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REGION WIELOCHS WIRRE WELT (131):

Datenschutz-Dilemma: Gratulationsverbot für Bürgermeister- Kamera-Attrappen im Rosenbad

"Wielochs wirre Welt" erscheint bei OSTHESSEN|NEWS heute am 131. Freitag in Folge. Jochen Wieloch blickt dabei (39) pointiert, humorvoll und teilweise mit einer gehörigen Portion Ironie auf die Ereignisse, die die Menschen in der Region und im Land bewegen. Der Petersberger kennt sich als selbstständiger Redakteur in den Medien Print, TV und Internet bestens aus, ist Buchautor und als Spezialist für Unterhaltungselektronik gefragter Autor für zahlreiche Verlage, Magazine und Fachzeitschriften. Außerdem berät und betreut der 39-Jährige Unternehmen in allen Fragen der Presse- und Öffentlichkeits-arbeit. Neben dem ZDF, 3sat und dem Bayerischen Rundfunk arbeitete Jochen Wieloch unter anderem auch für die Motor Presse in Stuttgart und auto-tv in München.

13.05.16 - Bad Hersfelds Bürgermeister Thomas Fehling hatte es schon Anfang April im Bürgerservice-Portal der Lullusstadt bedauert: Glückwunschkarten und Gratulationen vom Bürgermeister oder Stadtverordnetenvorsteher an ältere Bürgerinnen und Bürger, die keinen runden Geburtstag feiern, sind neuerdings nicht mehr erlaubt. Schuld ist das neue Bundesmeldegesetz, wonach Gratulationen erst ab dem 70. und zu jedem weiteren fünften Geburtstag gestattet sind. Ab 100 sieht die Welt besser aus, dann darf der Bürgermeister jährlich auf der Matte stehen.

Wieder mal bewahrheitet sich auf sympathische Weise das alte Sprichwort: andere Länder, andere Sitten! Während im Iran das Steinigen gesetzlich verankert ist, wird in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen das Gratulieren zum Geburtstag von oberster Stelle aus verboten. Was auf den ersten Blick relativ unbedeutend erscheint, stellt bei genauerer Betrachtung für Rathauschefs aber ein ernstes Problem dar. Die überbrachten den Rentnern bisher ja schließlich keine persönlichen Glückwünsche, um sich von der letzten Hüft-OP und der Reha im Schwarzwald berichten zu lassen, sondern um sich mit dem netten Foto von der Blumenübergabe als Alternativmotiv zum Spatenbild in der Presse wiederzufinden. Das Gratulationsverbot an unrunden Geburtstagen trifft die Bürgermeister deshalb hart und wird so manche Karriere abrupt beenden.

Aber es kommt noch viel schlimmer: Kollidiert das Bundesmeldegesetz mit anderen – nennen wir sie mal Datenschutzproblematiken –, so ist das Chaos vorprogrammiert. Beispiel: Eine 93-Jährige wird beim Klauen im Fuldaer Rosenbad von vier Zeugen beobachtet und von einer der 32 Videokameras erfasst. Darf der alarmierte Polizeibeamte, der die Aufnahme auswertet, die Dame ob ihrer vermeintlichen Tat mit auf die Wache nehmen?

Sie werden zum selben Schluss gekommen sein: Nein, natürlich nicht, hier spricht einiges dagegen. 1.) Die Dame ist 93. Ordnungshüter dürfen Personen ab 70, die sich einer Straftat verdächtig machen, nur ansprechen, wenn diese 70, 75, 80, 85, 90, 95, 100 oder älter sind. Die Feststellung des Alters ist aus Datenschutzgründen allerdings nicht gestattet. Deshalb darf die Polizei nicht mal überprüfen, ob sie grundsätzlich dazu berechtigt wäre, den Dialog mit einer Tatverdächtigen zu suchen, obwohl deren tatsächliches Geburtsdatum zumindest theoretisch rein formell eine persönliche Kontaktaufnahme zwecks Gefahrenabwehr oder Kriminalitätsbekämpfung ermöglichen würde. Klingt kompliziert, heißt aber nur: Lasst die Alte in Ruhe! 2.) Der Fakt, dass vier Zeugen die Dame beim Entwenden einer fremden Geldbörse beobachtet haben, ist aus juristischer Sicht nicht existent. Diese dürfen nicht befragt werden. Schließlich könnten sich die Zeugen im ungünstigsten Fall Haarfarbe, Kleidung, Gesicht, Schuhe oder andere markante Details der Verdächtigen gemerkt haben und den Tatvorwurf bestärken, was ein eklatanter Verstoß gegen die Vorratsdatenspeicherung im menschlichen Gehirn und einen Eingriff in die Privatsphäre der mutmaßlichen Diebin darstellen würde. 3.) Der Beamte hat keinen Anspruch darauf, sich die Aufnahme der Überwachungskamera anzuschauen. Denn, wie die SPD Fulda schon treffend zu den zusätzlichen Kameras im Rosenbad bemerkt hat: „Wir wollen uns im Schwimmbad sicher und nicht beobachtet fühlen.“

Das heißt im Klartext: Völlig egal, ob im Becken ein 71-Jähriger einen Schwächeanfall oder eine 95-Jährige einen Herzinfarkt erleidet – die Senioren können sich sicher sein, beim Absaufen nicht beobachtet zu werden. Einzige gute Nachricht für die 95-Jährige: Im Gegensatz zum 71-Jährigen darf ihr der Bürgermeister ein Kondolenzkärtchen schicken. Hierzu herzlichen Glückwunsch! (Jochen Wieloch) +++


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