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In Weiperz wird traditionell und zünftig die Kirmes gefeiert - Fotos: Walter Dörr

SINNTAL Traditionell nur Männer

Jubiläumskirmes anlässlich 1.111 Jahre Weiperz: Blooburschen feiern doppelt

16.10.18 - Kirmes in Weiperz: Und wie immer zweimal. Der „önnern Bloo“ in karierten Hemden feierte in der Gastwirtschaft „Zum Adler“ (Döppler/Gärtner) und der „öbern Bloo“ in Frack, schwarzen Zylindern, schwarz-rot-gold dekorierten Bändern und urigen Holzschuhen veranstaltete wieder eine Zeltkirmes auf dem ehemaligen Schulhof. Weil Weiperz 1.111 Jahre alt ist, ist die diesjährige Kirmes auch etwas Besonderes: zu den aktuellen Blooburschen gesellten sich diesmal auch ehemalige Blooburschen, so dass die beiden Bloogesellschaften - traditionell nur Männer - besonders stark waren.

Der „öbern Bloo“ hatte zudem eine eigene Blookapelle zusammengestellt, die ebenfalls in Frack, Zylinder und Holzschuhen gekleidet für Blasmusik sorgte. Höhepunkt der Weiperzer Kirmes war gestern das Aufsagen der Kirmessprüche. Mit den Klängen der Blookapelle holte der „öbern Bloo“ den buntgeschmückten Kirmesstrauß bei Bürgermeister Carsten Ullrich ab und brachte ihn zum Dorfgemeinschaftshaus, wo zahlreiche Bürger auf den Spruch warteten, den Oberbloo Jonas Gärtner vortrug. Gärtner begann mit: „Von Weitem klingt’s wie Donnerschall, mir wolle wire Kirmes hall.“ Den Dorfgeburtstag nehme man zum Anlass, um Bloo-Rentner einzuladen. Ein emotionales Motivationsschreiben sei mit altdeutschem Siegel versehen an die ehemaligen Blooburschen gesandt worden. Alle Zweifler seien eines Besseren belehrt worden, angesichts der überwältigenden Resonanz: insgesamt rund fünfzig Blooburschen.

„Früher, Kirmes bei Wirts, die Holzschuh warn vom Grein, heute darf es für die Holzschuh das Internet unter Holzschuh24.de sein“ beschrieb Gärtner Veränderungen. Sehr vielseitig waren die Themen, die im Kirmesspruch zur Sprache kamen. Zum Beispiel ein örtlicher Immobilien-Investor, der geschichtsträchtige Häuser kaufe, um sie zu sanieren. Oder der Bauboom: „In Weiperz wird gebaut, wie verrückt, die Hampätesch Margot is total verzückt,“ sagte Oberbloo Gärtner. „Wenn es so weiter geht, wird die Margot bald net meh Ortsvorsteherin genannt, sondern is dann als Sinntaler Oberbürgermeisterin bekannt. Touristisch wird Weiperz auch erschlosse, der Margot sin nämlich e paar Ideen in de Kopp geschosse.  Deutschlands erster Flurkreuzwanderweg wurde in der Zeitung vorgestellt, un gleich Bürgermeister und Landrat zur Pressekonferenz einbestellt“. Auch stehe man als Gewinner im Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden 2030“ fest, wenn die Margot an ihrem Ziele nicht lockerlässt.

„Im Neubaugebiet ist alles ordentlich gepflegt, ein jeder Besitzer sein Haus und Garten hegt. In der Händelstraße hammer e anneres Kaliber, de Unrat in seinem Gadde siehst du schon aus‘m Lufthansa-Flieger. Schrott aller Art lässt er einfach lieche, moderiger Geruch kannste beim Vorbeilaufen auch schon rieche,“ kritisierte der Bloo und schlägt vor: „Räum doch einmal auf, Sperrmüll ist alle Vierteljahr, die nehmen den Kram mit, das ist eigentlich jedem klar.“ „Böller, Geläut und Raketen, ihn hört man nur noch Klopapier beten,“ so reimte der Bloo über einen, der an Sylvester länger als geplant in einer Toilette verbrachte, da das Klopapier all war. Ein Missgeschick passierte einem Bauunternehmer, der Äpfel erntete und dabei seinen Bagger umwarf.

