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REGION Die MITTWOCHS-KOLUMNE

WIELOCH schreibt (43) ...an das scheidende Kaufhaus Langer in Schlüchtern

Zur Person:In „Wieloch schreibt an“ richtet sich Jochen Wieloch (40) immer mittwochs in einem persönlichen Brief nicht nur an regionale Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Sport oder Kultur, sondern auch an Menschen des Alltags, die in den Tagen zuvor besonders aufgefallen sind und für positive oder negative Schlagzeilen gesorgt haben. Bei der Kolumne handelt es sich um eine Mischung aus Kommentar und Portraitierung, in der Jochen Wieloch mal sachlich, mal emotional lobt, kritisiert und bei Bedarf auch ordentlich Dampf ablässt. Der Petersberger kennt sich in den Medien Print, TV und Internet bestens aus und ist unter anderem als Spezialist für Unterhaltungs-elektronik gefragter Autor für zahlreiche Verlage, Magazine und Fachzeitschriften. Neben dem ZDF, 3sat und dem Bayerischen Rundfunk arbeitete der Germanist unter anderem auch für die Motor Presse in Stuttgart und auto-tv in München.

21.06.17 - Liebes Kaufhaus Langer,

du hast für mich Schlüchtern erst zur richtigen Stadt gemacht, warst verantwortlich für den Hauch von Urbanität im Bergwinkel. Kaufhäuser stehen nicht auf der leeren Wiese. Lange Zeit galten die Tempel des Konsums als Symbol für eine gute Infrastruktur, für einen attraktiven Standort mit hohen Besucherzahlen. Für Schlüchtern warst du über Jahrzehnte ein Privileg – ein Kaufhaus lockt Kunden in die Innenstadt, bündelt Kaufkraft, belebt die City. Theoretisch. Die Praxis sieht mittlerweile anders aus. Seit geraumer Zeit wird dem guten alten Kaufhaus der schleichende Tod prognostiziert. Selbst Warenhausketten wie Karstadt blieben von Krisen nicht verschont. Jetzt hat es auch dich erwischt. Ende April 2018 endet deine lange Tradition – in Schlüchtern und in Bad Orb. Der Doppel-GAU ist dann perfekt.

Seit dem Jahr 2000 hast du 70 Prozent an Umsatz eingebüßt. Dieses Minus kann niemand verkraften. Mit dem Internet ist der Schuldige meistens schnell gefunden. Doch zu Beginn des neuen Jahrtausends waren Online-Einkäufe so rar wie die Blaue Mauritius. Mehr Mitbewerber sind hinzugekommen. Die können das Geschäft bekanntlich auch beleben. In Schlüchtern genießt du als Kaufhaus eine Monopolstellung. Nicht die schlechteste Voraussetzung für Erfolg. Ich weiß nicht, warum du an deinen beiden Standorten existenziell an Anziehungskraft verloren hast. Fehlen dir Flair und Ambiente, Esprit und Modernität? Das Auge kauft mit ein. Vielleicht ist die Zeit der (kleinen) Kaufhäuser aber tatsächlich ganz einfach vorbei. Riesige Shopping-Meilen, monströse Einkaufs- und Outlet-Center brummen. Erfolgsrezept: kostenlose Parkplätze und ein gigantisches Sortiment unterschiedlichster Marken – dazu Restaurants, Cafés und Bistros. Die breite Masse findet das toll. Dagegen haben es klassische Warenhäuser schwer.

Liebes Kaufhaus Langer, ich befürchte deine Schließung ist ein Fingerzeig in die Zukunft. Discounter, Handyshops, Billigketten an jeder Ecke. Bau- und Elektronikmärkte in Einkaufszentren vor den Toren der Stadt. Gemeinsam mit Lidl, Penny, Aldi, Netto, Media Markt, Saturn, Obi, Kik und C&A, viel mehr bleibt nicht. Kleinere Innenstädte verlieren rasant an Charakter, an Individualität. Sie werden austauschbar. Inhabergeführte Lädchen platzen wie Seifenblasen. Preis, kurze Wege und das Warenangebot bestimmen den Einkauf, weniger die Emotionalität. Als Modellbau-Fan erinnere ich mich an meine Kindheit. An die großen Kartons mit Flugzeugen und Autos. Öffnen, Rumpf und Chassis in die Hand nehmen, das Balsaholz riechen. Das geht nicht mehr. Die Geschäfte von einst sind in Fuldas Innenstadt schon lange verschwunden.

Wie ist unserem Einzelhandel zu helfen? Durch eine weitere Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten? Durch mehr verkaufsoffene Sonntage? Oder gar durch eine Einschränkung der Internet-Einkäufe am Sonntag, wie es jetzt Niedersachsens Grüne fordern? Ich glaube, Kunden lassen sich nicht künstlich reglementieren. Der Mensch ändert sein Verhalten. Die Zeitung stirbt aus. Genau wie die Musikkassette. Und wahrscheinlich bald auch das letzte kleine Kaufhaus. Was Nostalgikern bleibt ist die Hoffnung auf eine Renaissance in einigen Jahren. Die Schallplatte macht gerade eindrucksvoll vor, wie es klappen kann. Lebe wohl, Kaufhaus Langer! Ich ahne, wir sehen dich nie wieder.

Mit herzlichen Grüßen



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