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Die unterschiedliche Herkunft stand der erfolgreichen Verwirklichung der Projekte nicht im Wege - Fotos: privat

REGION Fuldaer Niklas Dietrich ein Jahr in Sambia

Afrikanischer Staub statt deutscher Hörsaal

ZUR PERSONDer Fuldaer Niklas Dietrich (19) war von August 2016 bis August 2017 für ein Jahr im südostafrikanischen Sambia, um mit einem Sport-Projekt den Kinder das Schwimmen beizubringen. Derzeit absolviert der 19-Jährige ein mehrwöchiges Praktikum in der Sportredaktion von OSTHESSEN|NEWS. Ab Oktober wird Dietrich in Dortmund Journalistik studieren.

18.09.17 - Welch verbindende Wirkung der Sport haben kann, hat Niklas Dietrich hautnah miterlebt. Ein Jahr verbrachte der 19-jährige Fuldaer im südostafrikanischen Sambia. Er half Kindern, schwimmen zu lernen, organisierte Fußball-Turniere und lernte Land und Leute kennen und schätzen. Bei uns erzählt er seine Geschichte.

Ein bisschen fühle ich mich wie ein Rockstar, der gerade die Bühne betritt, wenn ich morgens um 8 Uhr die Kinder zum Sportunterricht abhole, oder sie am Nachmittag zum Schwimmen begleite. Es empfängt mich eine Menge von 30 fünf bis zwölfjähriger begeisterter Schülerinnen und Schüler, die vor Energie nur so strotzen und es gar nicht abwarten können, endlich auf dem Sportplatz herumzutoben oder ins Schwimmbecken zu springen.

Nicht für jeden ist es leicht, die richtige Schwimmtechnik zu erlernen ...

Die kleinsten Schwimmer benötigen noch eine Hilfestellung

Um sich selbstständig im Wasser zu bewegen, gehört auch Mut

Was für mich und meine Kollegin Connie zunächst wie ein großer Haufen Arbeit aussieht, ist für viele der Kinder vermutlich tatsächlich so etwas wie ein Rockkonzert, nämlich ihr persönliches Wochenhighlight neben langen Schultagen und anstrengender Arbeit zu Hause. Fairerweise muss man sagen, dass wir uns neben den anderen Lehrern in der beliebten Position des Sportlehrers befinden und durch unsere Hautfarbe natürlich wahre Exoten sind, die von den Kindern bei jeder Gelegenheit angefasst und begutachtet werden müssen.

Als eine Art Exot sahen mich wahrscheinlich auch viele meiner Freunde und Bekannten, deren Augen immer größer wurden, als ich ihnen letztes Jahr von meiner Entscheidung erzählte, ein Jahr in Sambia zu verbringen. „Pass auf, dass du kein Aids bekommst,“ oder „gib acht, dass du genug zu essen kriegst“, waren nur einige der gut gemeinten Ratschläge, die ich von einigen besorgten Bekannten erhielt.

Jedes Jahr ertrinken unzählige Menschen in sambischen Gewässern

Diese Kinder gehören zu den wenigen, die lernen, sich im Wasser zu bewegen ...

Während der Trockenzeit, die in unserem Herbst liegt, stirbt der gesamte Busch ab ...

Nach der Regenzeit haben die Viktoriafälle im April am meisten Wasser... ...

...und während der Trockenzeit im Oktober am wenigsten

Im "Devils Pool" kann man einen Blick über den Rand der Fälle werfen

Entgegen der vielen Vorurteile, die gegenüber afrikanischen Ländern in unseren Breiten herrschen, bot mir der Sportverein „ASC Göttingen von 1846“ (ASC 46) im Rahmen des „weltwärts“ Programms, die Möglichkeit, mir mein eigenes Bild zu machen. „weltwärts“ ist eine Initiative des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), unter der eine Vielzahl an Organisationen junge Menschen für Freiwilligenprojekte in Entwicklungsländer entsendet werden. Arbeiten darf ich ab August 2016 in Livingstone, das in dem südostafrikanischen Land Sambia liegt.

Zugegeben hatte ich, bevor mir der ASC 46 das Angebot machte, keinen blassen Schimmer, wo sich dieses Land in Afrika befindet. Bei dem Stichwort Viktoriafälle ging mir dann aber doch ein Licht auf. Die sind nämlich nur ein paar Kilometer von Livingstone entfernt, das jedes Jahr unzählige Touristen aus aller Welt anzieht.

