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Liebesszene -

FULDA Depression hat viele Gesichter

Theaterstück "Norway Today" - das Leben neu lieben lernen

05.02.16 - Was geschieht, wenn man an einem Punkt in seinem Leben ist, wo alles trist und einsam erscheint, auch wenn die Welt sich weiter dreht? Wenn die Farben verloren gehen und man keinen anderen Ausweg mehr sieht, als die vermeintliche Erlösung? Mit diesen und ähnlichen Fragen beschäftigt sich das Theaterstück "norway today", organisiert von dem Bündnis gegen Depression Fulda. Eine der zehn Aufführungen fand am Donnerstagabend im Schlosstheater Fulda statt und öffnete dem Publikum die Augen für ein schwieriges Thema. 

Die scheinbar taffe Julie (Marget Flach) und der 19-Jährige August (Samuel Pock) lernen sich im Internet kennen. Julie berichtet über ihr Vorhaben sich umbringen zu wollen und sucht jemanden, der mit ihr kommt. Sie will es nicht alleine tun. August stellt sich freiwillig zur Verfügung. "Bist du krank oder so?", will sie von ihm wissen. "Nein. Ich weiß nicht", ist Augusts Antwort. Der Hintergrund in dieser Szene ist schwarz. Die Gesichter wirken blass, die Augen ausdruckslos. "Was ist Vernunft?", fragt Julie als nächstes. Der Zuschauer bekommt den Eindruck, dass Julie ihren Gefährten genau testet. Sie will keinen Anfänger. "Vernünftig ist sich umzubringen", erwidert August. Julie ist glücklich, dass er mitkommt, aber er muss ihr versprechen, niemanden etwas davon zu erzählen. Die Reise beginnt. 

Die Aufführung ist Teil einer gemeinsamen Kampagne von sechs Regionen. Eigens dafür wurde das Stück neu inszeniert und soll der Suizid-Prävention dienen. Spielort ist Norwegen, auf einer Klippe eines riesigen Fjordes. Matratzen stellen den Schnee da. Insgesamt arbeitet das Stück mit wenig stilistischen Mitteln. Die Hauptpersonen stehen die ganze Zeit im Vordergrund. Die Zuschauer werden nicht von einer beeindruckenden, wechselnden Kulisse abgelenkt, sondern bleiben auf die zwei Darsteller fokussiert.

Das beeindruckende Polarlicht lässt die Schauspieler einander näher kommen ...

Obwohl der Sprung in den Tod das Ziel der beiden Jugendlichen ist, erinnert Julie ihren Begleiter daran, Essen, warme Kleidung und ein Zelt mitzunehmen, was zunächst ein wenig an der Ernsthaftigkeit des Vorhabens zweifeln lässt. In Norwegen angekommen, freut sich August über den Schnee und redet wie ein Wasserfall, was Julie nervt. Man bekommt schnell zu spüren, dass Julie das Sagen haben möchte. Sie lässt sich nicht gerne in die Seele blicken. August bezeichnet sie als "kalt". Er fragt sie immer wieder, warum sie sich nicht alleine umbringen will. Julie weicht aus und erklärt zunächst nur den Grund ihres Vorhabens. Obwohl sie eine glückliche Kindheit hatte, ist sie voller Weltschmerz. Julie fühlt sich nicht zugehörig. Sie denkt, sie passt nicht zu den Menschen. Die Lebenslust ist ihr verloren gegangen. Über Augusts Seelenleben hingegen erlangt man nur schleichend Einblicke. Oftmals hat man das Gefühl, dass er mehr aus Neugierde mitgekommen ist. 

Auf der Klippe in Norwegen

Während sie auf der 600 Meter hohen Klippe sind, wagen sie immer wieder einen Blick in den Abgrund. Julie mehr als August. Einmal blickt sie nach unten, will das August näher kommt und sie hält. Nun wird klar, wonach sich Julie sehnt. August zögert, die Angst ist ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Man spürt, dass er sich eigentlich gar nicht wirklich umbringen will, was er mit Aussagen wie "Scheiße, warum tun wir das?" unterstreicht, auch wenn er zwischendurch den festen Willen hat, sich das Leben mit Julie gemeinsam zu nehmen. Aber auch Julie kommen immer wieder Zweifel. Sie macht hin und wieder zwar deutlich, dass sie es hinter sich bringen will, stellt sich an den Abgrund, aber den letzten Schritt wagt sie nicht. Einmal wäre sie fast gestürzt. August hat mit Absicht lange gewartet, bis er sie hochgezogen hat. Nun hat Julie gespürt, wie es ist, wenn das Leben plötzlich am seidenen Faden hängt. 

