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BAD HERSFELD Gefeierte Welturaufführung

„Martin Luther - Der Anschlag“: Kulturelle Großtat zur Festspieleröffnung

Das EnsembleChristian Nickel: Luther (Der Refor- mator) / Luther (Der Wutbürger); Maximilian Pulst: Luther (Der Über- hebliche) u. a.; Janina Stopper: Luther (Der Verzweifelte); Joern Hinkel: Hans Luder, Luthers Vater; Hans Diehl: von Staupitz; Corinna Pohlmann: Die Frau / Die Teufelin; Claude Oliver Rudolph: Tetzel; Simone Kabst: Barbara Cranach / Junge Mutter; Erol Sander: Papst Leo X.; Hanns Jörg Krumpholz: Prierias / Wenzelslaus Link; Rudolf Krause: Johannes Zink; Elisabeth Lanz: Katharina von Bora; Maximilian Wigger: Lucas, Freund von H. Luder; Uwe Dag Berlin: Lucas Cranach; Ute Reiber: Marie / Aufnahmeleiterin; Benjamin Kramme: Philipp Melanchthon; Bettina Hauenschild: Katharina Krapp; Christian Schmidt: Andreas Karlstadt; Peter Englert: Johannes Lang u. a.; Tilo Keiner: Spalatin; Marcel Heuperman: Ulrich von Hutten; Robert Joseph Bartl: Thomas Cajetan; Thorsten Kublank: Buchhalter; Mareile Höppner: Moderatorin / Erzählerin; Jan Hofer: Sprecher (Filmeinspieler); – Dieter Wedel (Buch / Inszenierung); Michael Pfropfe (Dramaturgie); Jörg Gollasch (Musikalische Leitung / Komposition); Mathias Trippner (Musiker); Lukas Fröhlich (Musiker); Klaus Figge (Kampfszenen); Jens Kilian (Bühne); Ulrich Schneider (Licht-Design / Leitung Licht); Jörg Grünsfelder (Leitung Ton); Doris Engel (Leitung Requisite); Ute Mai (Leitung Maske); Kerstin Micheel (Leitung Kostüm); Clarissa Freiberg (Kostüme); Ute Uhlemann (Souffleuse).

25.06.17 - Wenn man eine Inszenierung bewertet, ist das selbst gesteckte Ziel des Regisseurs ein guter Gradmesser. Weil Dieter Wedel aber zu den Pechvögeln der Woche zählt, müssen für die Besprechung der Welturaufführung von „Martin Luther – Der Anschlag“ am Freitagabend zur Eröffnung der Bad Hersfelder Festspiele andere Kriterien gelten. Wedel hatte im Vorfeld gesagt: „Widersprüchlichkeit macht bekanntlich einen Charakter interessant, aber bei Luther sind die Widersprüche so gewaltig, so scheinbar unvereinbar, dass man den Eindruck hat, immer wieder verschiedenen Luthers zu begegnen.“ Weswegen er gleich mit vier Luther-Darstellern im Kopf das Buch geschrieben und das Stück besetzt hatte.

Luther auf der Kanzel: Christian Nickel. Fotos: Carina Jirsch/ Martin Engel

„Wer sich an ein solches Gebirge voller Widersprüche herantraut, hat wohl immer das Empfinden, dass das, was er erzählen möchte, eigentlich nicht zu erzählen ist“, so Wedel weiter. „Aber sollte man nicht lieber den Mut haben, Fehler zu machen, als sich dem Vorwurf auszusetzen, sich vor einer besonderen Herausforderung davonzustehlen?“ Nun: Wedels Fehler war es nicht, dass sich der österreichische Schauspieler-Kotzbrocken Paulus Manker zwei Tage vor der Premiere ins Abseits katapultierte und aus dem Ensemble herausgeschmissen wurde, was – das sei vorweggenommen – dieses äußerst reizvoll vorstellbare Konzept eines viergeteilten Luthers über weite Strecken über den Haufen warf (was freilich bei einer Wiederaufnahme im kommenden Sommer das Stück noch einmal spannender machen könnte). Trotzdem lieferte Wedel gestern auf der Bühne ziemlich großes Kino.

