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Silvya Mathes wie sie ihre Kunden und Freunde kennen, sie hat für jeden ein Lächeln und ein gutes Wort parat. - Fotos: Barbara Enders

BISCHOFSHEIM/RHÖN Eine Ära geht zu Ende

Kiosk der Familie MATHES am Kreuzberg muss zum Saisonende schließen

19.09.16 - „Als ich so klein war“, deutete Silvya Mathes auf ein Kleinkind, das eine Frau im Kinderwagen vorbei schob, „nahm meine Mutter mich schon mit in den Kiosk. Ich durfte dann in der Papierkiste sitzen und spielte mit Zeitungsschnipseln“. Silvya Mathes betreibt mit ihrem Mann Berthold bereits in der dritten Generation einen Andenkenladen direkt unterhalb des heutigen Berggasthofes „Elisäus“ auf dem Kreuzberg. Die Kirche des Klosters liegt in Sichtweite, keinen Steinwurf weit entfernt. Gerade das scheint der Geschäftsführung des Klosterbetriebes ein Dorn im Auge zu sein, denn zum Saisonende müssen die Kioske des Ehepaares Matthes und ihrer Nachbarin Pia Müller geschlossen werden. Begonnen hat es mit einer Forderung des Klosters, Pacht für die Hütten zu zahlen, welche die Kioske beherbergen. Dagegen konnten sich das Ehepaar Mathes und Pia Müller erfolgreich wehren.

Die Ursprünge
Als Silvya Mathes´ Großvater Adolf Benkert, der auch als der Kreuzberger Sepp bekannt war, sein Wohnhaus am Kreuzberg fertig gebaut hatte, erstellte er 1937 die kleine Kioskhütte unterhalb des damaligen Berggasthofes Hohn auf eigene Kosten und betrieb das Geschäft mit seiner Frau Berta. Das Grundstück gehörte damals zur Gemarkung der Gemeinde Unterweißenbrunn, die es ihm und allen Nachfahren der Familie Benkert unentgeltlich zur Nutzung überließ. Zwischen dem Kiosk der Benkerts und der Kirche stehen bereits seit etwa 1910 zwei weitere, die ursprünglich direkt neben dem Kirchenportal postiert waren. Ende der 1940er Jahre baute Adolf Benkert einen zweiten Kiosk auf seinem eigenen Grundstück oberhalb des Wohnhauses. Etwa um 1950 überließen die Benkerts den ersten Kiosk ihrer Schwiegertochter Maria, der Mutter von Silvya. Ende der 1960er Jahre begann Silvyas Schwägerin Johanna im zweiten Kiosk mit Silvyas Oma Berta zu arbeiten und führt ihn bis heute weiter.
Als 2002 Silvyas Mutter Maria starb, übernahm ab 2003 Silvya Mathes den Kiosk unterhalb des Gasthofes Hohn, den sie heute gemeinsam mit ihrem Mann Berthold betreibt. Zudem bekamen sie den daneben stehenden Kiosk der Familie Hohn dazu.

Grundstücksverkauf
Im Jahre 1978 verkaufte die Gemeinde Unterweißenbrunn ihr Grundstück vor der Klosterkirche an das Kloster Kreuzberg. Beim Verkauf wurde im Gemeindeprotokoll festgehalten, dass die Familie Benkert und ihre Nachfahren das Grundstück weiterhin nutzen dürfen. Leider wurde diese Festlegung nicht in die Verkaufsurkunde übernommen, somit besteht für die Familie kein Rechtsanspruch. 38 Jahre lang wurde diese Abmachung geduldet.

Blick aus dem Kiosk der Familie Mathes auf die Klosterkirche

Eide Miller aus Bad Neustadt zeigte ihren Besuchern aus Estland den Kreuzberg, bei ...

: Im ehemaligen Kiosk der Familie Hohn verkauft Berthold Mathes noch mit Mitte Oktober ...

Rhönheuler – an ihm schieden sich die Geister
In den 1970er Jahren, als die Rhön eine stark frequentierte Urlaubsregion war, geriet eine Ware der Kreuzberger Kioske in Verruf. Ein Traum der Kinder wurde zum Alptraum für Natur und die Bewohner der umliegenden Dörfer, der sogenannte Rhönheuler. Es war ein etwa meterlanges Stück Schlauch, in Durchmesser und Profilierung ähnlich einem Staubsaugerschlauch. Man konnte ihn in allerlei Neonfarben kaufen und wenn man das Teil kräftig durch die Luft schleuderte, entstand ein fürchterlicher Heulton. Auf den Rhönheuler angesprochen, lachte Silvya Mathes. „Ja, den kenne ich noch, aber der wurde nicht von uns eingeführt, den verkaufte als erster Bruder Valentin im klostereigenen Chinalädchen und wir übernahmen ihn dann später auch in unser Sortiment“. Das Gejaule der Rhönheuler störte nicht selten auch während der Gottesdienste, wie sich manch ein Kirchenbesucher noch erinnert.

