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REGION NACHGEDACHT 91

Wir können doch über alles sprechen - von Christina LEINWEBER

05.10.14 - Beim Anstehen an einer Kasse musste ich ein Telefongespräch mithören, das ein Mann direkt neben mir führte. Die Person am anderen Ende war sehr laut. Doch das schien den Mann neben mir unbeeindruckt zu lassen. Er sagte sogar einen Satz – trotz Dauerbeschallung vom anderen Ende – der mir bis jetzt im Gedächtnis geblieben ist: „Bleib ruhig, wir können doch über alles reden.“ Vielleicht ist der Satz inhaltlich nichts Besonderes, aber in seiner stimmlichen Umsetzung hörte er sich beeindruckend an: Der Mann sprach jedes Wort gewissenhaft, ruhig und fest. Und mit seinen Worten schwappte eine Zuversicht in den Telefonapparat, die die aufgebrachten Person leiser werden ließ. Dabei hätte man es dem Mann nicht übel genommen, wenn er auch einmal zurückgeschrien hätte. Nein, er wählte den vielleicht schwereren Weg und versuchte eine Einigung zu erreichen.

Ich verknüpfte sofort einen Begriff aus meinem Theologiestudium damit – dieser nennt sich „Interreligiösen Dialog“. Er hat zum Ziel, dass die Religionen unter sich ins Gespräch kommen. Er möchte erreichen, dass sich der anderen, fremden Religion angenähert wird, damit das Andere oder das Fremde so gut wie möglich verstanden werden kann und eventuell vorhandene Vorurteile abgebaut werden. Der Dialog muss demnach vorbehaltlos geschehen. Und als ich die wohlwollenden Worte des Mannes hörte, dachte ich mir, dass wir auch schon in kleineren Einheiten – in viel kleineren Einheiten als Religionen – beginnen müssen, zu reden. Bereits im direkten, zwischenmenschlichen Kontakt müssen wir den respektvollen Dialog voranbringen und ihn kultivieren.

Denn ich bin ehrlich: Ich höre den Satz „Wir können doch über alles sprechen“ nicht besonders oft. Und falls er gesagt wird, bleibt er oft nur ein Versprechen, das nicht eingelöst wird. Meistens ist es leider so, dass man gerade nicht reden will, wenn die Fronten verhärtet sind. Nette Worte kommen dann selten über die Lippen. Denn nur wenige Menschen beherrschen sich selbst in Streitsituationen und behalten die Kontrolle über ihre Worte. Deswegen empfand ich diesen Satz als etwas ganz Besonderes. Der Mann wollte eine Einigung, er wollte nicht aus dem Streit fliehen. Er stellte sich der Herausforderung - und das mit einem kühlen Kopf.

Ich hoffe, der Mann hielt sein Versprechen und stellte sich einer Aussprache. Wichtig dabei ist es – ganz wie im Konzept des interreligiösen Dialoges - dass man die Kompetenz hat, die Perspektive zu wechseln. Es muss möglich sein, die Rolle des anderen „Streitpartners“ einzunehmen. Denn nur so können wir mitfühlen, warum das Gegenüber aufgebracht ist – und nur so können wir Lösungen gemeinsam erreichen. Dann ist ein Gespräch keine Sackgasse, sondern eröffnet neue Wege. Also heißt es Empathie aufbringen, um respektvolle, sinnvolle Gespräche zu führen - denn eigentlich können wir ja wirklich über alles sprechen. (Christina Leinweber) +++

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ZUR PERSON: Christina Leinweber, 1988 geboren in der osthessischen Bischofsstadt Fulda, neun Jahre katholisch-private Schulausbildung – so war der Weg zum Theologiestudium für sie vorbestimmt und beschlossen. Es ging dann für vier Jahre Studium in die nächste Bischofsstadt Paderborn - hat inzwischen ihr 1. Staatsexamen in der Tasche und ist seit Anfang November 2013 im Schuldienst des Landes Hessen. Ihre Tätigkeit als Kolumnistin bei osthessen-news.de möchte sie auch in Zukunft fortsetzen. Sie selbst bezeichnet sich als liberal-theologisch und kommentiert (seit 91  Wochen) in der Serie "NACHGEDACHT" Dinge des Alltags aus ihrer persönlichen Sicht. +++


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