Der E-Mail-Skandal - Von ganz armen Würstchen

25.04.14 - „400 Gramm Wiener Würstchen, 1 Stange Lauch, 140 g Mais, 200 ml Brühe, 200 g Sahne, 2 TL Senf, 2 TL Tomatenketchup, 1 EL Butter, 1 EL Mehl, Salz und Pfeffer. Die Würstchen und den Lauch in dünne Scheiben schneiden. Den Lauch evtl. kurz dünsten. Mais abtropfen lassen. Die Butter schmelzen und das Mehl darin anschwitzen. Brühe und Sahne angießen und 8 Min. köcheln lassen. Mit Senf, Ketchup, Salz und Pfeffer abschmecken. Lauch, Mais und Würstchen zugeben und darin erwärmen. Und jetzt hau rein. Guten Appetit! Liebe Grüße, Jochen"

Dieses – offenbar nur auf den ersten Blick unscheinbar wirkende – Rezept für „Pikantes Wurstgulasch" hat in den vergangenen Tagen jede Menge mediales Aufsehen erregt. Eigentlich hatte ich es per E-Mail an meinen alten Schulfreund Mehmet schicken wollen. Doch aus unerklärlichen Gründen landete die E-Mail direkt in der Redaktion der hiesigen Lokalzeitung. Bereits am nächsten Tag berichtete das führende Blatt, bekannt für gnadenlos kritischen und unabhängigen Journalismus, auf Seite 1 über den „Wurstgulasch-Skandal" mit einem überdimensionalen Foto der elektronischen Nachricht. „Liebe Leserinnen und Leser, diese Mail sollte unsere Redaktion nicht erreichen. Aber sie liegt uns vor, weil sich der Absender vertan und sie an uns geschickt hat. Schäbig finden wir den Inhalt. Unaufrichtig das Verhalten des Schreibers."

In weiteren Berichten zum Thema auf den Seiten 7, 8 und 9 und in einem Kommentar nimmt die Chefredaktion Stellung: „Das Wurstgulasch-Rezept erreichte uns ohne Absprache und ohne sich an formale, inhaltliche und ethische Vorgaben für Vegetarier zu halten. Aber: Spielregeln gelten für alle. Das haben wir erläutert und diesen Beitrag abgelehnt. Für Sie, liebe Leser, zum Verständnis: In zwei Fällen mussten wir dies in den vergangenen 53 Jahren bereits tun: Einmal traf es Papst Johannes Paul II, einmal den früheren US-Präsidenten Bill Clinton. Beide hatten ihre Artikel in der falschen Schriftart eingereicht und damit auf geradezu provokante und niederträchtige Weise gegen unsere Spielregeln verstoßen."

In einer TED-Umfrage werden die Leser dazu aufgerufen, ihre Meinung zum „E-Mail-Gau" preis zu geben. Investigativ hakt die Zeitung nach. „Wurstgulasch... A) schmeckt mir. B) schmeckt mir nicht. C) ist mir egal." Zudem wendet sich der Verleger an die Leser: „Durch den Abdruck des Wurstgulasch-Rezeptes sollte einer unabhängigen Tageszeitung und damit einem großen Arbeitgeber der Region Schaden zugefügt werden. Allein die abschließende Formulierung ,Und jetzt hau rein’ offenbart ein extrem hohes Gewaltpotenzial, von dem wir uns ganz klar distanzieren möchten."

Direkt darunter prangert eine halbseitige Anzeige einer großen heimischen Metzgerei-Kette. Slogan: „Schwartenmagen schmeckt am Besten!" Auf gewohnt pfiffige Weise geben freie Mitarbeiter in einer 32-seitigen Beilage fundierte Ratschläge zum Zubereiten von Schwartenmagen, verraten geniale Kochrezepte und nennen die beste Anlaufstelle, wo man frischen, preiswerten und qualitativ hochwertigen Schwartenmagen erwerben kann. „Unabhängiger Tipp der Redaktion: Der ideale Snack für Ihr nächstes Seifenkistenrennen!"

Auch von Mehmet gab’s für mich übrigens einen auf den Deckel: Er isst kein Wurstgulasch, weder pikant noch süß-sauer. Das ist bitter! (JOCHEN WIELOCH) +++

HINTERGRUND: „Wielochs wirre Welt" erscheint heute am 24. Freitag in Folge bei OSTHESSEN|NEWS.  Jochen Wieloch (37) blickt dabei pointiert, humorvoll und teilweise mit einer gehörigen Portion Ironie auf die Ereignisse, die die Menschen in der Region und im Land bewegen. Der Petersberger kennt sich als selbstständiger Redakteur in den Medien Print, TV und Internet bestens aus, ist Buchautor und als Spezialist für Unterhaltungselektronik gefragter Autor für zahlreiche Verlage, Magazine und Fachzeitschriften. Außerdem berät und betreut der 37-Jährige Unternehmen in allen Fragen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Neben dem ZDF, 3sat und dem Bayerischen Rundfunk arbeitete Jochen Wieloch unter anderem auch für die Motor Presse in Stuttgart und auto-tv in München. Für osthessen-tv.de stellt der Germanist neuerdings regelmäßig automobile Neuheiten in Filmbeiträgen vor. +++