Feste Öffnungszeiten
Die Familie Benkert und ihre Nachfahren achtete stets darauf, dass der Kiosk während der Gottesdienste geschlossen war. Auch bei der Ankunft einer Wallfahrt gab es keinen Verkauf und ebenso, wenn die Wallfahrer das Allerheiligste um Kirche und Kloster trugen. Zudem mussten die Wochenendöffnungszeiten jedes Jahr neu bei der Stadtverwaltung Bischofsheim, zu der der Weiler Kreuzberg gehört, neu beantragt werden. An insgesamt 40 Wochenenden dürfen die Verkaufsstände geöffnet sein. Die Saison beginnt im März und endet spätestens am 31. Oktober. An die Ladenschlusszeiten hielten sich die Kioskbetreiber auf dem Kreuzberg immer, allerdings nicht das Kloster, dessen hauseigener Kiosk seit einigen Jahren im „Elisäus“ angesiedelt ist. Wenn nach dem 31. Oktober recht viele Besucher auf dem Kreuzberg eintrafen, wurde der Kiosk schon einmal spontan geöffnet. Solange der Kiosk im Hauptgebäude des Klosters seinen Sitz hatte, war der Laden rund um das Jahr geöffnet. Für das Kloster scheinen manche Gesetze nicht zu greifen. Die Familie Mathes fragte im Winter 2015/2016 bei der Stadtverwaltung Bischofsheim an, ob auch sie für ihren Kiosk verlängerte Öffnungszeiten genehmigt bekämen.

Über diesen Weg kommen die Wallfahrer zur Klosterkirche. Der Kiosk rechts wurde erst ...


Im Frühjahr 2016 wurde den Kioskbetreibern Matthes und Müller ein Pachtvertrag für ihre Kioske unterhalb des „Elisäus“ vorgelegt. Da die Hütten aber nicht dem Kloster gehören, fehlte hierfür die Grundlage. Die Formulierung des Vertrages kommentierte Berthold Mathes mit den Worten „hätte in einer Diktatur nicht besser verfasst werden können“. Im Juni 2016 erhielten die Kioskbetreiber Matthes und Müller das Schreiben einer Anwaltskanzlei, die im Auftrag der Deutschen Franziskanerprovinz arbeitet. Hierin wurden sie aufgefordert zuzustimmen, ihre Kioske bis zum 30. Oktober 2016 restlos zurück zu bauen. Bei „positiver Rückantwort“ bis Ende Juni wurde ihnen in Aussicht gestellt, dass sie die Kioske bis zum 15.10.2016 weiter betreiben dürften und zu diesem Zwecke das Betreten des klostereigenen Grundstückes gestattet sei. Sollten sie nicht zustimmen, würde das als Dereliktion (Aufgabe des Eigentums durch den Eigentümer) betrachtet werden und das Kloster würde auf Kosten der Betreiber die Hütten abreißen lassen. Die Formulierungen des Schreibens gleichen einer Erpressung, die Betreiber hatten keine andere Wahl als zuzustimmen, ansonsten hätten sie die Kioske sofort schließen müssen.

Im Hinblicke auf den Auftraggeber dieses Briefes, der Deutschen Franziskanerprovinz, fragt sich der unbedarfte Beobachter, ob diese Handlungsweise noch im Sinne des Ordensgründers Franz von Assisi gewesen wäre? In der Presse wurde seitens des Klosters kürzlich der Abriss der Kioske als Teil einer Umgestaltungsmaßnahme veröffentlicht. Angeblich würden diese Kioske beim Einzug der Wallfahrer den Blick auf die Klosterkirche beeinträchtigen. Für die anderen Kioske, die direkt am Wege stehen, gilt das scheinbar nicht, denn hier wurde seitens des Klosters sogar ein Neubau eines Betreibers nachdrücklich befürwortet und unterstützt.

Die einziehenden Wallfahrer müssen den Kiosk am Weg passieren.


Viele Freunde und Besucher des Kreuzberges reagieren mit Unverständnis und können es nicht glauben, wenn sie von der Schließung der Kioske hören. Zwei Frauen aus Stockheim und Frickenhausen schütteln nur fassungslos den Kopf. Sie kommen seit über 50 Jahren zum Kreuzberg und für sie gehören die Stände mit dem Devotionalienhandel dazu. Ein junges Waldberger Geschwisterpaar, das mit dem für diese Generation typischen Handy in der Hand vorbei kam, kaufte bei jedem Besuch etwas bei Silvya Mathes, beim letzten Besuch war es eine Christopherus-Plakette fürs Auto. Eide Miller aus Bad Neustadt hatte Besuch aus Estland. Für sie gehört es dazu, ihren Gästen den Kreuzberg samt Wallfahrtskirche zu zeigen. Zum Abschluss erstanden sie einige Mitbringsel am Stand von Silvya Mathes.

„Wir waren im Kloster daheim“
Für Silvya Matthes ist die ganze Geschichte der Schließung eine große Enttäuschung, nicht nur die Kündigung sondern vielmehr die Umstände und der schlechte Umgang miteinander. „Wir waren im Kloster daheim“, beschreibt sie ihr Leben auf dem Kreuzberg. Ihr Vater Walter Benkert arbeitete in der Landwirtschaft des Klosters, kümmerte sich um Kühe und Schweine, auch eine Gärtnerei mit großen Gewächshäusern gehörte früher dazu. „Als Kinder halfen wir mit, den Schnee in die Eiskeller der Brauerei zu schaufeln, es waren schon schöne Erlebnisse“, resümiert sie. Ihre Eltern bauten bis zum Jahre 2000 die Krippe der Klosterkirche auf. 38 Jahre lang nach dem Grundstückskauf des Klosters und insgesamt 79 Jahre nach Erbauung des Kioskes der Familie Benkert ist nun Schluss. Was Silvya Matthes bleiben wird, sind schöne Erinnerungen, z. B. jene, wie ihre Mutter sie als Kleinkind mit in den Kiosk nahm. (ara) +++


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