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Die Corona-Krise stellt Andreas Wetter und Frank Tischer vor neue Herausforderungen. - Grafik: Michelle Kedmenec

REGION "Wie eine Pflanze, die kein Wasser bekommt"

Was die Corona-Pandemie für osthessische Musiker bedeutet

07.11.20 - Fuldas bekanntester Klavierspieler arbeitet heute als Gartenassistenzkraft und Fahrer für das antonius Netzwerk, um kein Hartz IV beantragen zu müssen. Ein leidenschaftlicher Gitarrist und Veranstalter von zahlreichen Events musste sich darauf beschränken, Solo-Unterricht für junge Gitarren-Spieler zu geben, und einen Teil seines Hauses verkaufen. Eigentlich haben die beiden ihr Leben jedoch der Bühne verschrieben, spielen im Jahr mindestens in jeder Woche einen Gig vor Menschen, denen sie mit ihrer Musik ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Doch das Jahr 2020 hat sie genau wie zahlreiche andere Musiker und Künstler landauf, landab gebeutelt. Der Rattenschwanz, den die Pandemie mit sich bringt, scheint kein Ende zu nehmen. Vom Licht- über den Tontechniker bis hin zu Besitzern von Veranstaltungshallen schauen gerade alle in die Röhre. Die Branche liegt brach. Ein Gespräch mit Frank Tischer und Andreas Wetter.

Zugegeben: Ein wenig ist es wie Klagen auf hohem Niveau. Natürlich sollte man dankbar dafür sein, gesund zu sein, ein Dach über dem Kopf und jeden Abend etwas zu essen zu haben. Dennoch lassen die Beschränkungen, die mit der Corona-Pandemie einhergehen, auch osthessische Musiker wie Frank Tischer oder Andreas Wetter nur mit großen Sorgen zu Bett gehen. "Ich bin Musiker vom ganzen Herzen und vermisse es unglaublich, live vor Menschen zu spielen", sagt beispielsweise der Gitarrist Andreas Wetter. Und auch der Musiker Frank Tischer sagt: "Das ist einfach mein Wesen." Das ist die eine Sache. Die andere ist der enorme finanzielle Verlust, den vor allem Künstler derzeit verkraften müssen.

Von den 55 geplanten Gigs, mit deren Lohn er gerechnet hatte, konnte Wetter in diesem Jahr einen einzigen spielen. Die anderen wurden restlos abgesagt. Bei Pianist Frank Tischer sind es sogar 74 Konzerte, die gestrichen wurden. Was also tun, um nicht unverschuldet in die Hartz-IV-Falle zu rutschen? Nicht einmal Straßenmusik ist derzeit erlaubt. Die Konzerte im Radom auf der Wasserkuppe, die Tischer unter "eisenharten Einschränkungen" in den letzten Monaten gab, finden auch nicht mehr statt. Dennoch sind laufende Kosten zu decken, die mit der Unterstützung des Staates nicht gezahlt werden dürfen. Von der einmalig gezahlten Soforthilfe durften nur Betriebskosten – also gefahrene Kilometer oder Angestellte – gezahlt werden. Miete, Abträge für Wohnhäuser, Lebensmittel, Versicherungen und Co. durften damit nicht beglichen werden.

Fotos: Suria Reiche

Andreas Wetter in seinem Probenraum - hier darf er noch Musik machen.

Woher also das Geld nehmen? Während Andreas Wetter eine Wohnung in seinem Haus verkaufen musste, deren Einnahmen eigentlich für die Altersvorsorge und solche Dinge gedacht waren, nahm Tischer eine "körperliche Arbeit" an, wie er sagt. "Und ich bin froh, dass ich diese habe. Damit kann ich zumindest knapp 60 Prozent meiner Kosten decken." Sein Wecker klingelt um 5.40 Uhr und er macht sich auf den Weg in die Gärtnerei von antonius. Zurzeit kommt er frühestens um 18 Uhr wieder nachhause. Kein Vergleich zu der Arbeit, die er als Musiker eigentlich tut. Damit er zumindest sein Auto regelmäßig tanken kann, gibt Wetter Solo-Unterricht für junge Gitarren-Schüler, seine Arbeit in der Musikschule liegt auf Eis.

Eine Situation, die sich kein Künstler Anfang des Jahres hätte ausmalen können. "Das Jahr wäre toll geworden. Doch es war alles andere als das. Im März hab‘ ich gedacht, dass sich die Situation vielleicht bis April gebessert hat. Im Juni hoffte ich, dass es nun wirklich aufwärts geht. Und dann passiert so etwas", sagt Wetter. Genau wie Tischer will er für sein Geld auftreten, will den kulturdurstigen Menschen etwas geben. Von der Unterstützung des Staates sind beide enttäuscht, auch wenn sie wissen, dass es gut gemeint ist: "Aber es gibt ganz einfach ein viel zu großes Gefälle, was die finanzielle Unterstützung der verschiedenen Berufe angeht", sagt Tischer.

Normalerweise ist Frank Tischer auf der Bühne zu Hause. Foto: Glenn Bryson

Foto: Jan Hofmann

Foto: Stadt Mainz

"Manche werden vom Staat mit vielen Milliarden unterstützt. Und wir Kulturschaffenden bekommen so viele Einschränkungen, dürfen mit der Unterstützung nur Betriebskosten zahlen, müssen uns seitenweise komplett durchsichtig machen. Ich zum Beispiel habe am Ende rund 1.600 Euro für drei Monate bekommen. Jetzt prüfen sie mich und schlimmstenfalls erkennen sie einen Teil meiner Betriebskosten nicht an und fordern etwas zurück." Tischer ist der Meinung, dass das oft nur Kleinen passiert und fühlt sich, als sei ihm und den anderen Musikern ein Arbeitsverbot verhängt worden. Auch Wetter sagt: "Das ist ein Witz in Tüten."

Foto: Suria Reiche

Wie sollte die Situation ihrer Meinung nach am besten gelöst werden? Während Wetter davon träumt, sein Geld selbst zu verdienen, aufzutreten – wenn auch mit den natürlich gegebenen Hygienevorschriften, die ja sowohl in der Gastronomie als auch bei Veranstaltungen eingehalten wurden, und vielleicht ein bisschen mehr Abstand. "Wir müssen ja nicht eng an eng gedrängt stehen und wer sich krank fühlt, sollte zu Hause bleiben. Aber die Menschen und wir Musiker wollen raus", sagt er und fügt nach einer kurzen Pause hinterher: "Irgendwas stimmt doch an dem System nicht." Das sieht Tischer ähnlich: "Es wäre wünschenswert, wenn die Hilfe des Staates an dem bemessen wird, was ein Mensch tatsächlich braucht." Er hofft, dass er mit einem blauen Auge durch dieses Jahr schlittern wird, auch wenn er bereits seine Altersvorsorge anbrechen musste. Momentan fühle er sich jedoch, als wäre er ein Gestrandeter. "Ich mache den Job schon seit über 30 Jahren. Und jetzt wird er mir ohne Eigenverschulden verboten. Das nagt am Selbstwertgefühl."

Die beiden hoffen auf eine bessere Zukunft. "Aber die große Frage bleibt natürlich, ob und wann wir Musiker und Künstler wieder auftreten können", so Wetter, "damit, dass mein alljährlicher Gig an Silvester stattfinden wird, glaube ich nicht. Vermutlich zahlen die Kinder, die noch gar nicht geboren sind, das, was wir den Staat gerade kosten." Und Tischer sagt: "Gerade stirbt die Kreativität aus. Wie eine Pflanze, die kein Wasser bekommt." (Suria Reiche) +++


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