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Der schreckliche Anblick aus Richtung Mittelstraße über den zertrümmerten Gemüsemarkt auf die westliche Seite der Kanalstraße zeigt die durch die Bomben am 11. September 1944 verursachten schweren Zerstörungen und die mit dem Leben davon gekommenen etwas hilflos wirkenden schockierten Helfer, in den Augen nackte Angst. - Fotos: Stadtarchiv Fulda / Michael Mott

FULDA Es passierte vor 73 Jahren!

"Als die Kriegsfurie über die Barockstadt hereinbrach" - von Michael Mott

11.09.17 - Ein Gedenken an unselige Zeiten: Heute vor 73 Jahren litt Fulda im Bombenhagel, die Bonifatiusstadt blutete: im vorletzten Kriegsjahr 1944 starben am 11. und 12. September bei den ersten schweren Bombenangriffen auf Fulda mindestens 574 Menschen. Angst, Elend und Trauer - Fulda glich nach dem Angriff an vielen Stellen einer Geisterstadt!

Der 11. (und 12.) September 1944 brachte einen ersten grausigen Höhepunkt in der Luftkriegsgeschichte unserer Heimat, der sich bis heute tief in das Bewusstsein der Bevölkerung eingegraben hat. Tonnenweise tödliche Luftfracht traf die Innenstadt Fuldas. Es gibt noch eine Anzahl von Betroffenen, die zwar die schreckliche Katastrophe überlebt haben, aber unter den in jungen Jahren damals Erlebten – wie dem Verschüttet sein, heute noch, sei es seelisch oder körperlich, leiden. Nach den im Stadtarchiv erfolgten Neuzählungen waren an den beiden Tagen in Fulda mindestens 574 Opfer zu beklagen, die Gesamtzahl im Zweiten Weltkrieg stieg auf 1.596 Tote an. Dazu kommen noch eine ganze Anzahl von Verletzten und einige Vermisste.

Der erste Großangriff

Der Gemüsemarkt vom oberen Stockwerk des Eckhauses (Modehaus Füller) aus gesehen, ...

An diesem sonnigen Herbstmontag heulen in der 1200 Jahre alten Barockstadt mit ihren rund 33.000 Einwohnern um 11:05 Uhr wieder einmal die Luftschutzsirenen, doch viele Bürger kümmern sich nicht allzu viel darum, haben gelernt, mit diesen Alarmen zu leben und schauen den überfliegenden Bomberschwärmen mit Schulterzucken nach. Die von England aus operierende 8. US-Luftflotte mit ihren drei Bomberdivisionen, aus über 1.000 viermotorigen Maschinen bestehend, waren am Morgen aufstiegen, hatten sich über Ostengland formiert und wurden von insgesamt 663 Jägern geschützt, um sie gegen Angriffe deutscher Jagdmaschinen abzuschirmen. Der Weg der gewaltigen Armada führte zu Zielen in Mitteldeutschland und Nordböhmen. Nach Auffächerung in drei Gruppen flog die 3. Bomberdivision mit 384 Fliegenden Festungen vom Typ B-17 über Fulda nach Osten ihre Ziele an, so die synthetischen Treibstoffwerke Ruhland, Böhlen und Brüx sowie die Wandererwerke (Militärfahrzeugbau) in Chemnitz, wo jedoch, entgegen den Wettervoraussagungen eine viel dichtere Wolkendecke lag. So wurde wieder nach Westen abgedreht und ein Teil der Maschinen steuerte nun als letztes Ausweich- und Notziel die Reifenwerke in Fulda an, da hier teilweise sogar strahlender Sonnenschein herrschte.

Der Krieg hatte im fünften Jahr auch die Menschen in der Bischofsstadt, die bislang weitgehend von Kampfhandlungen verschont blieb, längst abgestumpft. Doch dieses Mal ist alles anders, denn der Fliegeralarm dauert außergewöhnlich lange über die Mittagszeit hinaus. Der Bevölkerung bleiben noch zweieinviertel Stunden Zeit, dann verdunkelt sich der Himmel. Kurz nach 13 Uhr tauchten an diesem verhängnisvollen Tag die ersten Fliegenden Festungen dieses mal von Erfurt aus dem Osten kommend, wieder über Fulda auf und werfen in drei Pulks zwischen 13:16 und 13:32 Uhr auf ein Rauchzeichen des Leitbombenschützen hin, ihre todbringenden Bombenteppiche ab. Insgesamt warfen, nach Angaben von Günter Sagan in seiner 1994 veröffentlichen Studie über den Luftkrieg im Raum Fulda: „Die Bevölkerung hatte Verluste“, 106 Bomber aus knapp 6.000 bis 8.000 m Höhe, 1.018 schwere Sprengbomben mit dem Gesamtgewicht von 230,88 Tonnen auf Fulda, die hohe Explosionswolken aufsteigen ließen. Das „geflügelte Wort der Bombennächte“ gilt für Fulda nicht, die Angriffe erfolgten meist zur Mittagszeit.