In einem Team von vier Freiwilligen geht es im August vergangenen Jahres ab in den Süden, wo uns jeden Tag in den ersten Monaten bei konstanten 40 Grad die Sonne auf den Kopf scheint und unsere deutsche Blässe in kürzester Zeit in sportliche Bräune verwandelt. Connie und ich haben dabei als Schwimmtrainer eine komfortable Position und ziehen deshalb den Neid der anderen auf uns. Unser Schwimmunterricht ist im September mit den Schülern der „Acacia International School“ gestartet, die die teuerste, aber wahrscheinlich auch beste Privatschule in Livingstone ist und ihr Geld in ein Schwimmbecken investiert hat.

Ganz schön viel los war auf dem Sportplatz, als 150 Kinder um den "Afrikacup" spielten ...

Auf dem zweitägigen Fußballcamp freundeten sich Kinder aus unterschiedlichen ...

Der zweite tag des Camps beginnt

Im Laufe des Jahres können wir das Projekt ausbauen und heißen die Kinder des SOS-Kinderdorfes in Livingstone an dem Pool der Acacia Willkommen. Damit geht für uns ein lang ersehnter Traum in Erfüllung: Von Beginn an ist es unser Wunsch, diejenigen Kinder in das Schwimmprojekt miteinzubeziehen, die dazu ansonsten nicht die Möglichkeit dazu haben.

Denn in der ehemaligen britischen Kolonie fehlt es nicht nur an öffentlichen Schwimmbädern und Trainern, sondern auch an Transportmöglichkeiten. Eine für uns in Deutschland normale Mobilität ist in dem afrikanischen Land ein Luxusgut, das sich nur wenige Menschen leisten können. Die wenigsten Menschen besitzen ein Auto und auch öffentliche Verkehrsmittel wie Busse oder Straßenbahnen sind noch nicht mal in der Hauptstadt Lusaka vorhanden.

Für längere Strecken ist man daher zwangsweise auf die vielen Taxifahrer angewiesen, die den ganzen Tag auf der Suche nach Kundschaft durch die Stadt fahren. Obwohl die Preise nach unseren Maßstäben sehr günstig sind (ich zahle für meinen Weg zur Arbeit umgerechnet 3 Euro), können viele Leute diese Summe nicht regelmäßig aufbringen. Auch die Sensibilität für Schwimmen als wichtigen „Lifeskill“ stellt sich schnell als Problem heraus. Ungeachtet dessen, dass jeden Tag Kinder und auch Erwachsene in sambischen Gewässern wie zum Beispiel dem Sambesi ertrinken, sehen viele Eltern keinen Grund, ihren Kindern eine Schwimmausbildung zu ermöglichen.

Kurz vor dem Finale Kamerun gegen Burkina Faso

Wir bekamen tatkräftige Unterstützung von einem starken Helferteam.

Wohlhabende Gäste verbringen ihren Afrikaurlaub im "River Club" direkt am Sambesi ...

Was wir zunächst am Beispiel unserer Schwimmstunden beobachten können, stellt sich jetzt als typisch für die gesamte Gesellschaft in Livingstone heraus: man kann hierbei nicht von einer Gemeinschaft sprechen, sondern viel eher von unterschiedlichen Einkommensschichten, die unter sich bleiben und kaum miteinander in Berührung kommen.

So treffe ich Menschen, die seit einigen Jahren in Sambia leben und noch nie „Nshima“, den in dieser Region weit verbreiteten Maisbrei, probiert haben. Stutzig bin ich auch, als ich erfahre, dass diese Menschen noch nicht einmal das Wort „Musungu“ kennen, das so viel wie weißer Mann heißt und das man von allen Seiten zu hören bekommt, wenn man als „Weißer“ über die Straße läuft. Ich verstehe nicht, warum man in einem Land, in dem es nie einen Bürgerkrieg gab und in dem Menschen mit dunkler und heller Hautfarbe friedlich nebeneinander leben, so wenig übereinander weiß.

Dabei lohnt einen Blick auf diese andere Welt zu werfen, die für mich als Europäer, wie aus einer anderen Zeit zu stammen, scheint. Nur wenige Kilometer außerhalb von Livingstone lernt man das ländliche Afrika kennen. Auf den Dörfern leben die meisten Menschen in Häusern aus Ästen und Lehm. An ihrer Lebensweise hat sich seit vielleicht 3.000 Jahren nichts verändert, außer, dass viele mittlerweile ein Handy besitzen. Doch die Romantik vom einfachen Dorfleben existiert nicht. Es gibt viel, womit die Dorfbewohner tagtäglich zu kämpfen haben. Auch wenn es kaum Menschen gibt, die Hunger leiden, kostet zum Beispiel das Immunschwächevirus HIV/AIDS aufgrund mangelnder Aufklärung immer noch unzählige Menschenleben.

