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Was nun, Frau Bundeskanzlerin? Dr. Angela Merkel bei ihrem Wahlkampfauftritt im Sommer 2017 in Fulda. Im Hintergrund Helge Braun - Archivfotos: OSTHESSEN|NEWS

BERLIN / REGION "Deutschland braucht eine klare Führung"

Das sagt die Wirtschaft und Politik zum Jamaika-Aus - zehn Meinungen

21.11.17 - Nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche nach der Bundestagswahl von CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen ist die Unruhe groß. Wie geht es im politischen Deutschland weiter? Die FDP hatte die Gespräche am späten Sonntagabend für gescheitert erklärt.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Verhandlungsführer der betroffenen Parteien zu einem Gespräch eingeladen. Kommt es zu einer Minderheitsregierung von CDU/CSU und Grüne? Oder wird die große Koalition von CDU/CSU und SPD doch fortgesetzt, finden die Verhandlungsführer von Jamaika doch noch an einen Tisch. Neuwahlen sollen offenbar verhindert werden.

OSTHESSEN|NEWS hat die heimischen Vertreter in Berlin sowie Repräsentanten aus der heimischen Wirtschaft um ihre Einschätzung gebeten:

Dr. Peter Tauber

CDU-Generalsekretär Dr. Peter Tauber (CDU) saß mit am Verhandlungstisch. Er schreibt am Montag: "Leider hat die FDP die Sondierungsgespräche über die Bildung einer Jamaika-Koalition beendet. Ich bedauere das sehr, weil wir kurz davor standen, ein starkes Gesamtpaket zu schnüren, in dem sich jede Partei wiedergefunden hätte und das insgesamt gut für das Land gewesen wäre. Viele Anliegen, für die wir im Wahlkampf gestritten haben, waren darin vorgesehen: mehr Unterstützung für Familien, mehr Polizisten auf der Straße, die Stärkung der ländlichen Regionen. Leider ist es nun anders gekommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird mit dem Bundespräsidenten das weitere Vorgehen beraten. Wir als Union wollen auch weiterhin unserer Verantwortung für das Land gerecht werden. Denn für uns gilt: Erst das Land, dann die Partei."

Dr. Hermann Otto Solms Foto: picture-alliance / Eibner-Pressefoto

Dr. Hermann Otto Solms (Bundestagsabgeordneter der FDP): "Nach fast fünf Wochen Sondierungsgesprächen, die teilweise Tag und Nacht stattfanden, ist keine Übereinstimmung erzielt worden. Es gab keinen Konsens in der Bildungspolitik, keinen Konsens in der Finanzpolitik, keinen Konsens in der Migrationspolitik und auch keinen Konsens in der Energiepolitik. Nahezu alle zentralen großen Punkte waren offen. In dem Ergebnispapier gab es bis zum Schluss noch 237 strittige Punkte. Das zeigt, dass es keinen Willen zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen den Gesprächspartnern gegeben hat. Unsere Wähler wollten nicht, dass wir die Politik der großen Koalition mit anderen Mehrheiten fortsetzen. Wir sind dafür angetreten, mit neuem Denken und mutigen Entscheidungen die Zukunftsprobleme zu lösen - sei es bei der Bildung, der Digitalisierung, der Globalisierung, dem demographischen Wandel und der Flüchtlingsproblematik. Deshalb sahen wir uns gezwungen, die vergeblichen Sondierungsgespräche abzubrechen. Die weitere Entwicklung liegt nach unserer Verfassung nun in der Hand des Bundespräsidenten."

Staatsminister Michael Roth (SPD) Screenshot Facebook Michael Roth

Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt (SPD) schreibt auf seiner Facebook-Seite: "Während sich seit gestern Nacht die Ereignisse in Berlin überschlagen, war ich in Brüssel, um an einer Sitzung des Ministerrates der #EU teilzunehmen. Nach den gescheiterten Sondierungsgesprächen dürfte die geschäftsführende Bundesregierung wohl deutlich länger als erwartet im Amt bleiben. Wir betreten verfassungsrechtlich Neuland. Das Heft des Handelns liegt nun vor allem beim Bundespräsidenten. Ich gebe zu, dass ich noch nicht auf alles eine vernünftige Antwort habe. Mein Rat an meine SPD: für Häme und Arroganz besteht derzeit kein Anlass. Wir sollten uns nicht noch kleiner machen, als wir sowieso schon sind. Demut, Selbstbewusstsein und Mut zu neuen Wegen sind jetzt gefragt. Kuschlig und gemütlich ist es derzeit nirgendwo: weder in der Regierung noch in der Opposition. Ich mache jetzt erstmal meine Arbeit weiter und kämpfe für eine SPD, die wieder kraftvoller, ideenreicher, frischer, spannender und vor allem überzeugender ist. Danke an alle, die kritisch und solidarisch dabei mithelfen."

