Archiv
Thomas Kemmerich (FDP) seit Mittwoch Ministerpräsident, am Donnerstag kurz vor dem Rücktritt - picture alliance/Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

REGION Nach der Wahl ist vor der Wahl

"Unhaltbarer Zustand" - Stimmen zum neuen Thüringer Ministerpräsident

06.02.20 - Der Tag danach: Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik hatte eine Ministerpräsidenten-Wahl solche Turbulenzen und heftigste Reaktionen zur Folge. Das Scheitern von Amtsinhaber Bodo Ramelow (Linke) an einer fehlenden Stimme hatte ein bundesweites Echo - von Jubel bis Katastrophenalarm. Während die Bundesparteien von CDU und FDP offenbar gespalten auf das Zustandekommen der Mehrheit für den neuen Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) reagieren, ist die Empörung über die AfD als "Königsmacher" und den politischen Dammbruch aufseiten von SPD, Grünen und Linken groß. Von einem "normalen demokratischen Vorgang" sprechen dagegen die Befürworter dieser politischen Wende im Erfurter Landtag, von "Tabubruch und "Spiel mit dem Feuer" die Kritiker des bislang einmaligen Vorgangs. Wie reagieren die heimischen Abgeordneten auf das hochbrisante politische Ereignis? Wir haben nachgefragt.

Ministerpräsident Volker Bouffier sieht in Neuwahlen als einzige Chance den "unhaltbaren ...Foto: O|N

Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, Landesvorsitzender der CDU und Vize der Bundespartei: "Wir halten die Verhältnisse in Thüringen für nicht erträglich. Das Land braucht eine stabile Regierung, ohne Einfluss der AfD. Der beste Weg dazu sind Neuwahlen."

Die CDU-MdL Markus Meysner und Thomas Hering:
"Die CDU hat von Anfang an die Zusammenarbeit mit der AfD und der Linken ausgeschlossen. Für das Handeln der FDP in Thüringen ist die FDP auch allein selbst verantwortlich. Als CDU werden wir weiter die politische Mitte vertreten und uns nicht an irgendwelche Ränder drängen lassen. Daran halten wir fest. Nun stellt sich die Frage, wie es mit Thüringen weitergeht. Dabei gibt es derzeit zwei Optionen: Neuwahlen oder eine Minderheitsregierung von FDP und CDU.

Markus Meysner, CDU-Abgeordneter im hessischen Landtag Fotos: O|N

CDU-MdL Thomas Hering

Die CDU schließt weiter jede Zusammenarbeit mit der AfD aus, denn eine Zusammenarbeit mit der AfD widerspricht unseren christdemokratischen Grundwerten. In der jetzigen Situation ist aber der gewählte FDP-Ministerpräsident kaum regierungsfähig, da SPD und Grüne ihre Zusammenarbeit mit dem Ministerpräsidenten bereits ausgeschlossen haben. Insofern wäre man immer wieder von den Stimmen der AfD abhängig und das wäre inakzeptabel. Neuwahlen sind die offensichtlichere Lösung, allerdings könnten sie auch zu einem weiteren Erstarken der politischen Ränder führen. Das ist eine Wahrheit, die wir nicht verleugnen oder herunterspielen dürfen. Im Endeffekt bleibt nur zu sagen, dass die Situation so wie sie jetzt ist, nicht hingenommen werden kann und dass es das Beste für Thüringen wäre neu zu wählen, in der Hoffnung, dann eine demokratische Regierung frei von rechter und linker politischer Extreme aufzustellen. Und dies zum Wohle der Thüringer und zum Wohle unserer Demokratie!"

SPD-MdB und Staatsminister für Europa Michael Roth

SPD-MdB und Staatsminister für Europa Michael Roth: "CDU und FDP kooperieren in Thüringen lieber mit der AfD um den Faschisten Höcke, anstatt eine Regierung von Demokratinnen und Demokraten zu tolerieren. Liberale und Konservative öffnen dem Faschismus Tür und Tor, geben ihm Macht über eine Landesregierung. Ein unfassbarer Kulturbruch! Die Rechtfertigungsversuche zu Thüringen aus den Reihen von CDU und FDP sind einfach nur schlimm. Wenn man mit den Stimmen der AfD gewählt wird, nimmt man das Amt nicht an (oder tritt sofort zurück). Punkt. Danke, denen in CDU und FDP, die das genauso sehen."