Ein Einkaufszentrum in Lusaka

Unterschiede zu Europa sind kaum zu erkennen

Nur wenige Meter weiter: eine typische Straßenszene

Menschen mit Geld scheinen aber in einer Art Blase, einer eigenen kleinen Welt zu wohnen, die sich von dem normalen Sambia, das eigentlich jeder auf der Straße sehen kann, abschottet. Orte dieser Abschottung sind in Livingstone zum Beispiel der „Golf Club“, an dem sich die reiche Elite trifft oder eine der vielen teuren Häuser entlang des Sambesi. Wenn man genug verdient, bewegt man sich in seiner Blase zwischen diesen Orten, aber kommt auf keinen Fall auf die Idee, zwischendurch auszusteigen.

Einer der wenigen Momente, in der diese Blase nicht mehr zu existieren scheint, ist das von uns organisierte Fußballturnier, bei dem alle Teams der Schulen, mit denen wir zusammenarbeiten, teilnehmen. Ganze 150 Kinder toben zwei Tage lang in Teams mit Namen wie Ägypten, Sambia oder Elfenbeinküste über den Rasen und kämpfen um den „Afrikacup“, der im vergangenen Jahr von den Profis ausgetragen worden ist. Die Besonderheit an dem Turnier ist, dass die Kinder nicht in ihren Teams antreten, sondern zu Beginn der Veranstaltung Lose ziehen und so in eines der 16 Mannschaften des Afrikacups eingeteilt werden.

Beim Anblick dieses Dorfes, scheint hier die Zeit seit Jahrhunderten still zu stehen ...

Auf einem typischen sambischen Markt findet man allerlei nützliches

Hier kann man einige Stunden verbringen

Die Marktfrauen erklären uns gerne die vielen fremden Dinge

Das Gemüse gibt es frisch vom Feld. Der überwiegende Teil der Landbevölkerung sind ...

Sambias Nationalgericht: Nshima

In der Vorbereitung haben wir lange darüber diskutiert, ob eine Durchmischung der Teams Sinn macht oder ob wir sie nicht lieber in ihren altbewährten Mannschaften antreten lassen sollten. Als mir dann bereits am ersten Turniertag der zehnjährige Alex, der eine der teuersten Schulen Livingstones besucht, erzählt, dass er sich mit seinem Mannschaftskollegen Francis aus dem SOS-Kinderdorf angefreundet hat, merke ich, dass wir keine bessere Entscheidung hätten treffen können.

Die Spieler, die aus verschiedenen Schulen und somit aus unterschiedlichen sozialen Schichten kommen, machen durch das Turnier eine kostbare Erfahrung: Kinder, die aufgrund ihrer Herkunft sonst nichts miteinander zu tun haben, lernen sich durch den Sport kennen und schließen neue Freundschaften. Es ergibt sich für mich ein beeindruckendes Bild, als ich Schüler der teuersten Schule Livingstones neben Waisenkindern des SOS-Dorfes und Kindern vom Land in einem Team Fußball spielen sehe.

Traditionelle Kleidung anlässlich des "International Women's Day"

Durch das Turnier findet ein Austausch statt, den es ohne den Sport als bindendes Glied in der Gesellschaft Livingstones vielleicht nie gegeben hätte, denn abseits vom Sportplatz entscheidet das Einkommen der Eltern darüber, wer sich mit wem trifft und wer mit wem spielt. Für einen kurzen Moment ist es egal, ob man mit dem fetten Geländewagen des Vaters zur Schule gefahren wird oder jeden Tag mehrere Kilometer laufen muss.

Die Rugbyspieler der "Livingstone Rhinos" freuen sich über einen Sieg

Für zwei Tage ist jene Blase geplatzt, in der sich einige bewegen und die dafür sorgt, dass sich beide Welten gleichzeitig so nah und doch so fremd sind. Auch für mich bleibt nach der Veranstaltung ein besonderes Gefühl: zum ersten Mal in meinem Leben spüre ich sie, die berühmte verbindende Kraft des Sports. Sie ist, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, unglaublich mächtig. (Niklas Dietrich) +++

Zahlreiche Nilpferde tummeln sich im Sambesi

Ein Impala


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