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- Fotos: Marius Auth

FULDA Krisensitzung beim Gesundheitsnetz

Drei Regresse: "Bürokratie-Monster" bringt Hausarzt zur Aufgabe

06.03.18 - Der Ärztemangel zwingt Kommunen zu kreativen Anstrengungen, um den Nachwuchs auch in ländliche Gebiete zu locken. Doch extensive Dokumentationspflichten, die bis zu einem Viertel der Tagesarbeit ausmachen, vergällen manchem Jungmediziner die Hausarztpraxis. Nach drei Regressforderungen wegen Überschreitung des Budgets hat Hausarzt Dr. Oliver Ranze in Johannesberg jetzt die Notbremse gezogen und schließt seine Praxis zum Ende des Monats.

Die Arztpraxis in der Von-Mengersen-Straße in Johannesberg

Die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Kassenärztlichen Vereinigung hat einen ähnlich guten Ruf wie die Spanische Inquisition: Werden ärztliche Leistungen als nicht notwendig oder zweckmäßig angesehen, kommt der Mediziner ins Schwitzen. Penibel muss dokumentiert werden, warum das teure Medikament verschrieben wurde, auch Hilfsmittel wie orthopädische Schuhe oder Kompressionsstrümpfe geraten inzwischen unter die Lupe. Im schlimmsten Fall müssen die vermeintlich überflüssigen Leistungen vom Arzt selbst beglichen werden – fünfstellige Beträge sind keine Seltenheit. Wer alles mustergültig dokumentiert, hat dagegen nichts zu befürchten: "Statistisch gesehen ist diese Strafzahlung, der Regress, kein relevantes Thema: Im Prüfjahr 2017 sind bei 12.500 hessischen Ärzten 900 Fälle aufgetreten, bei denen wegen einer erheblichen Überschreitung der Durchschnittswerte genauer hingeschaut wurde – in lediglich 29 Fällen wurde dann ein Verfahren eröffnet. Psychologisch dagegen ist die drohende Regressforderung leider sehr wirkmächtig und inzwischen einer der Hauptgründe für die Nicht-Niederlassung", erklärt Karl Matthias Roth, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen.

Nachricht auf der Praxis-Website Foto: Screenshot

Was das im Praxisalltag bedeuten kann, erläutert Dr. Jörg Simon von der Fuldaer Gemeinschaftspraxis im Altstadt-Carree: "In unserer Praxis fallen jedes Jahr allein Heilmittelregresse in Höhe von 250.000 Euro an. Um das erlaubte Maß an ärztlichen Leistungen zu ermitteln, wird der Durchschnitt in der jeweiligen Facharztgruppe herangezogen. Wie hoch der genau ist, weiß niemand – mit fünf Rezepten zu viel ist man vielleicht schon über der Toleranzgrenze. Gerade Parkinson, Rheuma und Multiple Sklerose sind teuer zu behandeln. Zwar werden Praxisbesonderheiten wie die Anzahl chronisch kranker Patienten und der Einzugsbereich, gerade im ländlichen Bereich, berücksichtigt, aber wer mit einer Regressforderung konfrontiert wird, kommt trotzdem ins Schwitzen. Diagnosen müssen ausreichend komplex kodiert sein, um höhere Ausgaben zu rechtfertigen: Eine einfache Diabetes ist keine komplexe, dafür sind doppelt so hohe Ausgaben möglich. Inzwischen gehen 20 Prozent unserer Tagesarbeit für diesen Bürokratie-Marathon drauf, professionelles Arzneimittelmanagement wird deswegen immer wichtiger."

Teure Patienten einfach woandershin zu schicken und damit dem Damoklesschwert Regress zu entgehen, das lehnt Simon, Vorsitzender des Hessischen Ärztenetzes und Handlungsbevollmächtigter beim Gesundheitsnetz Osthessen für Verhandlungen mit den Krankenkassen, ab: "Manche Kollegen machen das, aber zur Entlastung des Budgets ist es nicht sinnvoll, da auch durch das Weiterleiten neue Kosten entstehen. Wenn dagegen eine Spezialmedikation umgestellt oder in der Dosierung verändert werden muss, macht es durchaus Sinn, zum Facharzt weiterzuleiten. Das grundsätzliche Problem besteht darin, dass von der Prüfungsstelle der Kassenärztlichen Vereinigung die Praxen über einen Kamm geschoren werden: Die Kriterien müssten wesentlich differenzierter sein, um der Komplexität vor Ort gerecht werden zu können. So kommt es zwangsläufig zu Regressforderungen, die Zeit und Nerven kosten. Zusätzlich müssen regelmäßige Rundschreiben der Kassenärztlichen Vereinigung berücksichtigt werden, nach denen Medikament X gar nicht mehr oder nur noch bei Indikation Y verschrieben werden darf. Kein Wunder, dass gerade junge Kollegen angesichts dieses Bürokratie-Monsters keine Lust mehr haben, eine Praxis zu eröffnen", so Simon.

Dr. Ranze, dessen Praxisaufgabe wegen Regress laut Simon die erste im Landkreis Fulda seit vielen Jahren ist, wollte gegenüber OSTHESSEN|NEWS keine Stellungnahme abgeben. Das Gesundheitsnetz Osthessen, ein Verbund von 150 Ärzten der Region, hat gestern eine Krisensitzung abgehalten, um zu beraten, wie die medizinische Versorgung vor Ort sichergestellt werden kann. (Marius Auth) +++


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