Dr. Herbert Büttner, Kreishandwerkerschaft Fulda

Der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Fulda, Dr. Herbert Büttner, sagte gegenüber O|N: "Im Moment sehe ich wegen des Scheiterns der Sondierungsgespräche keine Auswirkungen oder Risiken für die heimische Wirtschaft. Gleichwohl sind wir schon enttäuscht. Aber damit muss man in der Demokratie leben. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten, entweder sie werden sich doch noch einigen oder es gibt eine Minderheitsregierung", sagte Büttner.

Frank Diener, MIT Fulda

Jürgen Diener, Vorsitzender der CDU-Mittelstandsvereinigung Fulda: "Das Land braucht eine klare Führung. Das war keine gute Entscheidung der FDP. Das Scheitern der Sondierungsgespräche enttäuscht mich sehr. Es hat mich zunächst schon sehr überrascht, ich hätte mir gewünscht, dass es eine Einigung gibt. Meiner Meinung nach hätte man sich einigen können, wenn man gewollt hätte. In vielen Punkten war man schon sehr weit. Die schrittweise Abschaffung des Solidaritätbeitrags oder die Besserstellung der Familie war uns sehr wichtig. Auch das Bekenntnis zum Verbrennungsmotor. Auch beim Thema Familiennachzug hat die CDU eine gute Position bezogen und eine Einigung wäre möglich gewesen."

Leopold Bach

Leopold Bach, Vogelsberger Vorsitzender Jungen Liberalen: "Wir Jungen Liberalen haben großen Respekt vor den Menschen in anderen Parteien, die auf der Basis klarer eigener Überzeugungen Politik machen. Wir bitten um Verständnis dafür, dass die FDP auch solche Überzeugungen hat. Einer Partei, die sich am Rande der eigenen politischen Existenz über vier Jahre in der außerparlamentarischen Opposition erneuert hat, nun Egoismus vorzuwerfen, ist aberwitzig. Die FDP hat sich in den letzten vier Jahren neu aufgestellt, weil sie gelernt hat, dass eigene Überzeugungen wichtiger sind, als das kurzfristige Erlangen von Posten."

Dr. Helge Braun (rechts im Bild), links Timo Lübeck, Kreisvorsitzender der CDU Hersfeld-Rotenburg ...

Staatsminister Dr. Helge Braun (CDU): "Ich bedauere, dass die Jamaika-Koalition nicht zustande kommt. Deutschland braucht in diesen international schwierigen Zeiten eine stabile Regierung. Ich persönlich und die CDU sind bereit, dafür Verantwortung zu übernehmen. Ich habe in den letzten Wochen leidenschaftlich an einem gemeinsamen Regierungsprogramm gearbeitet und finde, wir hätten uns bei allen Unterschieden auf viel Lohnendes verständigen können. In meiner Verhandlungsgruppe zu Bildung, Forschung und Digitalisierung waren wir uns einig, zügig alle Funklöcher zu beseitigen, zügig flächendeckend Glasfaser auszubauen und die Schulen zu digitalisieren. Auch für ein Sofortprogramm gegen die Überlastung in der Pflege habe ich mich eingesetzt."

