WIELOCHS WIRRE WELT (27): Petersberger Pilotprojekt „Pipi ohne Paranoia“

16.05.14 - Katar und Luxemburg liegen vorne, dann folgt bereits Petersberg. Die osthessische Gemeinde zählt zu den drei reichsten Regionen der Welt. Nach dem Bau des Luxus-Kindergartens, ein Geschenk von Scheich Karl-Josef Schwiddessen an seine Gattin, die zufälligerweise auch noch die protzige Krabbelburg leitet, hat das Staatsoberhaupt Petersbergs jetzt eine neue geniale Idee: Für schlappe 150.000 Euro sollen Spielobjekte wie Balancierbalken und bunte Pflastersteine installiert werden, die für Kinder den Schulweg attraktiver gestalten. Endlich mal ein Rathauschef mit Weitsicht und Fingerspitzengefühl, der das Geld nicht sinnlos verprasst. Bereits im vergangenen Sommer hatten das internationale Kinderhilfswerk und das Forum Menschenrechte angeprangert, dass Kinder in Petersberg bis zu zehn Minuten lange Fußmärsche zur Schule ohne Animationsprogramm am Straßenrand, eisgekühlte Getränke und Live-Musik zurücklegen müssen. Skandalös!

Damit ist künftig Schluss! 8000 ausgebildete Animateure aus dem Robinson Club und von der Aida werden den 7- bis 10-Jährigen ab August nicht nur im Petersberger Kernort, sondern auch in Marbach, Horwieden, Stöckels, Steinau, Almendorf, Götzenhof, Rex und Margretenhaun mit Beachvolleyball, Wasserski, Musical-Darbietungen, Erdbeershake-Kampftrinken, Zaubershows und Teenie-Disco die Zeit zwischen Elternhaus und Eintreffen in der Schule versüßen. „Insgesamt 8,5 Millionen Tonnen Sand entlang des Schulwegs sollen eine zusätzliche Motivation darstellen, sich morgens auf die lange und beschwerliche Reise zu begeben", erklärte Schwiddessen auf Nachfrage.

Auch in den Schulen pocht der Bürgermeister auf umfangreiche Umstrukturierungen, um den Vormittag zwischen Deutsch, Mathematik und Sachkunde kinderfreundlicher zu gestalten. Knapp 4000 Sherpas aus dem Zentral- und Süd-Himalaya stehen bereit, um die Kleinen samt Spielekonsole und Handy auf die Toilette oder den Schulhof zu tragen. Ein Fingertipp auf ein drucksensitives Display an jedem Platz genügt, und attraktive Hostessen servieren umgehend während des Unterrichts frisch gepresste Säfte, Club-Sandwiches oder diverse Eiskreationen. Damit der Nachhauseweg für die jungen Petersberger auf Dauer nicht zu eintönig wird, bietet Schwiddessen alternativ Geländewagen-Safaris um die Lioba-Kirche, Trips per Segway, Heißluftballon-Fahrten und fachkundige Surf-Workshops an.

Doch das war’s noch nicht. Auch den ganz Kleinen, den 2- bis 4-Jährigen, will der Scheich vom Rauschenberg mehr Lebensqualität gönnen. „Der täglich mehrmalige Weg zum Töpfchen ist für Kinder fast immer von Monotonie und Tristesse geprägt", teilte der Rathauschef in einer Presseerklärung mit. Als erste Gemeinde weltweit hat Petersberg 1,7 Millionen Euro in das Pilotprojekt „Pipi ohne Paranoia" investiert. Alle Eltern von Kindern, die nach dem 1. Mai 2009 geboren wurden, dürfen sich ab Montag im Rathaus spezielle „Pipi-Abenteuer-Pakete" abholen. Dazu gehören unter anderem Hängebrücken, Staudämme, Sprungtürme, mobile Wasserfälle, Beregnungsanlagen, Sandburgen und Kletterhügel, die zwischen Kinderzimmer und dem Töpfchen im Bad aufgebaut werden können. Außerdem gibt’s bunte Schwiddi-Aufkleber und Schwiddi-Sammelbildchen.

Die ungeheuren Vorwürfe der Opposition, der Petersberger Bürgermeister wolle sich in seiner letzten Amtszeit mit dem pompösen Kindergarten und den anderen Maßnahmen ein Denkmal setzen, weist Schwiddessen energisch zurück: „Mir geht es einzig und allein um die Menschen."

Im aktuellen Amtsblatt teilt die Gemeinde mit, dass das Freibad in dieser Saison geschlossen bleibt, Lärmschutzmaßnahmen auf unbestimmte Zeit verschoben werden und die Sanierung maroder Straßen auf Eis liegt. Begründung: „Auch wir müssen sparen." (JOCHEN WIELOCH) +++

HINTERGRUND: „Wielochs wirre Welt" erscheint heute am 27. Freitag in Folge bei OSTHESSEN|NEWS. Jochen Wieloch (37) blickt dabei pointiert, humorvoll und teilweise mit einer gehörigen Portion Ironie auf die Ereignisse, die die Menschen in der Region und im Land bewegen. Der Petersberger kennt sich als selbstständiger Redakteur in den Medien Print, TV und Internet bestens aus, ist Buchautor und als Spezialist für Unterhaltungselektronik gefragter Autor für zahlreiche Verlage, Magazine und Fachzeitschriften. Außerdem berät und betreut der 37-Jährige Unternehmen in allen Fragen der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Neben dem ZDF, 3sat und dem Bayerischen Rundfunk arbeitete Jochen Wieloch unter anderem auch für die Motor Presse in Stuttgart und auto-tv in München. Für osthessen-tv.de stellt der Germanist neuerdings regelmäßig automobile Neuheiten in Filmbeiträgen vor. +++