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- Zur Verfügung gestellt von Anja Kierblewski

ALSFELD / RENZENDORF Ort zur Stabilisierung Jugendlicher

Erlös der 3. Kicker-Business-Night geht an das Haus Wildgänse

17.05.17 - Die Fragen wollten gar nicht enden: Wer oder was sind die Wildgänse? Nein, nicht die, die in der Natur zu finden sind, sondern die, die in Renzendorf leben – allerdings auch sehr naturverbunden und urban – konzentriert aufs Wesentliche: Stabilität zu erhalten, Nachhaltigkeit zu beachten und vor allem Eigenverantwortung zu lernen.

Gespannt lauschten Dr. Stefan Strack und Helmut Euler den Ausführungen von Einrichtungsleiter Florian Hill. Genau: Einrichtung. Denn hinter den Renzendörfer Wildgänse verbirgt sich eine vollstationäre Jugendhilfeeinrichtung für Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren. Ihnen überbrachte der Architekt Stefan Strack vom Architekturbüro Schmidt & Strack und der Vorstandsvorsitzende der VR Bank Hessenland die Spende aus dem diesjährigen Business-Kicker-Turnier, dass im Februar zum dritten Mal als Firmenevent mit Benefizcharakter in dem Alsfelder Kreditinstitut ausgerichtet wurde.

Doch bevor die beiden Turnier-Organisatoren den Scheck über 1.000 Euro direkt an die Jugendlichen überreichten, stellten sie neugierige Fragen an Florian Hill, der seit 2011 die Leitung des Hauses Wildgänse übernommen hat „Wer kommt hier her? Wie kommen sie hierher? Wie finanzieren Sie sich? Wie lange bleiben die Jugendlichen? Wie sieht der Alltag aus? – um nur einige der Fragen zu nennen, für die sich Florian Hill genügend Zeit nahm, um sie zu beantworten. Denn obwohl das Haus Wildgänse so nah ist, ist es wenig bekannt, auch nicht den Schecküberbringern. Diese sind erst durch den Antrag von Wildgänse-Mitarbeiterin Anja Kohl-Thoma darauf aufmerksam geworden, die sich um die gemeinnützige Spende aus dem Kicker-Turnier für das Haus beworben hat. Das Haus wird von einem Verein getragen und von Jugendämtern finanziert. „Es gibt nur wenige Einrichtungen wie unsere in Deutschland und wir haben auch nur elf Plätze“, erläutert Hill.

Das Besondere an dem Haus, was es einzigartig macht im Vergleich zu anderen: Jugendliche mit Doppeldiagnosen finden hier für ein paar Monate oder Jahre ein neues Zuhause – manche freiwillig, manche vom Jugendamt oder den Eltern geschickt. „Doppeldiagnose“ bedeutet, dass die Jugendlichen sowohl physische als auch psychische Probleme haben oder erkrankt sind. Beispielsweise Diabetes in Kombination mit einer Essstörung oder eine Medikamentensucht kombiniert mit Psychosen oder Panikattacken. „Unser Ansatz ist es, die körperlichen und psychischen Erkrankungen nicht getrennt zu behandeln, sondern sich auch der Wechselwirkungen bewusst zu sein und die komplexe Situation als Ganzes zu betrachten und zu verbessern“, erklärt der 37-jährige Leiter.


Dabei bildet sich das Mitarbeiterteam aus Erziehern und Erzieherinnen, Sozialpädagogen, Therapeuten, Psychiatern sowie Haushalts- und Verwaltungsmitarbeiter. Sie nutzen dabei einen dualen systemisch-analytischen Ansatz: interessiert an eigenen Ressourcen und Lösungsstrategien sowie Ursachen, Analysen zuerarbeiten.

„Wir sind zunächst das Pendant zur heutigen Leistungsgesellschaft, wir nehmen den Druck raus, es wird erstmal entschleunigt und entspannt“, berichtet Hill aus den Anfängen der als Langzeittherapie ausgerichteten Maßnahmen. „Uns ist es wichtig, dass die Jugendlichen erst einmal psychisch stabilisiert werden und emotional Nachreifen können.“ Viele Jugendliche kämen nämlich aus der sogenannten „Wohlstandsverwahrlosungen“ – eigentlich haben sie materiell alles, was sie zum Leben brauchen, häufig fehlt ihnen aber gute emotionale Beziehungen zu den Eltern, Großeltern oder Gleichaltrigen. Ursachen dafür könnten die Überforderungen und Überlastungen der Eltern durch den Druck der Leistungsgesellschaft sein, frühzeitige Berufstätigkeit der Mutter oder Rollenunklarheiten. „Heute muss ein Junge empathisch sein, aber bloß kein Weichei!“, sagt er mit Nachdruck.

Die Bandbreite an den heutigen Möglichkeiten sei für Erwachsene – also auch Eltern – genauso schwer wie für Kinder und Jugendliche. „Dies sorgt für eine Orientierungslosigkeit und Verwirrung“, weiß der Pädagoge. Im Haus Wildgänse möchte man kleinschrittig mit den Jugendlichen daran arbeiten, eine Tagesstruktur wiederzugewinnen, die Eigenwirksamkeit zu erfahren, gegenseitigen Respekt zu lernen und sich dann nach und nach wieder in die Gesellschaft zu integrieren – ohne rückfällig zu werden oder Rückschläge einstecken zu müssen. „Deshalb schreiben wir viele Jugendliche auch erst einmal krank. Sie müssen zunächst nicht in die Schule, bis sie sich besser fühlen und etwas klarer sind“, erläutert Florian Hill, der selbst sehr respektvoll mit den Jugendlichen umgeht – „nur so können sie es lernen!“

So erleben die Jugendlichen – inzwischen ungefähr genauso viele Mädchen wie Jungen – im Alltag ihre Eigenwirksamkeit, beispielsweise in der Küche, im Garten oder in der Holzwerkstatt. „Du willst ein neues Bücherregal – gerne, wir helfen dir dabei, aber bauen tust du es selbst.“ oder „Du kannst dich heute im Unterricht schlecht konzentrieren? Ok, dann hilf im Garten oder in der Küche und pflücke und bereite den Salat zu, den du später essen möchtest“.

Neben diesen Dingen haben die Jugendlichen regelmäßig Therapiesitzungen und gehen in die Lernwerkstatt, in der binnendifferenzierter Unterricht – sprich individuell orientiert am Leistungsstand – stattfindet. „Später, wenn sie stabiler sind, besuchen unsere Jugendlichen wieder die Regelschule“, klärt Florian Hill auf.

Dass die Anstrengungen des Betreuungs- und Therapeutenteams schon Früchte tragen, konnten Strack und Euler selbst erfahren. Bevor sie den mitgebrachten Scheck den Jugendlichen übereichten, führten drei junge Männer die Sponsoren durch die Einrichtung – höfflich, zuvorkommend, sich der Regeln des Hauses sowie den Besonderheiten und Alleinstellungsmerkmalen bewusst, zeigten sie den beiden Herren ihr Lebensumfeld auf Zeit.

Freudestrahlend nahmen die Jugendlichen nach dem Rundgang den großen Scheck entgegen – er ist, wie passend, für einen neuen Tisch-Kicker im Aufenthaltsraum geplant. Dort benötigen die Jugendlichen nämlich genügend Möglichkeiten, sich sinnvoll zu beschäftigen. Denn, so gesteht Florian Hill ein: „So schön das Haus Wildgänse hier in Renzendorf ist, es ist doch etwas abgelegen für Jugendliche, die nicht mobil sind…“+++


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