Sabine Waschke (SPD)

SPD-Landtagsabgeordnete Sabine Waschke: Die Vorsitzende der SPD Fulda rechnete nicht mit einem so frühen Scheitern der Jamaika-Verhandlungen in Berlin. Einer Wiederholung der Großen Koalition erteilte sie eine Absage, wie sie in einer Pressemitteilung erklärt: "In meinen Augen waren die Sondierungsgespräche in Berlin eine einzige Katastrophe. Dennoch sehe ich es nicht als unsere Aufgabe, einen Schuldigen für das Scheitern zu benennen. Das sollen die Verhandlungspartner mit sich ausmachen. Was uns Sozialdemokraten betrifft: Das Ergebnis der Bundestagswahl zeigte uns deutlich, dass die Große Koalition abgewählt worden ist. Diesen Wählerwillen müssen wir akzeptieren." Bevor 2013 die Große Koalition zustande kam, stimmten die Sozialdemokraten in einer Mitgliederbefragung darüber ab. Fuldas SPD-Chefin Sabine Waschke glaubt nicht, dass die SPD-Mitglieder im Landkreis Fulda erneut ihre Zustimmung dafür geben würden. Möglichen Neuwahlen sieht sie gelassen entgegen: "Auch wenn wir uns eine Verschnaufpause reichlich verdient hätten, sind wir in Fulda gut auf dieses Szenario vorbereitet. Wir könnten sofort mit der Bundestagswahl loslegen."  

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand

Bundestagsabgeordneter Michael Brand (CDU): „Der Bundespräsident hat völlig Recht: Vor der Verantwortung fliehen, das ist verboten. Zumal vor den schwierigen Aufgaben, die Deutschland national und international vor sich hat. Niemand hat das Recht, einfach die Brocken hinzuwerfen. Niemand, auch nicht in der Union, hat sich diese Koalition gewünscht, die Wahl und vor allem die Verweigerung der SPD nach der Wahl haben es dahin geführt. Aber wir rennen nun nicht einfach weg, weil es bis in Einzelfragen schwierig wird. Die FDP hat ein neues Gesicht gezeigt: Unter Lindner ist sie unberechenbar, nicht mehr verlässlich. Das wird das Vertrauen in diese traditionsreiche Partei für die Zukunft sehr belasten. Nicht vergessen ist, dass die SPD als erste mit ihrer Flucht in die Opposition gezeigt hat, dass ihr die Partei wichtiger ist als der Staat. Die Schadenfreude der AfD beweist, dass sie Freude am Chaos hat. Würde Deutschland jetzt unsicher, wird es in diesen Krisenzeiten für Europa gefährlich. Von Euro über Russland bis Migration und anderem: Wir haben keine Zeit für politisches Zocken. Ich hoffe, dass genügend Leute in der SPD dies bedenken. Wir sind doch nicht dazu da, uns eine Welt zu „backen“! Wir sind gewählt, um aus dem Ergebnis das Beste zu machen. Das bleibt schwer genug, ist aber unsere verdammte Pflicht und unsere Verantwortung. Nun werden CDU/CSU, die Bundeskanzlerin und der Bundespräsident alles versuchen, dass sich Verantwortung gegen taktische Winkelzüge, auf Deutsch: unser Land gegen Parteigeklüngel durchsetzt. Gefährliche Zeiten sind angebrochen.“

Walter M. Rammler

Walter M. Rammler (Bündnis 90/Die Grünen): „Unsere Grüne Claudia Roth und der CSU-Mann Alexander Dobrindt hätten einen großen Kompromiss selbst beim Thema Migration hingekriegt. Diese regelrechte Quadratur des Kreises und eine damit verbundene Jamaika-Koalition wären gut für unser Land gewesen“, so Walter M. Rammler, Grüner Direktkandidat des Bundestagswahlkreises 174. Er zeigt sich enttäuscht über die Haltung der FDP. "Man kann den Eindruck gewinnen, dass hier parteipolitische Profilierungssucht vor die Interessen Deutschlands gestellt wurden", meint Rammler. Einig ist er sich mit Anton Hofreiter, dem Fraktionsvorsitzenden der Grünen im neu gewählten Bundestag. „Toni hat für uns Grüne klar Position bezogen. Wir sind weiter gesprächsbereit, um Deutschland in wichtigen Dingen voranzubringen. Bei Neuwahlen müsste unser Land einen viel zu hohen Preis zahlen“, betont Rammler. Gleichzeitig verweist er auf die Aussage von Bundespräsident Steinmeier. Dieser habe absolut Recht, wenn er sagt, dass alle Parteien und handelnde Personen verantwortungsvoll mit dem Wahlergebnis umgehen müssten (Hans-Hubertus Braune) +++


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