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Vor welchem Karren? Bei der Preisverleihung im April 2016 hatten die Schüler, ihre Lehrer und Eltern die Gelegenheit, während einer Führung einen Blick hinter die Kulissen von Amazon in Bad Hersfeld zu werfen. -

REGION Schleichwerbung für Schüler?

Kultusminister LORZ untersagt Schulen Teilnahme am AMAZON-Schreibwettbewerb

19.05.16 - Gute Absicht oder Lobbyismus für Grundschüler? Das hessische Kultusministerium hat den ihm unterstehenden Schulen im Land schriftlich untersagt, sich künftig an dem Schreibwettbewerb des Online-Versandhändlers Amazon zu beteiligen. Mit dem "Kindle Storyteller Kids"-Schreibwettbewerb für Grundschüler soll nach Angaben des Logistik-Riesen die Lese- und Schreibfähigkeit der Teilnehmer gefördert werden. Als Preise für die Gewinner werden ausschließlich Produkte von Amazon - unter anderem der namensgebende e-Book-Reader - ausgelobt. Die Klasse mit der besten Geschichte erhält als Gewinn 30 Kindl des Unternehmens und einen Gutschein für digitale Bücher im Wert von 1.750 Euro.

Die Konstantin-Gutberlet-Grundschüler aus Geismar hatte den Amazon-Schreibwettbewerb ...

Nachdem das Kultusministerium durch eine Bürgeranfrage auf den  Wettbewerb aufmerksam gemacht worden war, reagierte es offensichtlich zeitnah mit dem Teilnahmeverbot. Kritisch hinterfragt das Ministerium die eigentlichen Absichten des Unternehmens: "Nach unserer Auffassung ist dieser Wettbewerb mit den schulrechtlichen Vorschriften zum Werbeverbot in Schulen nicht vereinbar. Das gilt insbesondere, weil das Unternehmen den Wettbewerb ausschließlich in Regionen durchführt, in denen es einen Standort betreibt und eigene Produkte als Preise auslobt. Hier wird offensichtlich, dass es dem Unternehmen ausschließlich um das eigene Image in der Öffentlichkeit geht. Der Zweck der Leseförderung tritt eindeutig hinter dem eigenen Zweck zurück", teilt der Ministeriumssprecher auf Anfrage von O|N mit.

Deshalb seien Anfang des Monats auch die Schulämter, in deren Zuständigkeitsbereich die von dem Unternehmen adressierten Schulen liegen, informiert und darum gebeten worden, die Schulen auf die Rechtslage aufmerksam zu machen und darauf hinzuwirken, dass die Schulen an diesem Wettbewerb zukünftig nicht mehr teilnehmen.

Landräte als Schirmherrn

... und präsentieren stolz ihren Preis. Eine Wiederholung möchte das hessische ...Fotos(3): Amazon

Unterstützt wurde die Schreib-Initiative des Versandhändlers unter anderem auch von den Landkreisen Hersfeld-Rotenburg und Werra-Meißner. Stefan Reuß, Landrat im Werra-Meißner-Kreis und Schirmherr des Wettbewerbs war im April eigens zur Preisverleihung ins Logistikzentrum nach Bad Hersfeld gekommen: „Es ist schön, wenn sich große Konzerne wie Amazon auch für die Zukunft unserer Schüler einsetzen", hatte er gelobt. Gerade heute gebe es durch Fernsehen, Smartphone und Internet große Konkurrenz zum Lesen und Schreiben, hatte der Hersfelder Landrat Dr. Michael Koch (CDU) ergänzt, seines Zeichens ebenfalls Schirmherr des Amazon- Wettbewerbs: „Deshalb unterstützen wir die Initiative von Amazon gerne, denn sie ist eine tolle Gelegenheit für Kinder, die Lust am Lesen und Schreiben wiederzufinden", hieß seine Bewertung.

Heute zu der ganz konträren Einschätzung des Kultusministeriums befragt, erklärt der Pressesprecher des Landkreises Hersfeld-Rotenburg Dirk Herrmann: "Initiativen, die Kinder beim Lesen und Schreiben fördern, sind immer unterstützenswert. Natürlich dürfen sie nicht gegen Verbote oder Recht verstoßen, aber es wäre schade, wenn künftig Schulklassen aus Hessen nicht mehr an überregionalen Wettbewerben teilnehmen könnten. Wir stehen deshalb derzeit im Austausch mit Veranstalter und Kultusministerium."

Fortsetzung für 2017 geplant?

Das Unternehmen selbst  sieht aber offenbar keinen Grund zur Selbstkritik: „Der Storyteller Kids Wettbewerb wurde in den Jahren 2014, 2015 und 2016 durchgeführt, um das kreative Schreiben von Kindern im Grundschulalter zu fördern. Im Jahr 2016 nahmen mehr als 300 Grundschulen an dem Programm teil. Die für 2017 geplanten Initiativen für Organisationen, lokale Institutionen und Gemeinden rund um die Standorte, an denen Amazon tätig ist, wird das Unternehmen in den kommenden Monaten bekanntgeben", teilt Anette Nachbar, zuständig für die Unternehmenskommunikation, auf Anfrage mit.

Verein LobbyControll fühlt sich in seiner Kritik bestätigt

Dass Amazon mit seinem Wettbewerb gegen das Schulgesetz in Hessen verstößt, bestätigt das gleichlautende Urteil des Vereins LobbyControll: "Bereits im letzten November hatten wir im Rahmen unserer Aktionswoche gegen Lobbyismus an Schulen aufgedeckt, wie Amazon die Kreativität der Kinder für seine Geschäftsinteressen instrumentalisiert. Unsere Einschätzung von damals wird damit bestätigt: Dem Unternehmen geht es vor allem um Imageförderung und Kontaktpflege zur Lokalpolitik", schreibt Felix Kamella für LC. Die Politik habe hier erfreulicherweise eingesehen, dass Lobbyismus an Schulen ein reales Problem ist, bei dem Handlungsbedarf bestehe.

Laut LobbyControll profitiert Amazon von dem Wettbewerb auf vielen Ebenen: Er biete die Chance mit einem positiven Artikel in der Lokalpresse aufzutauchen. Außerdem könnten so Kontakte zu den zuständigen Verantwortlichen der Logistikstandorte aufgebaut oder gepflegt werden. Auf seiner Webseite führe das Unternehmen den Schulwettbewerb zudem als Beleg für seine gesellschaftliche Verantwortung auf. Kritik an dem Konzern, der wegen schlechter Arbeitsbedingungen und Steuerflucht Schlagzeilen bundesweit macht, finde im Rahmen der Schulwettbewerbe keine Erwähnung.

Auch Bayern sieht den Wettbewerb kritisch

Kritik an der vorgeschobenen Leseförderung kommt laut LC auch aus Bayern. In einer Bewertung des Schulministeriums von Anfang April, die LobbyControl vorliegt, heißt es: „Leseförderung ist eine schulische Aufgabe, die von den Schulen mit eigenen Mitteln voll erfüllt werden kann.“ Und weiter: „Es ist daher in der Regel nicht notwendig, sich für die Leseförderung eines kommerziellen Kooperationspartners zu bedienen“. Zudem dürfe die Schule einem einzelnen Unternehmen keinen Marktvorteil verschaffen.  Es scheint, dass eine Sensibilisierung für das Thema Lobbyismus auf dem Rücken von Schulkindern begonnen hat. +++ci


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