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Zum Studium in London - Fotos: Patrizia Heun

LONDON E-Mails aus aller Welt

Clash der Kulturen: It’s tea time - wie wär's mit einer Melange?

Patrizia Heun war Studentin in Salzburg und absolvierte vor einiger Zeit ein Praktikum in der Redaktion von OSTHESSEN|NEWS. Mittlerweile macht sie an der Richmond University in London ihren Master in Public Relations und Advertising und nimmt uns mit auf ein Stippvisite im Kaffehaus.+++

12.08.18 - Ein Jahr ist es jetzt her, dass ich aus meiner wunderschönen Wahlheimat Salzburg nach London gezogen bin, um hier an der Richmond University meinen Master in Public Relations und Advertising zu machen. Obwohl London eine Stadt ist, die oft als „melting pot“ der Kulturen bezeichnet wird – und das will ich auch nicht bestreiten – ist eine Kultur eher unterrepräsentiert: die der Österreicher. Oftmals bekomme ich nur fragende Blicke, wenn ich erzähle, dass ich als Deutsche in Österreich studiert habe. Diejenigen die ‚Austria‘ nicht mit ‚Australia‘ verwechseln, schauen mich dann ganz verdutzt an und fragen „Ja aber… ist das nicht dasselbe wie Deutschland?“. Die deutsche Kultur hingegen kennt man und sie ist auch sporadisch vertreten - zumindest in Form von Klischees. Es gibt die deutschen Bierhäuser, Restaurants wie „Herman ze German“ und natürlich die Londoner Oktoberfeste.

Die österreichische Kultur ist hier definitiv eine Nische, weshalb ich es mir in meinem Masterprojekt zur Aufgabe gemacht habe, die Londoner auf einen speziellen Teil dieser Kultur aufmerksam zu machen. Die Kaffeehaus-Kultur.

Warum nun ausgerechnet die österreichische Kaffeehaus-Kultur?

Zum einen natürlich wegen meines persönlichen Hintergrunds, zum anderen finde ich es schade, dass die Menschen hier so wenig über diese Jahrhunderte alte Tradition zu wissen scheinen. Es kommt hinzu, dass der Markt durchgehend mit Kreationen wie dem Einhorn-Latte, Freakshakes und Selfieccinos überschwemmt wird, was oft dazu führt, dass diverse Nischen ins Abseits gedrängt werden. Dabei hat das österreichische Kaffeehaus Geschichte:

Nachdem Wien im Jahre 1683 nach der Türkenbelagerung in den Besitz der braunen Bohnen kam, die von den Truppen zurückgelassen worden waren, dauerte es nicht lange, bis das erste Kaffeehaus eröffnete. Es wurde ein Ort des intellektuellen Austauschs, wo sich die Gesellschaft traf und oftmals auch Geschäfte getätigt wurden. Zwischen 1803 und 1813 sorgte Napoleons Kontinentalsperre dafür, dass der Zoll für Kaffeebohnen ins Unermessliche stieg, sodass die Kaffeesieder sich diese kaum mehr leisten konnten. Als Österreich 1808 der Handelssperre beitrat, versiegte die Zufuhr der beliebten Bohnen endgültig. Viele Kaffeehäuser standen damals am Rande des Ruins, weshalb man die strengen Lizenzbestimmungen ausweitete und es erlaubte, dort Wein und warme Speisen zu servieren. Das ist bis heute noch so. Besonders bekannt sind Kaffeehäuser neben ihren koffeinhaltigen Spezialitäten wie der Melange und dem ‚kleinen Braunen‘ auch für ihre Mehlspeisen. Diese werden oft nach gut gehütetem Haus-Rezept jeden Tag frisch zubereitet. Von Apfelstrudel über Buchteln und diversen Haustorten ist alles dabei. Aber auch belegte Brote, klassische Würstel mit Senf und Tagesgerichte sind beliebt. Mit Öffnungszeiten von frühmorgens bis Mitternacht sind die Kaffeehäuser für viele das zweite Wohnzimmer. Egal warum man hingeht, ob zum Sehen und Gesehen-Werden, zum Lesen oder Erholen, das Kaffeehaus ist ein Lebenselixier – je länger man bleibt, desto besser wirkt es.

Die Londoner Kaffeeszene: Von Afternoon Tea zum Starbucks Kult

Southbank

Es ist ebenfalls kein Geheimnis, dass hier lange Zeit der Tee im Mittelpunkt stand. In London ist der klassische „Afternoon Tea“ und „High Tea“ leider eher zu einer Touristenattraktion verkommen und oft völlig überteuert. Die Londoner Kaffeekultur hat sich in den letzten Jahren allerdings unglaublich entwickelt und weist mittlerweile eine große Vielfalt auf: von skandinavischen über australische bis hin zu italienischen Einflüssen. Die Engländer selbst haben keine große Historie mit den braunen Bohnen, was es den diversen speziellen Ausrichtungen der Kaffeeszene einfacher machte sich zu etablieren. Die Kaffeeszene hatte hier ihren Aufschwung in den 1990er Jahren. Die Kaffeequalität und -zubereitung hatte sich deutlich verbessert und es war immer noch exotisch und neu. Man versuchte sich dem Lebensstil des kosmopolitischen New York anzupassen, der vor allem durch Filme und Serien wie Friends bekannt wurde. Ein entscheidender Faktor war auch das Aufkommen des digitalen Zeitalters, das mit Wifi und Laptops dafür sorgte, dass Cafés die neuen Büros wurden – was ja zum Teil heute noch so ist.

