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Mit dieser halbseitigen Anzeige sucht die Kreishandwerkerschaft Fulda Nachwuchs - Foto: Screenshot

FULDA KOMMENTAR

Zweifelhafte Anzeige: "Kein Bock mehr auf Schule? Dann schmeiß hin"

Über den Autor: Daniel Kister arbeitete als Volontär und Redakteur rund drei Jahre bei OSTHESSEN|NEWS. Nach einem Europäischen Freiwilligendienst in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung in Dublin, studierte er Sozial- und Geisteswissenschaften am University College Maastricht. Heute lebt und arbeitet er in Berlin, wo er sich bei ArbeiterKind.de ehrenamt-lich engagiert. Die Initiative, die auch in Fulda aktiv ist, setzt sich dafür ein, dass mehr junge Mensch-en aus Nicht-Akademikerhaushalten den Weg an die Universität gehen kön-nen. Dafür bietet ein deutschland-weites Netzwerk aus Mentor*innen kostenlosen Rat, Informationen und Betreuung zu allen Themen rund ums Studium.

11.10.17 - Kein Bock, diesen Kommentar zu lesen? Einfach "hin-schmeißen", Browserfenster schließen und das Problem ist gelöst. Mit einer ganz ähnlichen Logik wendete sich die Kreishandwerkerschaft Fulda kürzlich an die Schülerinnen und Schüler der Region. In einer ganzseitigen Anzeige in der Fuldaer Zeitung warb sie mit den Worten "Kein Bock mehr auf Schule? Dann schmeiß hin." für die Aufnahme einer Ausbildung. So sehr der Fachkräftemangel die Unternehmen der Region auch umtreiben mag, dieser Ratschlag ist unredlich. Bei genauerem Hinsehen ist die Anzeige auch kontraproduktiv für das eigene Image der Handwerker. Was aber am schlimmsten ist: die Anzeige verschärft Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft.

Ich bezweifele, dass der Kreis-handwerksmeister und sein Geschäftsführer ihren eignen Kindern empfehlen würden, die Schule zu schmeißen und Fliesen zu legen, wenn die Mathehausaufgaben wieder mal zu anstrengend oder der Geschichtsunterricht einfach nur langweilig ist. Zudem wäre sicher keiner der Genannten in seiner heutigen Position, wenn sie den von ihnen beworbenen Ratschlag in ihrem Leben ernst genommen hätten. Dieser Rat wirbt nämlich nicht nur für den Schulabbruch, sondern suggeriert eben auch, dass der Weg des geringsten Widerstandes der beste sei. Er verleugnet gleichzeitig, dass gerade Ausdauer und Einsatzbereitschaft das Fundament von Tugend und Erfolg sind. Insofern, als dass dieser Zusammenhang geleugnet wird, schadet die Anzeige auch dem Ansehen des Handwerks. Denn sie erweckt den Eindruck, dass gerade der berufliche Erfolg der Handwerker*innen nicht von ihrer Ausdauer und Einsatzbereitschaft abhängt.

Damit nicht genug: Statt zu informieren und mit guten Gründen für die verschiedenen Tätigkeiten der Handwerksberufe zu begeistern und Mut für die damit verbundene Herausforderung zu machen, schürt die Kreishandwerkerschaft Ängste. So warnt die Anzeige nicht nur vor einem möglichen Studienabbruch und verspricht vermeintlich „bombensichere Jobs“. Sie stellt die Schüler*innen (und deren besorgte Eltern) gar vor die scheinbare Alternative: „Arbeitsloser Akademiker oder gut bezahlter Handwerker?“ Dass die Akademiker-Arbeitslosenquote laut Statistik der Bundesarbeitsagentur mit 2,6 Prozent sehr gering ist und Akademiker*innen im Durchschnitt mehr verdienen als Nichtakademiker*innen wird freilich nicht erwähnt.

Kinder aus einem Akademikerhaushalt sind für solche Ängste kaum anfällig. Warum auch? Haben sie doch mehrheitlich wohlsituierte Ärzt*innen, Anwält*innen oder Geisteswissenschaftler*innen als Eltern (und Vorbilder), die dem ach so gefährlichem Studienabbruch entkommen konnten. Kinder aus einem Nichtakademikerhaushalt sind für die Ängste, mit denen die Werbeanzeige spielt und sogar als "gute Gründe für eine Ausbildung" umdeklariert, leider viel anfälliger. Deswegen sind Arbeiterkinder an Universitäten auch deutlich unterrepräsentiert. Das ist nicht gerecht. Zudem schadet es einer Gesellschaft, die sich nicht leisten kann auf das – auch akademische – Potential von Arbeiterkindern zu verzichten.

Wenn die Kreishandwerkerschaft für viel Geld eine Zeitungsanzeige schaltet, ist es nicht allzu überraschend, wenn das eigentliche Ziel das unternehmerische Glück von Malermeister Mustermann ist – und nicht das Glück der Arbeiterkinder, im richtigen Studienfach zu landen. Dennoch sollte auch die Kreishandwerkerschaft ihrer Verantwortung für eine Gesellschaft der Chancengerechtigkeit ernst nehmen – und mit besseren Gründen für eine Ausbildung werben, die auch junge Menschen aus einem Akademikerhaushalt für einen Handwerksberuf begeistern können.

Der Autor Daniel Kister engagiert sich ehrenamtlich bei Arbeiterkind.de ...

Allen Arbeiterkindern, die als erstes in ihrer Familie studieren wollen aber dem Verlockungspotentials eines vermeintlich "bombensicheren Jobs“ nachzugeben drohen oder Angst vor Studienabbruch, Finanzierung und Bildungssprache haben, sollten wir – auch in Werbeanzeigen – zuzurufen: Folgt nicht Eurer Angst, sondern Eurer Neugier und Euren Möglichkeiten. Habt Mut, Euch Eures eigenen Verstandes zu bedienen. Ehrenamtliche der bundesweiten Initiative Arbeiterkind.de stehen auch in Fulda jungen Menschen bei Fragen rund um die Herausforderungen des Studiums und der Studienwahl mit Rat und Tat zur Seite. Weitere Informationen unter www.arbeiterkind.de. (Daniel Kister)


Die O|N-Redaktion hat selbstverständlich bei der Kreishandwerkerschaft Fulda um ein Statement zu dieser Kritik am Anzeigentext gebeten. Sobald es vorliegt, werden wir es an selber Stelle veröffentlichen.(Red).+++



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