Eine Achterbahnfahrt der Emotionen - auch was die Beziehung zwischen den beiden angeht. Sie tasten sich langsam aneinander heran. Dabei geraten sie aber auch heftig aneinander. Einmal bringt Julie August zu Boden, sodass er weint. August ist ein einfühlsamer Charakter, der Julie zu ergründen versucht und dabei mit weisen Worten glänzt, auch wenn er es selbst nicht so wahrnimmt. August hat Schwierigkeiten damit seine Liebe auszudrücken. Durch all die Wortgefechte bringen sie an dem jeweils anderen eine Seite zum Vorschein, an der sie selbst nicht geglaubt hätten. Zwischen ihnen entwickelt sich eine zarte Liebe und das Vorhaben gemeinsam in den Tod zu springen, rückt in weite Ferne.

Wendepunkt der Geschichte ist, als sie die Polarlichter sehen. Sie sind fasziniert. Dieses Erlebnis bringt für kurze Zeit das fehlende Licht in ihre noch jungen Leben zurück. Sie lachen und tanzen, blühen richtig auf und sind wieder voller Energie. Am nächsten Morgen halten sie allerdings erneut an ihrem Plan fest. Ein Wechselbad der Gefühle - sowohl für die beiden als auch bei dem Publikum. Schließlich bereiten Julie und August ihre Abschiedsreden vor. Julie beteuert die Liebe zu ihrer Familie - insbesondere zu ihrem Vater -, erzählt von dem Moment, als sie mit ihm in der Kindheit in Norwegen war und er sie festgehalten hat. Sie wollte immer gleichzeitig mit ihren Lieben sterben. Bevor sie mit ansehen muss, wie einer von ihnen stirbt, will sie die Erste sein. August will sich ins Unglück stürzen, ehe das Unglück ihn zuerst trifft. Er findet es schrecklich er zu sein. Aber dann erinnert er sich daran, wie er sich die letzten Moment mit Julie gefühlt hat. "Lebendig. Vielleicht zum ersten Mal", sagt er. Plötzlich wissen beide nicht mehr, warum sie hier stehen. "Ich will hier weg", mit diesem Satz von Julie endet das Stück. 

Fazit

Ein gut inszeniertes Stück, welches ein Tabuthema anspricht und der heutigen Jugendsprache angemessen ist- auch inhaltlich, ohne viel Schnick Schnack. Die Schauspieler erzählen von alltagsnahen Erlebnissen, mit denen sich vor allem Pubertierende identifizieren können. Dramen, Humor, Liebe, Trauer - ein großes Spektrum an Gefühlen wird hier geboten. Allerdings kann einen von den Gefühlsschwankungen und der Ambivalenz zwischen Entschlossen- und Unentschlossenheit der Rollen schon einmal schwindelig werden. Letztendlich geht es darum, wie man nach erfahrenem Schmerz zu neuer Lebendigkeit findet. 

Zur Aufarbeitung des Gesehenen lud das Bündnis gegen Depressionen nach der Aufführung zur Podiumsdiskussion mit beiden Schauspielern, Dr. med. Ulrich Walter und Privatdozent Dr. Frank Theisen (Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie). Das Publikum hatte so die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Zur Moral der Geschichte, wollten sich die Schauspieler allerdings nicht äußern. "Alles, was Sie jetzt fühlen ist richtig", so Marget Flach. Doch wie kommt es zu Depressionen? Fakt ist, dass jeder betroffen sein kann, was auch viel mit der Genetik, mit dem Selbstwertgefühl und mit der eigenen Verletzlichkeit zusammenhängt. Jedoch hat jeder mal eine miese Stimmung und nicht alles müsse zwangsläufig zu einer anhaltenden Depression führen. "Darüber mit Familie und Freunden zu sprechen, das ist wichtig", betont Dr. Frank Theisen. 

Das Bündnis ist im Vorfeld der Aufführung bereits verstärkt auf Schulen zugegangen und hat diesen spezielle Schulungen und Seminare angeboten. Doch viele sind zögerlich. "Es ist nach wie vor ein Thema, das Ängste auslöst", sagt Walter. Zwar sei er zufrieden mit der Resonanz, allerdings sei das Publikum älter als gedacht. Trotzdem wäre alles in allem ein gelungener Abend gewesen. (Helena Lemp) +++


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