Pianale-Junioren spielen vor Gleichaltrigen in der Marienschule

22.08.18 - Mariia spielt Rachmaninoff. Mehr Moll als Dur. Erst voller kaskadenhafter Läufe, dann emotional getragen. Virtuos, aber wohl nicht die Musik, die eine 17 oder 18 Jahre alte Schülerin normalerweise hören würde. Und doch lauschen rund 50 von ihnen gebannt dem Spiel der fast gleichaltrigen Ukrainerin (16), die heute extra für sie am Flügel der Marienschule musiziert.

Mariia Kurhuzova ist eine von insgesamt 16 jungen Leuten, die derzeit an der 12. Pianale teilnehmen, jener einzigartigen Kombination aus Klavier-Akademie, Wettbewerb und Konzertreihe in den Schlössern Osthessens. Mit fünf ihrer Mitstreiter, mehr Freunde als Konkurrenten, ist sie an diesem Tag in die Schule gekommen, um für ihre (klassische) Musik zu werben. Und anders als in einem regulären Konzert haben die Zuhörer in dem ehrwürdigen Saal die Gelegenheit, nachdem der letzte Ton verhallt ist, die angehenden Profi-Pianisten zu befragen. Auf Augenhöhe. Auch wenn der schwarze Flügel auf der Bühne thront.

Und die Fragen kommen prompt, zumeist auf Englisch. Nur hin und wieder müssen die Englischlehrerin Frau Domann, und ihr Musik-Kollege Herr Neidel assistieren. Oder Uta Weyand, Pianale-Gründerin und selbst weltweit gefragte Konzertpianistin. „Wie oft übt ihr?", ist eine der Fragen und bei der Antwort geht ein Raunen durch das Auditorium. „Unterschiedlich. Aber wenn es geht, jeden Tag.“ 

Zlata, die in Kharkiv in der Ukraine auf das selbe Internat geht wie Mariia, beginnt oft schon um 6 Uhr früh. „Da hätte ich besseres zu tun“, raunte da eine Marienschülerin ihrer Freundin ins Ohr. Um gleich darauf ein wenig neidisch zu werden. Denn Mariia berichtet, dass sie regelmäßig den Unterricht schwänzt. Quasi mit Erlaubnis. Manchmal bekommt sie sogar zwei Monate frei, weil sie sich auf einen Wettbewerb vorbereitet. Und doch hat sie mehr als nur Musik im Kopf. Erst vor vier Monaten fing sie an, Englisch zu lernen. Spricht schon jetzt hervorragend. Englischlehrerin Frau Domann hat die Erklärung: „Klar, Du bist so gut, weil Du nicht zur Schule gehst!“ Großes Gelächter.

Doch es gibt auch stille, nachdenkliche, ja anrührende Momente. Etwa als die Portugiesin Lidia (16) auf die Frage, wie man sich seine Lehrer aussucht, welches Verhältnis man zu ihnen hat, ihre sehr persönliche Geschichte erzählt. Davon, dass ihre Tutorin fast wie eine Großmutter für sie war, dass sie Lidia noch wenige Stunden vor ihrem eigenen Tod unterrichtete, dass sie ihr das Versprechen abnahm, mit dem Klavierspiel niemals aufzuhören. Lidia folgt diesem letzten Willen. Und in der Marienschule wird es ganz still, rollen sogar ein paar versteckte Tränen. Musik ist Emotion.

Diesmal spielten und unterhielten Mariia, Lidia, Zlata (15), Safiye (14, Großbritannien),  Jacobo (17, Spanien) und Claudia (16, Deutschland) die Schülerinnen 90 Minuten. Zwei Schulstunden. Und die Zuhörer waren so konzentriert, dass sie der Stundengong zur Halbzeit regelrecht in die Realität riss. Die könnte nach Jacobos Vorstellungen aber ein wenig anders aussehen. „Was wünscht Du dir von Deinem Publikum“, will eine junge Dame wissen. Die Antwort: „Normalerweise könnten die meisten Zuhörer meine Großeltern sein. Wir aber wünschen uns junges Publikum!“

Dieser Wunsch könnte zumindest heute in Erfüllung gehen. Dann steht das Finale der Junioren auf dem Programm. Ab 19 Uhr in der Alten Universität Fulda. „Natürlich sind alle Marienschüler eingeladen“, sagt Uta Weyand zum Abschied. Steht dann auch wieder Rachmaninoff (1873 – 1943) auf dem Programm? „Wer weiß“, so die Pianistin. „Aber ein Stück aus der Romantik wird auf jeden Fall dabei sein.“ Musik lebt auch von der Überraschung. (pm)+++