Mit den Aggregatzuständen von Rohren musste sich ein Häuslebauer beschäftigen. Er hatte ein Zinkrohr an einen Ofen montiert und wunderte sich, dass sich das erhitzte Rohr auflöste und die Wand runter lief. Unfälle sind öfters in Kirmessprüchen – drei waren es in Weiperz. „In der Regel kommt im Alter die Vernunft, man wird ruhiger und bequemer – andere wiederum werden immer extremer“ wusste der Bloo. Und so führte eine Fahrradtour zu zwei Totalausfällen, vier Rippen durch und drei weitere angebrochen war das Ergebnis eines Skiunfalls. Sascha Herbert las auf der Leiter Passagen aus alten Kirmessprüchen. Mit der musikalischen Begleitung des Musikverein 1924 holte  der „önnern Bloo“ seinen Kirmesstrauß von Ortsvorsteherin Margot Klement ab. Nach dem „öbern“-Spruch ging es mit Blasmusik zur nahen Gastwirtschaft Döppler, wo Felix Gerst einen weiteren Leiterspruch vorlas. „Ich will nun berichte für wahr, wettermäßig war das e Sonnenjahr. Trotz des Sommers Wärmeglut gediehen Äpfel un Zwetsche vortrefflich gut,“ so der alljährliche Landwirtschaftsrückblick.

Gerst betonte: „Blieb das Jahr auch arm an Regen, war es doch reich an Kindersegen.“ Ein richtig schönes Festchen sei das 1.111jährige Jubiläum gewesen. Nur hatte Ortsvorsteherin Margot Klement Probleme beim Bieranstich: „Der ganze Dorfplatz war geflutet, alle Männerherzen ham geblutet.“ Weil es alleine nicht mehr ging, habe sich im Fußball die Spielgemeinschaft Vollmerz-Weiperz gefunden. Nach dem letzten Platz „reißen se sich zusamme bis auf‘n letzte Mann und sein hoffentlich mit em Aufsteiche dran.“ Internas von der Band Rio und Besetzungsveränderungen  plauderte der „Önnern-Bloo“ aus. Neues Leben schenkten Jugendliche dem Weiperzer Neujahrsesel, in dem sie einer Tradition folgend am 31. Dezember durchs Dorf zogen. Man glühte mächtig vor und startete die Tour kurz vor Mitternacht: „Durchs ganze Durf sein se geronne, un woarn in jedem Haus willkomme.“

Bis der Schnaps Wirkung zeigte und Böller gezündet wurden. „Die Jonge worn ausgerüstet, als wöllte se irgendwo einmaschier, die Leut aus’m Durf dochte, wo sein mir dann hier. Atomschlag für Atomschlag wurd eigeleitet, de Neujoarsesel is aach auf de ganze Welt schon verbreitet. Die Bevölkerung woar außer Rand und Band. Man dachte, da komme wiere Soldate aus’m Amiland.“ Die grandioseste Geburtstagsparty feierte ein Bloo-Mitglied. Doch nicht ohne Probleme, denn ein Unwetter setzte dem Zelt mächtig zu und Regen überflutete den Festplatz. Die Weiperzer Geissens durften natürlich im Spruch nicht fehlen. Die Polizei und ein wütender Mann besuchten sie. Bärbel fragte: „Wieso, weshalb, was hab ich denn gemacht? Hab ich jemanden umgebracht?“ Es war nur ein abgerissener Spiegel mit Fahrerflucht, wie die Vernehmung ergab.

Der Bloo tröstete: „In de Knast kommt man heut net so schnell, zumindest jetzt grad aktuell.“ Die Ortung eines verlorenen Iphones führte einen Weiperzer nach Mottgers, obwohl das Handy auf der heimischen Toilette lag, einen Strafzettel aus Österreich für zu schnelles Fahren und eine noch einzulösende Spende des Öbern-Bloo waren ebenfalls im Spruch vertreten. Geschichten aus früheren Kirmessprüchen trug Rainer Dambacher vor. (Walter Dörr) +++


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