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Das tapfere Schneiderlein (Sasha Bornemann) ist schüchtern und wenig selbstbewusst. Seine Freundin Elli (Neele Pettig) macht ihm Mut. - Fotos: Erich Gutberlet

BAD HERSFELD Das tapfere Schneiderlein feiert Premiere

Festspiele: Sieben auf einen Streich - wird mit Ehrfurcht und Respekt belohnt

15.06.17 - Zwei Riesen töten, ein Einhorn zähmen und ein Wildschwein einfangen wie im Grimm-Originalmärchen beschrieben, muss „Das tapfere Schneiderlein“ im diesjährigen Festspielmärchen, das am Dienstag im Theaterzelt im Festspielpark vor der Stiftsruine Premiere feierte, nicht. Im übertragenen Sinne hat es Fritz Zwibbel, so ist der Name des tapferen Schneiderleins, dennoch mit Riesen zu tun, die in den Figuren des mächtigen Generals (Andrés Mendez) und der klugen Finanzministerin Ursula von Laschet  (Elisabeth Degen) die Überheblichkeit der Großen und Mächtigen symbolisieren. Wie immer in ihren überarbeiteten Fassungen des inzwischen dritten Grimm-Märchens verwendet Autorin Franziska Reichenbacher zwar die Motive, hat aber auch neue Figuren und weitere Themen erfunden.

Bereits im vergangenen Jahr hat sich das Theaterzelt bewährt. Dieses Jahr ist es noch größer, bietet 120 Sitzplätze auf einer Tribüne mit bester Sicht von jedem Platz und vor allem ähnelt es bewusst einem Zirkuszelt mit Manege, die universal bespielt werden kann. Die wunderbare, von Julia Klomfaß eigens komponierte Musik tut ein Übriges, eine märchenhafte Atmosphäre zu schaffen. Schon das Rattern einer Nähmaschine aus dem Off lässt die Fantasie spielen und verknüpft sich mit der ersten Szene, in der das tapfere Schneiderlein in seiner Werkstatt sitzt und näht. Seine beste Freundin Elli (Neele Pettig) weiß, dass ihr lieber, immer freundlicher Freund, der sich nicht durchsetzen kann, keiner Fliege was zuleide tun kann. An diesem Tag rettet er in ihrem Beisein sieben Fliegen, deren aufdringliches Summen im gesamten Theaterzelt gut zu hören ist.

Elli schenkt ihm daraufhin zum Spaß einen Gürtel mit der Aufschrift „Sieben auf einen Streich“, bevor ihr der Spaß vergeht. Aufgrund einer Verwechslung betritt Prinzessin Caroline (Sarah Elena Timpe) die bescheidene Werkstatt, wähnt sich allerdings in einem edlen Maßatelier und reklamiert mit arrogantem Auftreten ihr Designer-Jäckchen, das angeblich hier gefertigt wurde. Sie fordert, dass Zwibbel ihr das gute Stück nach der Reparatur ins Schloss zurück bringt. Elli schimpft: „Du lässt dich für etwas anschreien, wofür du gar nichts kannst“. Sie erwartet von ihm, dass er seinen Lohn für seine Arbeit einfordert.

So macht sich das Schneiderlein mit dem neuen Gürtel auf den Weg zum Schloss, wo derweil über zu hohe Rüstungsausgaben, Panzer und Waffensysteme, erhöhte Kriegsgefahr durch Wettrüsten und vermeintliche Bestechung durch die Rüstungsindustrie gestritten wird. Themen, wie sie aktueller angesichts der täglichen Schreckensnachrichten aus der Weltpolitik nicht sein könnten. Aber sind Fünfjährige an diesen Themen interessiert? Bevor Langeweile aufkam, rettete Metzger August (Roland Schreglmann), von allen „August der Starke genannt“, die Stimmung. Er trifft das tapfere Schneiderlein im Wald, liest die Inschrift auf dem Gürtel und glaubt, einen großen Kämpfer vor sich zu haben, was ihn in eine Sinnkrise stürzt. Auch bei dieser Begegnung gelingt es Zwibbel nicht, das Missverständnis aufzuklären. Im Schrank sitzend erhofft sich derweil der ängstliche, junge König Alexander (Yorick Tortochaux) von diesem neuen stärksten Mann des Landes Hilfe. Das tapfere Schneiderlein wird Hofschneider und soll es mit den beiden Riesen im Kabinett des Königs aufnehmen. So viel sei verraten. Das tapfere Schneiderlein bekommt letztendlich kein Königreich und heiratet auch nicht die Prinzessin. Aber Ende gut, alles gut.

Ein absolut spielfreudiges Ensemble, das die einzelnen Charaktere fabelhaft wiedergibt, sorgt für viele starke Momente bei dem Märchenstück, das von Franziska Reichenbacher inszeniert wurde. Sasha Bornemann als tapferes Schneiderlein erweist sich als Idealbesetzung, ist hinreißend erstaunt über die eigene Verwandlung. Sarah Elena Timpe vermittelt trefflich auch die verletzliche, zugewandte Seite der Prinzessin und Roland Schreglmann ist die treibende Kraft mit seinem eindrücklichen Spiel. Schade, dass Yorick Tortochaux lange Zeit im Schrank sitzen musste, er ist eine absolute Bereicherung des Ensembles wie die taffe Elli (Neele Pettig) auch, die zu den wenigen Figuren gehört, die keine Angst haben.

Der Flug mit den Heißluftballons, der ein wenig an Nenas Hit „99 Luftballons“ erinnert, bot ein zauberhaftes Abschlussbild. Knapp 90 Minuten märchenhaftes Theater und der positive Gesamteindruck wurden mit frenetischem Applaus belohnt. Sehenswert, aber nur bedingt für Kinder ab fünf Jahren geeignet. Schulklassen und Familien sollten nicht versäumen, in den verbleibenden zweieinhalb Wochen bis zu den Sommerferien und in den Sommerferien bis zum 9. Juli "Das tapfere Schneiderlein“ zu besuchen, ein Märchen über die Macht der Vorstellung und wie am Ende einer sich neu erfindet, weil alle etwas anderes in ihm gesehen haben.  (Gudrun Schmidl) +++

Tickets und Informationen:
Telefon +49 6621 640200
[email protected]
www.bad-hersfelder-festspiele.de
 


Fotos (7): Gudrun Schmidl


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