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Berthold Jost (2.v.l.) vom Vorstand der Point Alpha Stiftung begrüßte zur Podiumsdiskussion im „Haus auf der Grenze“ von links den Moderatoren Werner Schlierike vom Radiosender HR-Info, den hessischen FDP-Landtagsabgeordneten Jürgen Lenders, Dr. Frank Blechschmidt von der Karl-Hermann-Flach-Stiftung sowie die drei Diskutanten auf dem Podium, Dr. Wolfgang Gerhardt (Ehrenvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung, ehemaliger stv. Ministerpräsident des Landes Hessen und prominenter FDP-Politiker), Dr. Jürgen Bohn (ehemaliger Wirtschaftsminister in Thüringen) sowie Berthold Dücker (Journalist und Zeitzeuge). - Fotos: Friedrich-Naumann-Stiftung

RASDORF / GEISA Podiumsdiskussion auf Point Alpha

30 Jahre Mauerfall: Grenzöffnung ist ein Glück - Die Bildung steckt in der Krise

25.11.19 - Der Zaun ist durchschnitten. Sektkorken knallen. Menschen von diesseits und jenseits der Sperranlagen fallen sich freudetrunken in die Arme. 30 Jahre ist dieses Spektakel nun her. Wirkt der Rausch von damals in Hessen und Thüringen noch nach oder hat sich doch ein böser Kater eingestellt? „30 Jahre Mauerfall. Deutsch-deutsche Vergangenheit(sbewältigung) und ihre Auswirkungen“ – unter dieser Überschrift stand jetzt eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion bei der Point Alpha Stiftung im Museum „Haus auf der Grenze“ zwischen Geisa und Rasdorf.

Das Fazit vorweg: es herrscht weitgehend Einigkeit – die Grenzöffnung ist ein Glück, an das man viel zu selten denkt. Zwar ist vieles anders gekommen wie vorhergesagt, doch in der Summe können die Bürger auf das Erreichte stolz sein. Eine Revolution, friedlich und ohne Opfer, (Meinungs-)Freiheit und Demokratie, der Abzug von Armeen, ohne das ein Schuss fällt, aus dem heutigen Blickwinkel eigentlich unfassbar. Heute ist die Umgebung Biosphärenreservat statt Kriegsschauplatz „Fulda Gap“.

Die Wende ist also weitgehend gelungen. Das sollte eigentlich Auftrag für morgen sein. Doch genau an dieser Stelle, an der Aufarbeitung vor allem der DDR-Geschichte und bei der Reflexion persönlicher Biografien herrscht Stillstand. Im Dialog zwischen den Menschen aus Ost und West hat sich eine Sprachlosigkeit manifestiert und bei der jungen Generation klafft beim Wissen über die Historie des eigenen Staates eine riesige Lücke.

Rund 80 Zuhörer verfolgen im „Haus der Grenze“ eine spannende Podiumsdiskussion. Ihre Einschätzungen über die momentane gesellschaftliche Situation und den aktuellen Gefühlszustand der Menschen, die heute links und rechts der ehemaligen Sperranlagen zwischen Hessen und Thüringen zu Hause sind, machen sich Dr. Wolfgang Gerhardt (Ehrenvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung, ehemaliger stv. Ministerpräsident des Landes Hessen und ehemaliger Vorsitzender der FDP), Berthold Dücker (Journalist und Zeitzeuge) sowie Dr. Jürgen Bohn (ehemaliger Wirtschaftsminister in Thüringen) ihre Gedanken. Die Moderation führte Redakteur Werner Schlierike vom Radiosender HR-Info.

„Im US-Camp Point Alpha treffe ich auf Jugendliche, die hier zum ersten Mal davon erfahren, dass es in Deutschland eine Grenze gab. Da kriege ich die Krise“, stellt Dücker resigniert fest. Im Unterricht komme man oft nur bis zum Zweiten Weltkrieg. Dies grenze fast an ein Staatsversagen in der Kultuspolitik. In den Schulen muss man sich intensiver über deutsche Teilung, DDR-Diktatur, den Mauerfall und seine Folgen für beide Seiten auseinandersetzen. Auch Bohn und Gerhardt mahnen eine Bildungsreform an. „Wir dürfen nicht vergessen zu vermitteln, was und warum passiert ist, wo wir herkommen und worauf wir in Zukunft aufzupassen haben“.

