Archiv
Alle Augen richten sich am Mittwoch auf Theresa May. - Foto:picture alliance/Capital Picture

REGION Britisches Parlament sagt "No"

Brexit: Klatsche für Theresa May - Thomas Mann: "What a pity, British friends"

16.01.19 - Es ist eine schlimme Niederlage für Theresa May: Das britische Parlament hat am Dienstagabend den von ihr ausgehandelten Brexit-Deal klar abgelehnt. 432 Abgeordneten stimmten gegen den Deal, nur 202 dafür. Die Zukunft des britischen Austritts aus der EU ist jetzt völlig unklar. Am Mittwoch muss sich May einem Misstrauensvotum stellen. Was genau an chaotischen Szenarien beim ungeordneten Brexit auf England und Europa zukommt, weiß zur Stunde niemand genau. Die Befürchtungen - nicht nur der Akteure der deutsch-britischen Handelsbeziehungen, sondern aller Beobachter sind fundamental.

Der heimische Europaabgeordnete Thomas Mann bei seinem Grußwort am Montagabend ...Foto: Hans-Hubertus Braune

In einer ersten Stellungnahme schreibt der heimische Europaabgeordnete Thomas Mann (CDU) auf seiner Facebook-Seite am späten Dienstagabend: "Ich habe die Briten im EP immer mit viel Ratio und weniger Emotio erlebt. Sie wissen doch, dass es keine Nachverhandlungen geben kann, weil diese den Brexiteers nie reichen werden. Der Preis des “No” ist dramatisch hoch. What a pity, British friends! But we will move on! (Übersetzung: Schade, britische Freunde! Aber wir machen weiter!, die Red.)."

OSTHESSEN|NEWS hatte im Vorfeld der Abstimmung bei einigen Betroffenen - Briten und Deutschen - in der Region nachgefragt, welchen Ausgang sie von der Abstimmung im Parlament in London erwarten und wie es weitergehen könnte. Hier die Statements der Befragten:

Dr. Heiko Wingenfeld Foto: privat

Fuldas Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld (CDU):

„Ich hoffe bis zur letzten Minute darauf, dass die Abstimmung nicht zustande kommt und dass die Chance auf ein neues Referendum erhalten bleibt. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass in einer globalisierten Welt ein geeintes Europa unverzichtbar ist, und Großbritannien gehört zu diesem geeinten Europa unbedingt dazu.“

Bernhard Juchheim Foto: O|N

Bernhard Juchheim, geschäftsführender Gesellschafter Firma JUMO, Fulda:

"JUMO hat in England eine eigenständige Tochtergesellschaft, die mit 11 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern personell und auch umsatzmäßig zu den kleineren JUMO-Töchtern gehört. In dieser Tochtergesellschaft werden zum einen Temperaturfühler hergestellt und zum anderen JUMO-Produkte aus Fulda vertrieben – beides ausschließlich für den lokalen Markt. Die größte Gefahr sehen wir derzeit in einem ungeordneten Brexit. Denn dann müssten alle Waren vor dem Überschreiten der EU-Grenzen wieder kontrolliert werden. Auch alle zolltechnischen Fragen wären dann neu zu klären. Das würde zu enormen logistischen Verzögerungen und wahrscheinlich zu Lieferschwierigkeiten für unsere englischen Kunden führen. Da die Konsequenzen eines „harten Brexit“ im Detail jedoch völlig offen sind, können Unternehmen derzeit kaum sinnvoll Gegenmaßnahmen planen. So ist es zum Beispiel aufgrund unseres enorm breiten Produktportfolios unmöglich, unsere Tochtergesellschaft durch eine deutliche Erhöhung der Lagerbestände auf eine solche Situation vorzubereiten."