Die Stadt - ein Bild des Jammers

Michael Mott

Zu den am heftigsten getroffenen Bereichen gehörte der Innenstadtbezirk zwischen Bahnhof und der Königsstraße. Die Barockstadt blutet aus vielen Wunden: Der Bahnhof ein Trichterfeld, Bahnhofswirt Carl Ullrich und Angehörige im Restaurant erschlagen worden. In der Leipziger Straße und Sebastian- und Wörthstraße, Hindenburgstraße (Bahnhofstraße), Rabanusstraße, Linden- und Sturmiusstraße einschließlich der Christuskirche, Heinrichstraße, Friedrichstraße und Adolf-Hitler--Platz (Unterm Heilig Kreuz), Steinweg, Marktstraße, Mittelstraße, Brauhausstraße, Rittergasse, Königstraße mit der Wachswarenfabrik Rübsam; auch in der Georg-Antoni-Straße versuchen Helfer mühsam Überlebende aus den Kellern zu bergen, unweit die brennenden Werkhallen der Gummiwerke.

Die Gedenkplatte am Gemüsemarkt

Gebäudeverluste in der Dalbergstraße, Emaillierwerke, in der Florengasse das Eckhaus Nr. 16 (Schellhammer) Großes Mitgefühl rief der Tod von 23 Jungen, zumeist Schüler der unteren Klassen des Domgymnasiums, mit ihrem Direktor Karl Hofmann im Bischöflichen Konvikt hervor. Eine Sprengbombe durchschlug die der Nonnengasse zugewandten Seite des Komplexes und explodierte im Luftschutzkeller. Auch das Barockviertel mit dem Dom, dessen Südturm als Luftschutzraum galt, wurde erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Die Marienkapelle hatte einen Treffer abbekommen, die Kuppeln der Kapellen an der Südseite waren eingestürzt – die große Kuppel hielt Gott sei Dank – alle 70 Fenster waren durch den Luftdruck zerstört. Durch die Dachöffnungen schien die Herbstsonne auf Berge von Schutt im ganzen Kirchenschiff. Eine Fünf-Zentner Bombe lag als Blindgänger im Keller der heutigen Theologischen Hochschule. Die Michaelskirche ist getroffen. Eine breite Lücke klafft in der in der nordwestlichen Rotundenmauer des romanischen Gotteshauses. Die Krypta ist unterhöhlt. Ein Teil der Rochuskapelle im Erdgeschoß des Bischofspalais ist eingestürzt. Der kleine Pavillon links am Dom ist ebenfalls zertrümmert, wie die reizvolle Kapelle am alten dompfarrlichen Friedhof. Das Gasthaus „Zur Hinterburg“ lag in Trümmern, Wirtsleute und schutzsuchende Soldaten sind hier umgekommen. Schäden an Orangerie und Schlossgarten, der Marschall im hinteren Schlosshof zertrümmert. Wohin man blickte, Bilder der Zerstörung und unermesslichen Leides.

Am furchtbarsten verwüstet aber war der Gemüsemarkt, hier sanken 18 Gebäude in Schutt und Asche und 49 Todesopfer waren zu beklagen. Tagelang suchten Feuerwehrmänner, Rotkreuz-Helferinnen, Technischer Notdienst und Kriegsgefangene Verschüttete vor allem aus dem Keller des Hauses Will herauszuholen. Inmitten der riesigen Schutt- und Trümmerhaufen, ragte nur noch ein Säulenfragment aus dem Jahre 1791 mit dem Wappen des letzten Fuldaer Fürstbischofs Adalbert III. von Harstall - Teil eines deswegen so genannten Harstallbrunnen - als „einsame Säule“ empor. Der verstorbene Metzgermeister Franz Koch, der eilends von seiner Funkereinheit auf der Nordseeinsel Juist in die Heimat geeilt war und als Anlieger dabei war, als Särge zwischen den Häusertrümmern standen und wegen der Seuchengefahr mit Karren und Lastwagen auf den Neuen Städtischen Friedhof (Zentralfriedhof) gebracht wurden, als verwaiste Menschen lautlos weinten, unter Schock stehende Leute ziellos durch die Stadt irrten, meinte später einmal: „In diesem Augenblick wurde der alte Brunnen, der zwischen den Trümmern wie ein Zeigefinger hervorragte, zu einem Mahnmal“.