Gebt den Menschen Ambiente

Trotz der gegebenen Vielfalt vermisse ich manchmal diese einzigartige Atmosphäre eines typischen Wiener Kaffeehauses. Ein Ort, der nach frisch gemahlenem Kaffee und hausgemachten Köstlichkeiten duftet. Ein Ort, an dem die Zeit still zu stehen scheint und der für viele das zweite Wohnzimmer ist. Ein Ort, an dem man den ganzen Tag verbringen kann, die Leute aus seinem Viertel trifft und sich dank der zuvorkommenden „Ober“ wie etwas Besonderes fühlt. Denn, so vielfältig die verschiedenen Cafés hier zwar auf den ersten Blick wirken, nach dem x-ten Lokal, das seinen Matcha-Latte und Avocado-Toast anpreist, bildet sich doch ein gewisses Muster heraus. Authentizität scheint für Viele ein Fremdwort zu sein – das ist zumindest meine persönliche Meinung. Man folgt dem Instagram- und Hippster- Trend.

Mit dieser Beobachtung scheine ich allerdings nicht ganz alleine zu sein. Im Rahmen meines Projektes (und aus Neugierde) habe ich mal eine kleine Umfrage dazu gemacht. Von den 200 Leuten, die ich zu ihren Kaffee-Gewohnheiten befragt habe, gaben 94% an, dass ein gemütliches Ambiente, neben der geschmacklichen Qualität, ein ausschlaggebender Faktor für die Wahl des Cafés sei. Insgesamt würde knapp die Hälfte aller Befragten ein Café einer Bar oder einem Restaurant als Treffpunkt vorziehen. Anhand der Resultate zeigen sich auch deutliche kulturelle oder länderbezogene Unterschiede: Amerikaner und Briten sehen das Café eher als einen Ort, an den man geht, um zu studieren, zu arbeiten oder Kunden zu treffen (was eigentlich eher die Frage aufwirft, warum man das nicht auch in gemütlicher Atmosphäre machen kann…). Im Vergleich dazu waren sich 100% der befragten Österreicher einig, dass man im Café Freunde trifft und einfach die Zeit genießt.

Ein Stück Österreich auf der Insel

Stilvoll: Delaunay-counter-food

Interior im Fischers-Food

Letztlich habe ich aber ein kleines Stück Heimat im Königreich gefunden. Das Fischer’s und das Delaunay folgen dem Stil eines traditionellen Wiener Kaffeehauses. Der erste Eindruck, der entsteht, wenn man das Fischer‘s betritt, ist edel. Durch das Glasdach scheint die Sonne auf die Gemälde junger Burschen in Tracht, die die Wände ringsum schmücken. Die Ober tragen Anzüge und das Essen wird auf Porzellantellern mit Goldrand serviert. Auf den Tischen findet sich das typische Silbergeschirr und das Interior mit Holz und Marmor-Elementen runden das Kaffeehausambiente ab. Die Speisekarte beinhaltet typisch österreichische Spezialitäten wie Topfen- und Apfelstrudel, Kipferl, aber - wie es üblich ist – auch Tafelspitz, Variationen des Schnitzels sowie Käsekrainer.

Urig. Das Kipferl

Original Kipferl

Das Delaunay hat ein ähnlich gehobenes Ambiente und eine etwas größere Auswahl an Speisen. Es werden unter anderem sogar Salzburger Nockerl und Kaiserschmarrn angeboten. Bei einem genaueren Blick auf die Speisekarte finden sich zwar auch einige mitteleuropäische Einflüsse, aber letztlich überwiegt die österreichische Atmosphäre. Egal, welches der beiden Cafés man besucht, es ist spürbar, dass die Besitzer, Chris Corbin und Jeremy King, Wert auf ein stimmiges Gesamtbild legen. 

Wiener Schnitzel mitten in London

Das Kipferl verfolgt hier einen anderen Ansatz. Christian Malnig, der Schöpfer und Kopf hinter dem Lokal, hat ursprünglich die Liebe nach London gebracht. Was als Delikatessenladen begann, wurde 2011 zu einem Café und mittlerweile gibt es sogar zwei davon. Anders als bei Fischer’s und Delaunay hat sich Malnig aber nicht für das typische Interior entschieden: „Ich wollte bei dem Design bewusst nicht auf das Klischee abzielen. Das Kipferl ist an London angepasst, denn die Stadt ist ja sehr modern, ohne dabei die traditionellen Elemente aufzugeben. Genauso ist auch das Design vom Kipferl aufgebaut. Wenn du dich mal umschaust, hab ich zum Beispiel traditionelle Trachtenelemente wie die Knöpfe an den Polstern verarbeitet und auch der Kaffee wird ganz traditionell mit einem Glas Wasser auf einem kleinen silbernen Tablett serviert. Alles auf dem Tisch, von Zuckerstreuer bis zum Kartenhalter, ist typisch Wiener Kaffeehaus“, erzählt Malnig.

Allgemein legt man im Kipferl großen Wert auf Qualität und Authentizität. Die Zutaten werden direkt aus Österreich importiert, wie zum Beispiel Leimer Semmelbrösel oder Trummer Pils, und die Gerichte werden nach den originalen Rezepten zubereitet. Das Team, das zu einem Großteil deutschsprachig ist, steht mit österreichischem Charme bereit, um den Gästen bei der Auswahl behilflich zu sein. Ein Bissen vom frischen, hausgemachten Apfelstrudel und ich fühle mich gleich wieder wie in Salzburg. Ganz im Stile des Kaffeehauses hat die Küche den ganzen Tag geöffnet und jeder Gast ist herzlich willkommen, dort den Tag bei einer Zeitung und einem ‚kleinen Braunen‘ zu verbringen.

So gern ich meine Zeit in den Londoner Pubs verbringe, sehne ich mich eben doch ab und zu nach einem Stück Salzburg und den damit verbundenen Erinnerungen. Zum Glück weiß ich jetzt, wo ich das finden kann.(Patrizia Heun)+++


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