Soziale Netzwerke sind manchmal genau wie Sie: einfach nur asozial.

Mit herzlichen Grüßen


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