Stefan Schunck Foto: O|N

Stefan Schunck, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Fulda

"Das Referendum im Jahr 2016, in dem die britische Bevölkerung mehrheitlich den Ausstieg aus der Europäischen Union beschlossen hat, war bedauerlich, beruhte auf zumindest unvollkommenen Informationen und wird nachhaltig negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft in Großbritannien und der gesamten EU haben. Die intensiven Verhandlungen in den vergangenen beiden Jahren haben gezeigt, wie eng die Wirtschaftsräume verflochten sind und wie schwierig es ist, diese Beziehungen wieder rückgängig zu machen. Der Binnenmarkt mit all seinen Freizügigkeiten sorgt für wirtschaftlichen Wohlstand und Rechtssicherheit, die politische Einheit Europas dient einem einheitlichen Auftreten nach außen und mindert Konflikte – ja, sie ist friedenserhaltend. Der ausgehandelte Ausstiegsvertrag würde den gegenseitigen Schaden nicht beseitigen, aber reduzieren. Ein ungeregelter Brexit dagegen hätte erhebliche negative Auswirkungen auf Produktion und Handel zwischen Europa und Großbritannien. Mit dem Brexit – und vor allem bei einem ungeordneten Brexit – werden die Güterpreise zollbedingt steigen, Gewinnmargen sinken und die Zollbürokratie drastisch zunehmen. Der DIHK rechnet in diesem Fall mit 10 Mio. zusätzlichen Zollanmeldungen und damit verbunden Bürokratiekosten in Höhe von über 200 Mio. Euro. Die politische Lage in Großbritannien ist derzeit völlig unübersichtlich, alle Szenarien sind denkbar. Und diese reichen vom ungeordneten Brexit über eine zeitliche Verschiebung bis hin zur Zustimmung zu den Ausstiegsverträgen. Wünschenswert wäre aus meiner Sicht ein erneutes Referendum der britischen Bürger – und dieses Mal mit umfassenden Informationen hinsichtlich der Konsequenzen eines Brexit. Da alles offen ist, müssen sich Unternehmen auf alle möglichen Szenarien einstellen und auch mit dem ungeordneten Brexit ab Ende März 2019 rechnen."

Christoph Horvath Foto: Leyla Rommel

Christoph Horvath, Pressesprecher der EDAG Engineering GmbH, Fulda

"Die Handelsbeziehungen der EDAG mit Großbritannien fallen vom Volumen her gering aus. Ich persönlich kann mir
im europäischen Sinne nur wünschen, dass sich der gesunde Menschenverstand durchsetzt und es zumindest zu einem geordneten Brexit kommt. Ein ungeordneter Austritt hätte für die Wirtschaft und die Menschen in Europa unabsehbare und destabilisierende Folgen und wäre der "Worst Case". Der "Best Case" wäre ein erneutes Referendum, dass ja von vielen Briten nachdrücklich gewünscht wird. Man wird sehen, ob sich in Großbritannien der Politikerwille und die allgemeine Stimmung im Land durchsetzen wird."

Wayne Thomas Foto: O|N

Wayne Thomas, Ex-Profi-Fußballer, Kirchheim

"Ich bin kein Freund dieser Entscheidung. Man kann manche Leute verstehen, die den Brexit befürworten. Aber in meinen Augen gehört England in die EU, weil das auch viele Vorteile hat. Ich glaube, dass die Leute nicht richtig über die Folgen aufgeklärt wurden und die Emotionalität in der Migrationsfrage eine große Rolle gespielt hat. Das ganze Ausmaß dieser Entscheidung und was alles daran hängt, war vielen offenbar nicht bewusst. Ich würde es begrüßen, wenn es zu einem zweiten Referendum käme."

Michale Engels

Michael Engels, Geschäftsführer der Desoi GmbH, Kalbach

"Großbritannien ist nach wie vor einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands in der EU. Für uns hat sich Großbritannien in den letzten Jahren stetig und konstant entwickelt. Mit etwa acht Prozent unseres europäischen Umsatzes ist das Königreich ein wichtiger Absatzmarkt. Unser Unternehmen denkt und agiert global, aktuell sind wir weltweit in 23 Ländern über Vertragshändler vertreten, insgesamt liefern wir in 82 Länder. Das bedeutet, dass wir glücklicherweise nicht so stark von einzelnen Märkten abhängig sind.