Tags darauf: wieder tödlciherBombenhagel

Am nächsten Tag um 11:55 Uhr heulten wiederum die Sirenen, soweit sie nach den Zerstörungen des Vortages dazu noch in der Lage waren, über eine Stadt, in der noch die Trümmer schwelten und Bergungskolonnen nach Verschütteten suchten. „Ein Gerücht jagt das andere. Angst und Schrecken sitzen den Fuldaern im Nacken. Viele beschließen, beim nächsten Flieger-Vollalarm aus der Stadt zu flüchten. Und das wird ihnen am 12. September 1944 zum Verhängnis,“ schreibt Winfried Jestaedt im Jahre 1984 in der FZ. Um 12:13 Uhr erscheinen 46 Langstreckenbomber der amerikanischen 3. Bomberdivision wiederum auf ihrem Rückflug von den dieses mal künstlich vernebelten Hydrierwerken in Magdeburg-Rothensee und Böhlen und werfen erneut ihre todbringende Fracht auf ihr Ausweichziel Fulda. Innerhalb von rund fünf Minuten warfen sie 444 Sprengbomben von 100,7 Tonnen ab, die in erster Linie das Gebiet vom südlichen Verschiebebahnhof bis hin zum Pröbel und Neuenberg trafen. Doch durch die Streuung der Bomben fielen viele in die flüchtenden Menschenmassen in der Johannisau die, vor allem aus der Unterstadt, auf dem Weg in die Luftschutzkeller am Pröbel und Neuenberg waren. Unsägliches Leid hat sich hier abgespielt, die Häuser am Pröbel fast völlig zerstört, auch der Exerzierplatz und Neuenberg waren betroffen. Die Lack- und Farbwerke Rhodius ehemals Stern an der Edelzeller Straße standen in Flammen.

Wann endet der Wahnsinn?

Offiziell wird am 16. September von den Opfern am neuen städtischen Friedhof Abschied genommen. Kreisleiter und Bürgermeister Karl Ehser gesteht in seiner Trauerrede: „Der Krieg hat Formen angenommen, die vor Gott nicht mehr zu verantworten sind; er hat Opfer von uns gefordert, die wir in dieser Stunde nicht begreifen können.“ Bischof Dr. Johannes Dietz, im Ornat mit Stab und Mitra, nimmt die Einsegnung der Toten vor.

Die NSDAP lässt am 30. September eine eigene „Totenehrung für die Opfer der Terrorangriffe auf Fulda“ im Stadtsaal folgen. Gauleitervertreter Karl Gerland aus Kassel bedient sich des Goebbelschen Schlagwort-Repertoires, spricht von „Heldentum“ und „Endsieg“, Phrasen wie „Niemals werden wir dulden, dass auch nur ein Opfer dieses Kampfes umsonst gebracht werden musste“, „Gemeinsames Leid macht stark“ oder „Wir wollen die Helden nicht entweihen, die Toten nicht enttäuschen und immer und ewig die Mahnung von ihnen beziehen, Adolf Hitler treue Gefolgschaft zu leisten und unserem Reiche zu dienen.“ Die meisten Fuldaer, von denen nun rund eintausend auch ihre Wohnung verloren hatten, fragten sich, wie lange es noch dauert, bis die Waffen schweigen, wann endlich der Wahnsinn unter Hitler ein Ende hat. Während Westeuropa gottlob seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges von der Kriegsgeisel verschont geblieben ist, geht in der Welt an unzähligen Stellen der Terror weiter, und so gilt gerade heute, unser Mitgefühl auch den Opfern der entsetzlichen Anschläge am 11. September 2001 in den USA.

Zur Erinnerung findet am Montag, den 11. September 2017 mittags um 11:30 Uhr am Harstall-Brunnen auf dem Fuldaer Gemüsemarkt anlässlich des 73. Jahrestages der schrecklichen Katastrophe beim ersten großen Luftangriff im Zweiten Weltkrieg auf Fulda ein kurzes öffentliches Gedenken statt. Dazu ist die Bevölkerung herzlich eingeladen.+++


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