Der Regisseur griff vor Spielbeginn zum Mikrophon, um das Publikum über das Personaldebakel zu informieren, und dankte seinem Ensemble, das in den zwei Tagen zuvor unglaublich gearbeitet habe, um das Stück zu einer glücklichen Premiere zu führen. In der Tat gingen gestern alle mit so viel Elan ans Werk, als spielten sie um ihr Leben. „Martin Luther – Der Anschlag“ erzählt passend zum Luther-Jahr, in dem des 500-jährigen Jubiläums der 95 Thesen an der Schlosskirche zu Wittenberg gedacht wird, den Werdegang des Reformators und verknüpft diesen (oft auch in Filmeinspielungen auf großen Leinwänden) mit den heutigen Glaubenskriegen. Als eine Botschaft des Stücks mag der Ausspruch des Priors von Staupitz aus dem Augustinerkloster Wittenberg gelten: „Ich habe nie versucht, euch meine Meinung aufzuzwingen.“

Der Wutbürger Luther

Wie bei Leonardos Abendmahl: die Freunde rund um Luther.

Sehr stark: Janina Stopper als verzweifelter Luther.

Der überhebliche Luther: Maximilian Pulst.

Sexy: der Teufel.

Die Bühnenmusik kam live vom Bühnenrand.

Die Sprachgewalt des Textes ist – aufgelockert durch einige Gags – eher wuchtig, weswegen es kaum Zwischenapplaus gab. Es braucht den einen oder anderen Tag, um das Stück sacken zu lassen. Der Ablauf lief am Freitag minutiös. Im Bühnenbild von Jens Kilian sind durch die Bank weg tolle Bilder entstanden, und die fast permanente dezente Live-Musik-Begleitung unter der Leitung von Jörg Gollasch war die perfekte Ergänzung dazu.

Cool und stark: Claude Oliver Rudolph möchte Luther brennen sehen.

Der Star des Abends: Christian Nickel bekam im vergangenen Jahr den Großen Hersfeldpreis. ...

Spielerisch völlig unterfordert: Erol Sander als Papst Leo X.

Es ist nicht möglich, alle aus dem darstellenden Team zu benennen (eine Aufzählung gibt es im Zusatzkasten). Die Wichtigsten müssen freilich genannt werden. Christian Nickel, der ursprünglich nur als Reformator Luther vorgesehen war, ist jetzt auch der Wutbürger Luther, und Doppelbesetzungen sind genau sein Fach. Schon auf der Expo 2000 in Hannover war er als junger Faust in der 21-stündigen „Faust“-Inszenierung von Peter Stein engagiert und sprang zusätzlich für seinen Kollegen Bruno Ganz ein, der den alten Faust spielte, vorübergehend wegen einer Fraktur aber über Wochen lahm gelegt war. Reine Sprechzeit damals für Nickel: sechs Stunden. Sein „wütender“ Luther erzählt uns, dass er zur Ausrottung der damals aufständigen Bauern und der Juden und Moslems aufrief. Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Und das sind genau die Brüche in Luthers Leben, die Wedel interessieren.

Die Schriften Luthers flattern übers Land.

Intensives Spiel: Elisabeth Lanz als Katharina von Bora.

Hochzeitsnacht.

Nickel zur Seite stehen Janina Stopper und Maximilian Pulst als verzweifelter und überheblicher Luther. Claude Oliver Rudolph ist der fiese Ablasshändler und Inquisitor Tetzel, Robert Joseph Bartl der überlegen-intellektuelle Kardinal Cajetan, Corinna Pohlmann die verführerische Teufelin, Elisabeth Lanz die liebende und im Glauben verbundene Katharina von Bora und Hans Diehl der treusorgende Prior des Klosters. Erol Sander hat als Papst Leo X. kaum Text und kann eigentlich nichts von seiner Klasse zeigen, und Mareile Höppner in ihrer ureigenen Rolle als Moderatorin bei den TV-Einspielern ist einfach nur zuckersüß. Dringend zu erwähnen ist noch Joern Hinkel, ein Spezi von Dieter Wedel, der die Rolle des Luther-Vaters ebenfalls zwei Tage vor der Premiere annahm und seine Sache prächtig machte.

Es war eine Welturaufführung, die besser hätte laufen können und trotzdem alle zufriedengestellt hat, weswegen es auch minutenlangen Beifall und stehende Ovationen gab. Und wenn noch besetzungstechnisch Luft nach oben ist – umso besser. (Matthias Witzel) +++

Sehen Sie nachfolgend eine Fotoserie unserer O|N-Fotografen Carina Jirsch und Martin Engel. +++


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