Auswirkungen des Brexit sind noch nicht im Detail absehbar, allerdings erfahren wir in Gesprächen mit unseren Partnern und Kunden, dass die Nervosität wächst. Es bleibt die Unsicherheit, wie es weitergeht, denn deren Geschäftserfolg ist eng gekoppelt an unsere speziellen Qualitätsprodukte im Bereich der Bausanierung. Aktuell ist der Boom im Bausektor allerorts feststellbar, auch wir erfahren eine hohe Nachfrage unserer Produkte - Großbritannien würde dann weiter als Nicht-Eu-Drittland beliefert werden.

Sicher ist, mit dem bevorstehenden Brexit wird ein wichtiges Puzzleteil Europas fehlen, auch wenn Handelsvereinbarungen getroffen werden. Unsere Hoffnung ist, dass Europa dennoch stabil bleibt, nicht an Ansehen verliert, internationale Kooperationen und multilaterale Prozesse fortgesetzt werden."

Bridget Schreiner Foto: Martin Engel

Bridget Schreiner, Übersetzerin, Fulda

„Ich hoffe inständig, dass Großbritannien den Antrag noch zurückziehen wird, das wäre meine Optimalvorstellung. Obwohl sich die Austrittsverhandlungen nun schon zwei Jahre hinziehen und die potentiellen Negativauswirkungen klar sein müssten, ist die Bevölkerung immer noch gespalten.

Besonders traurig und brisant zugleich ist für mich, dass bei den Gründen der Brexit-Befürworter Ausländerfeindlichkeit eine so große Rolle spielt. In unserer globalisierten Welt funktionieren nationale Alleingänge und das sich-Abschotten überhaupt nicht, das ist keine konstruktive Lösung.

Natürlich ist die EU nicht perfekt, - im Gegenteil: sie ist reformbedürftig und es gibt durchaus Probleme. Aber man muss doch unbedingt sehen, dass sie über 70 Jahre Frieden in Europa geschaffen hat – das wird von vielen übersehen. Viele jüngere Leute waren einfach zu faul und bequem und sind nicht wählen gegangen, weil sich niemand dieses Ergebnis vorstellen konnte. Bleibt zu hoffen, dass noch eine Umkehr möglich ist.“

Rod Williams Foto: O|N

Rod Williams, selbstständiger Englischlehrer, Fulda

"Für mich ist klar, was am Dienstag im Parlament passieren wird: Theresa May wird bei der Abstimmung eine Pleite erleben. Die meisten Brexit-Befürworter unter den Politikern glauben wohl, die EU würde ihnen jetzt ein weitaus besseres Angebot machen. Sie haben die EU immer nur als Möglichkeit für den Handel gesehen, aber nie die Idee von europäischer Solidarität untereinander geteilt. Die Briten kultivieren ihre Insulaner-Mentalität und wollen unter allen Umständen autonom sein. Niemand hat über die Folgen eines Austritts und die bitteren Konsequenzen wirklich nachgedacht. Wie ein zweites Referendum ausgehen würde, weiß derzeit niemand mit Sicherheit. Der Druck auf Theresa May wird am Dienstag so groß, dass ich mit ihrem Rücktritt rechne. Ein wirklich praktikable Lösung sehe ich im Moment nicht." (Carla Ihle-Becker)+++


Über Osthessen News

Kontakt
Impressum

Apps

Osthessen News IOS
Osthessen News Android
Osthessen Blitzer IOS
Osthessen Blitzer Android

Mediadaten

Werbung
IVW Daten


Service

Blitzer / Verkehrsmeldungen Stellenangebote
Gastro
Mittagstisch
Veranstaltungskalender
Wetter Vorhersage

Social Media

Facebook
Twitter
Instagram

Nachrichten aus

Fulda
Hersfeld Rotenburg
Main Kinzig
Vogelsberg
Rhön