FDP-MdL Jürgen Lenders Foto: O|N

FDP-MdL Jürgen Lenders: "Es gibt in der Politik immer ein kleines Zeitfenster, in dem man entscheiden kann, ob man zum Helden oder zum Arschloch wird. Das hat Thomas Kemmerich gestern offenbar verpasst, er hätte die Wahl nicht annehmen dürfen. Dieser Ausgang der Wahl des Ministerpräsidenten war wohl selbst für viele Akteure eine faustdicke Überraschung. Es war - gelinde gesagt - unprofessionell, was die Thüringer Liberalen gemacht haben. Wenn man keine Idee und keinen Plan hat, wie man eine Regierung bilden will, muss man es lassen. Natürlich läuft es jetzt auf Neuwahlen hinaus und da sieht es nicht gut aus für die FDP, die es mit Ach und Krach in den Thüringer Landtag geschafft hat. Einen kapitalen Schaden hat aber die CDU, vor allem die Bundespartei, weil die Thüringer sich nicht an klare Absagen gegenüber der AfD gehalten haben. Warum haben sie keinen eigenen Kandidaten aufgestellt? Da wären sie in der Pflicht gewesen."

Sabine Waschke, SPD-MdL, sieht Parallelen zwischen Thüringer Landtag und Fuldaer ...Foto: privat

SPD-MdL Sabine Waschke: "Der Erfurter Dammbruch beschäftigt auch die Politik im Landkreis Fulda. So forderte der SPD-Unterbezirk den FDP-Kreisverband Fulda auf, sich klar von dem Thüringer Ministerpräsidenten Kemmerich zu distanzieren. Ich sehe sogar Parallelen zwischen Thüringen und Fulda: Nach der Kommunalwahl waren es FDP und AfD, die sich gegenseitig Stimmen für diverse Kreisposten zugeschustert haben. Die Geschichte Deutschlands zeigt uns aber klar, dass wir derartige Geschehnisse nicht ignorieren dürfen. Ob Kemmerich Einfluss darauf hatte, mit den Stimmen der Höcke-AfD zum Ministerpräsidenten gewählten zu werden, lasse ich dahingestellt. Aber er hätte die Wahl ja nicht annehmen müssen. Die FDP in Fulda hätte 2016 nicht mit der AfD im Kreistag paktieren dürfen. Das sind die Dammbrüche, die Stück für Stück die politische Landschaft in die Rechtsextreme verschieben. Die FDP muss sich dringend von jeglicher Zusammenarbeit mit der AfD und vor allem von Ministerpräsidenten Kemmerich distanzieren, sonst machen sie die gesamte FDP unglaubwürdig."

Linke MdL Jan Schalauske und Fraktionsvorsitzende Janine Wißler Foto: privat

Bodo Ramelow (Linke) scheiterte bei der Wiederwahl an einer Stimme

Die Linken MdL Jan Schalauske und Landtagsfraktionsvorsitzende Janine Wissler: "Die Wahl eines Ministerpräsidenten mit den Stimmen des Faschisten Björn Höcke und der extremen Rechten der AfD ist ein von FDP und CDU begangener Tabubruch. Die Liberalen machen sich zum Steigbügelhalter der Rechten. Auch in Hessen muss der AfD entgegengetreten werden."

Heinz Lotz ist SPD-Landtagsabgeordneter für den Main-Kinzig-Kreis Foto: privat

SPD-MdL Heinz Lotz:"Die FDP im Hessischen Landtag ist die einzige Partei, die für einen AfD-Landtagsvizepräsidenten gestimmt hat. Meinetwegen soll in beiden Landtagen jeder wählen, was er will, ich persönlich jedoch kann nicht mit ruhigem Gewissen einen AfD-Kandidaten wählen oder durch Stimmen von Rechtsextremen in ein Amt kommen. Dabei hätten sechs Wörter im Thüringer Landtag gereicht, um ein klares Signal gegen Rechtsextremismus zu setzen: ‚Ich nehme die Wahl nicht an!‘. Einfacher geht es kaum. Die FDP im Main-Kinzig-Kreis hat gute Leute. Ich wünsche mir von ihnen eine deutlichere Abgrenzung. Die Geschichte hat uns gelehrt, wer heute mit den Rechtsextremen paktiert, wacht morgen in einem totalitären Staat auf. Es ist unsere Aufgabe, klare Kante gegen Rechts zu zeigen und derartige Dammbrüche in unseren Parlamenten zu verhindern." +++(ci)


Über Osthessen News

Kontakt
Impressum

Apps

Osthessen News IOS
Osthessen News Android
Osthessen Blitzer IOS
Osthessen Blitzer Android

Mediadaten

Werbung
IVW Daten


Service

Blitzer / Verkehrsmeldungen Stellenangebote
Gastro
Mittagstisch
Veranstaltungskalender
Wetter Vorhersage

Social Media

Facebook
Twitter
Instagram

Nachrichten aus

Fulda
Hersfeld Rotenburg
Main Kinzig
Vogelsberg
Rhön