Aber auch in den Elternhäusern, eigentlich der erste Ansprechpartner der Kinder in Sachen Erziehung und Bildung, gibt es keine Prägung mehr. Und zudem sei bei zahlreichen Politikern „eine Erinnerungsverweigerung“ festzustellen. Tatsächliche Fakten aus der Historie werden verschwiegen oder schöngeredet unter dem Aspekt „wir regeln das schon für euch“. Ein Grund dafür, dass Populisten und gar Nationalisten Oberwasser bekämen. Die Diskutanten stellten fest, im politischen Diskurs werde leider auch viel Unfug verbreitet und die Aggressivität dabei sei angestiegen. Gleichzeitig wachse die moralische Maßlosigkeit und die Begehrlichkeiten an den Staat.

„Wir sollten alle einmal zurücktreten und uns besinnen“, fordert Dr. Gerhardt auf. „Jeder Bürger sollte auch mehr Eigenverantwortlichkeit zeigen, mehr Standfestigkeit und mehr Selbstvertrauen im sachlichen Austausch von Argumenten“. „Man spricht nicht mehr ehrlich miteinander“, ergänzt Bohn. Und Berthold Dücker sieht auf Point Alpha noch immer Welten aufeinanderprallen. „Ein Austausch zwischen Ost und West findet nur noch hier statt. Wenn Point Alpha nicht wäre, wo würden die Leute dann noch miteinander reden, um das Leben in Ost und West besser zu verstehen?“ Aufklärung über die jüngste deutsche Geschichte und die Erfahrungen der Menschen tut also Not, um damit die notwendigen Entscheidungen dafür treffen zu können, wie es mit Deutschland in Zukunft weitergeht.

Dr. Wolfgang Gerhardt hatte zur Einführung in das Gespräch in einem Impuls-Referat die Geschehnisse, wie es zur Wende kam sowie die Befindlichkeiten danach, noch einmal Revue passieren lassen. Unter anderem zitierte er aus Wortprotokollen aus den letzten Tagen der SED und des Zentralkomitees der DDR, um darzulegen, dass dieser Staat eigentlich schon lange vor der Wende am Ende war. Nur habe die Führungsriege um Erich Honecker diesen Zustand dem Volk verschwiegen. Ob wohl das Zeitfenster äußerst kurz war, sei der 2+4-Vertrag, den der damalige FDP-Außenminister Hans-Dietrich Genscher geschickt mitverhandelt hatte, eine diplomatische Glanzleistung gewesen.

Zu Beginn hatte Berthold Jost – auch im Namen seines Kollegen Dr. Eberhard Fennel – für den ehrenamtlichen Vorstand der Point-Alpha-Stiftung sowie der Vorstandsvorsitzende der Karl-Hermann-Flach-Stiftung, Dr. Frank Blechschmidt, das Publikum begrüßt. Jost, damals amtierender Bürgermeister von Rasdorf, erinnerte daran, dass exakt am Veranstaltungstermin vor 30 Jahren die Straße zwischen Buttlar (Wartburgkreis) und Grüsselbach (Landkreis Fulda) freigegeben wurde und Pfarrer Josef Jilek deswegen um 5 Uhr morgens die Kirchenglocken läuten ließ. Dr. Blechschmidt erläuterte das Engagement der liberalen Stiftungen. Er hoffe, dass man die Zusammenarbeit mit der Point Alpha Stiftung in 2020 weiter ausbauen könne.

Eingeladen zu dieser Veranstaltung hatte die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, die Karl-Hermann-Flach-Stiftung sowie die Point Alpha Stiftung. Während des anschließenden Empfangs hatten die Besucher die Möglichkeit sich die Ereignisse des Winters 1989/90 im Rahmen einer aktuellen Fotoausstellung der Point Alpha Stiftung auch visuell in Erinnerung zu rufen. Die Ausstellung mit Bildern von Fotografen aus der Region ist noch bis zum 1. März 2020 im „Haus auf der Grenze“ von Point Alpha für jedermann geöffnet. (pm) +++


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