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Feierliche Kranzniederlegung zum heutigen Volkstrauertag - Fotos: Erich Gutberlet

FULDA "Vom Ende der Nacht"

Zentrale Gedenkfeier zum Volkstrauertag - Ansprache von Prof. Cornelius Roth

20.11.17 - Zur zentralen Gedenkfeier zum Volkstrauertag hatte der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge und der Magistrat der Stadt Fulda alle Bürgerinnen und Bürger an das Mahnmal der Fuldaer Michaelskirche eingeladen. Die Gedenkrede hielt in diesem Jahr Prof. Dr. Cornelius Roth (Theologische Hochschule Fulda). Die musikalische Umrahmung der Kranzniederlegung und Gedenkfeier übernahm - wie seit vielen Jahren üblich ­- die Kapelle der Freiwilligen Feuerwehr Fulda-Dietershan.

Prof. Cornelius Roth hielt die Ansprache


Ansprache zur Totenehrung am Volkstrauertag Prof. Dr. Cornelius Roth (Theologische Hochschule Fulda im WORTLAUT: 

"In der jüdischen Tradition, die ja bei uns in Fulda eine lange Geschichte hat (erst jetzt ist sie am 9. November beim Gebet an der Synagoge durch den Zeitzeugen Martin Löwenberg wieder eindrucksvoll lebendig geworden), gibt es eine chassidische Geschichte von Rabbi Pinchas, einem berühmten Rabbiner aus dem 18. Jahrhundert, dessen Grabstein bis heute auf dem alten jüdischen Friedhof in Frankfurt erhalten ist:


Rabbi Pinchas legte seinen Schülern die Frage vor, wie man den Augenblick erkennen könne, in dem die Nacht gerade endige und der Morgen beginne. „Ist es der Moment, da der Morgen so weit graut, dass wir bereits fähig sind, auf eine gewisse Entfernung hin einen Hund von einem Ochsen zu unterscheiden?“, fragte ein Schüler. „Keineswegs“, antwortete der Rabbi. „Ist es der Augenblick, in dem wir zwischen einem Dattel- und einem Feigenbaum unterscheiden können?“, fragte ein zweiter. „Ebenso nicht“, beschied ihm der Rabbi. „Und wann also kommt der Morgen?“, fragten die Schüler. „Er ist dann da, wenn wir das Antlitz irgendeines Menschen erblicken und in ihm Bruder und Schwester erkennen“, sagte Rabbi Pinchas. „Solange wir dazu unfähig sind, herrscht Nacht.“

Wie in jedem Jahr sind wir auch heute wieder am Volkstrauertag zusammengekommen, um der Toten zu gedenken, die in den beiden Weltkriegen ihr Leben verloren haben. Die Erinnerung an die schrecklichen Zeiten, in denen auch in Deutschland Krieg herrschte und Hundert-tausende „für Volk und Vaterland“ (wie man damals sagte) starben, ist immer noch lebendig, und das ist gut so. Wir sind es den Toten schuldig, dass wir ihrer gedenken. Fast alle Familien haben in den letzten 100 Jahren liebe Menschen durch unsinnige Gewalt verloren. Der Blick zurück erfüllt uns daher mit Trauer, aber auch mit Scham darüber, dass wir es nicht geschafft haben, dem Frieden zum Sieg zu verhelfen und die Stimmung in unserem Land häufig sogar kriegseuphorisch war – wobei die Kirchen häufig mit von der Partie waren.


Nun können wir nicht mehr ändern, was geschehen ist. Aber was wir tun können, ist, die Zukunft zu gestalten und sich in dieser Hinsicht für ein friedliches Zusammenleben einzusetzen. So wird die Erinnerung zu einem Vermächtnis. Und da kommt nun das Wort von Rabbi Pinchas ins Spiel. Die Nacht des Krieges und der Gewalt, die es heute in Form des Terrorismus (nicht nur des islamistischen) weltweit gibt, hat dann ein Ende, wenn wir beginnen, in dem anderen Menschen eine Schwester und einen Bruder zu sehen; wenn wir bedenken, dass auch die anderen, die für uns fremd sind und manchmal sogar feindlich gegenüberstehen, Eltern, Kinder, Enkel und Geschwister haben, die sie lieben, so wie wir Eltern, Kinder, Enkel und Geschwister haben, die uns ans Herz gewachsen sind. Diese Erkenntnis kann bis in aktuelle politische Debatten hinein Auswirkungen haben.

An dieser Stelle geht es aber nicht nur um das Gebot der Menschlichkeit, sondern um den konkreten Auftrag zum Frieden. Es muss sich tatsächlich in den Köpfen der Menschen etwas ändern, damit Frieden möglich wird. Natürlich wird es weiterhin verschiedene Meinungen geben. Natürlich dürfen, ja müssen manchmal auch Unterschiede gemacht werden. Natürlich gibt es berechtigte Interessen von allen Seiten, die manchmal konträr sind. Darum geht es nicht. Es geht vielmehr darum, wie man damit umgeht – ob man bei allen Diskussionen den Blick für den Menschen nicht verliert und seiner Würde und seinem Wohl die absolute Priorität einräumt; ob man wirklich alle diplomatischen Möglichkeiten in Konflikten zwischen Staa-ten auslotet; und ob man am Ende bereit ist, Kompromisse zu schließen und damit selbst auf bestimmte Dinge verzichtet.

Wenn wir auf die Krisenregionen unserer Tage schauen, wird deutlich, wie sehr der Weltfrieden dabei auch mit dem Religionsfrieden zusammenhängt. Gerade die Länder im Nahen Osten sind Gebiete, die von ihrer Geschichte einmal zutiefst christlich geprägt waren, und es leben heute dort noch zahlreiche orientalische und orthodoxe Christen, die zum großen Teil in den letzten Jahren vertrieben oder umgebracht wurden. Dies muss deutlicher als bisher gesagt werden und darf dennoch nicht zur Vergeltung führen. Als Christen sind wir vielmehr gefragt, jenseits aller Feindseligkeiten und Unterschiede, die es zwischen den Religionen weiterhin gibt, das Gemeinsame herauszustellen. Für die großen monotheistischen Religionen Christentum, Judentum und Islam gilt etwa, dass wir alle an Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde glauben; wir glauben an Gottes Wirken in der Geschichte; und wir glauben vor allem daran, dass Gott im Letzten Liebe und Barmherzigkeit ist. Unter den 99 Namen Gottes im Koran sind dies übrigens die wichtigsten. Und in der Bibel – ob Altes oder Neues Testament – wird geradezu definiert, dass Gott die Liebe ist.

Der Einsatz für Liebe, Menschlichkeit und Frieden ist also der konkrete Auftrag, den wir an diesem Mahnmal mitnehmen können. Dieser Einsatz kann ganz verschieden aussehen und auch politisch verschieden umgesetzt werden. Er muss aber in unserer Gesellschaft der Maßstab des Handelns bleiben. Wir sind es, die dazu beitragen können, dass die Nacht ein Ende hat und wir wenigstens ein wenig dem Tag zum Durchbruch verhelfen, indem wir die anderen als unsere Schwestern und Brüder ansehen und dementsprechend behandeln."+++


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