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Der Staat möchte weniger Schalenwild im Wald - Experten hingegen sprechen sich für Ruhezonen aus, in denen Wildtiere vor Waldbesuchern geschützt werden - Foto: picture alliance / Goldmann | Goldmann

REGION Jagdgesetzänderung in den nächsten Tagen!

Staat will sparen: Keine Daseinsberechtigung mehr für Reh- und Rotwild?

03.03.21 - Bereits in wenigen Tagen werden Politiker über das Schicksal von Reh und Hirsch in den deutschen Wäldern entscheiden. Ende der Woche ist die letzte Ausschussberatung sowie die dritte Lesung samt Abstimmung eines neuen Jagdgesetzes im Bundestag geplant.

Am vergangenen Montag wurde, auf Antrag der FDP, eine letzte Anhörung angesetzt. Thema: Wald geht nur mit Wild – Ideologiefreie Reform des Bundesjagdgesetzes. Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung, über den bald entschieden werden soll, heißt es nämlich beispielsweise, dass "eine Verjüngung des Waldes im Wesentlichen ohne Schutzmaßnahmen ermöglicht wird". Dies würde bedeuten, dass der Staat jährlich zwar viel Geld einsparen kann, die Rechnung dafür müsste allerdings das Schalenwild mit seinem Leben zahlen.

Die Fraktion im Bundestag der FDP forderte die Bundesregierung jetzt auf, anzuerkennen, dass Waldumbau und Wiederaufforstung völlig unabhängig vom Wildbestand mit Schutz- und Pflegemaßnahmen zu begleiten sind und aktive Erhaltungsmaßnahmen seitens der Waldbewirtschafter erfordern.

Zur über zweistündigen Anhörung am Montag waren verschiedene Experten geladen, die sich im Wesentlichen damit befassten, ob im neuen Jagdgesetz etwa festgehalten werden müsse, dass Jäger mehr Verantwortung beim Waldumbau übernehmen müssten.

Fürsorgepflicht nach einer jahrelangen staatlichen Misswirtschaft soll abgewälzt werden

Moritz Klose, Programmleiter Wildtiere vom WWF, geht das, was im neuen Jagdgesetz gefordert werden soll, nicht weit genug. Gerade der Hegebegriff sollte, ginge es nach der Umwelt- und Tierschutzorganisation, konkret dahin definiert werden, dass Jäger weitere waldumbaubetreffende Aufgaben übernehmen müssten. Auch er spricht sich dafür aus, dass Bäume und Anpflanzungen nicht vor Verbiss geschützt werden sollten, dafür hätte der WWF gerne jährliche Mindestabschusspläne, die sich vorrangig am Zustand der Vegetation, insbesondere dem Zustand der Waldverjüngung, orientieren. Eine Höchstabschussgrenze sieht der Plan der Tierschützer hingegen nicht vor.

Jäger sollen laut Gesetzesentwurf hauptverantwortlich für den Waldumbau gemacht ...Bilder: Pixabay

Als weiterer Experte, der die Politiker auf dem Weg zur Abstimmung des neuen Gesetzes beriet, war Dietrich Mehl von der Landeswaldoberförsterei Reiersdorf geladen. Er ist der Meinung, dass sich Rot-Reh- und Damwild "explosionsartig" vermehren. Er forderte eine "dramatische Reduzierung" des Bestandes. Forst- und "gesellschaftliche" Ziele seien anders nicht umsetzbar. Er findet, dass die Hege des Wildes überbewertet wird und fordert eine "Beweislastumkehr". Nicht der Waldbesitzer, der mehr Tiere erlegen lassen will (um beispielsweise seinen Wald ohne Schutzmaßnahmen  zu verjüngen), soll sich einem behördlichen Verfahren stellen, sondern der Jäger, der große Wildbestände erhalten möchte, soll nachweisen müssen, dass eine Gefährdung der Wildbestände droht. Außerdem ließ Mehl durchblicken, dass überjagende Hunde für ihn kein Problem sind. "Man muss sich dabei doch immer fragen, welches Ziel verfolgt werden soll". Mögliche Strafen dafür sollten aus seiner Sicht abgemildert werden. Zusätzlich spricht er sich für eine Verkürzung der Pachtdauer der Jagdreviere aus, "um Ziele gegebenenfalls mit anderen Protagonisten zu ermöglichen".

"Gesetzesentwurf ist die Reduktion der Hege auf eine jagdliche Dienstleistung für die Forstwirtschaft"

Es gab bei der Anhörung jedoch auch Lichtblicke. Mehrere Fachleute warnten davor, dass der Staat sich nicht aus seiner Verantwortung, den Wald selbst zu schützen, stehlen dürfe. Professor Klaus Hackländer, Vorstand des Institutes für Wildbiologie und Jagdwirtschaft in Wien, erklärte, man habe in Österreich die höchste Schalenwilddichte in Europa und käme, obwohl es im Nachbarland ebenfalls Klimawandel und Borkenkäfer gibt, hervorragend mit dem Waldumbau klar. Der deutsche Gesetzesentwurf sei von Ideologie geprägt, komplexe Zusammenhänge würden vereinfacht dargestellt und Pauschallösungen propagiert werden. "Ganz deutlich wird das Motto "Wald vor Wild" im Novellierungstext deutlich." Es sei Irrglaube, dass ein erhöhter Jagddruck den Waldumbau ermögliche, so der Experte weiter. Um diesen erfolgreich umsetzen zu können, müsse man auch Geld für Anpflanzungen und Schutzmaßnahmen in die Hand nehmen.

"In Deutschland könnte man auf den Gedanken kommen, es geht beim Wald nur um eine Forstplantage, nicht um den Lebensraum heimischer Tierarten."

Rücksichtnahme? Fehlanzeige

Verschiedene Fachleute sprachen sich für Waldruhezonen aus. Fast einhellig war die Meinung, dass eine gestiegene Freizeitnutzung das Wild im Wald stark beunruhigt, was wiederum verstärkt zu Verbiss an jungen Pflanzen führt. "Früher sind die Leute auf den Wegen geblieben und haben diese höchstens in der Pilzsaison verlassen. Heute kriechen Geocacher, Mountain-Biker oder Menschen, die ein hübsches Foto von sich wollen, selbst nachts noch durch die letzte Dickung."

"Es geht um Lebensraum!"

Dass das Jagdgesetz nun verschärft und noch mehr Tiere verpflichtend erlegt werden sollen, lehnt die breite Masse der Jägerschaft übrigens ab. "Der Wald ist mehr als Holzproduzent und Fitnessstudio für uns Menschen. Er ist Lebensraum für Wildtiere", so Dr. Astrid Sutor, Jagd- und Forstreferentin des Deutschen Jagdverbandes. Dieser müsse verbessert werden, beispielsweise durch Wildruhezonen. Wenn es dadurch alternative Äsung gibt, ist man sich sicher, werden weniger Forstpflanzen beschädigt. Eine nun staatlich anvisierte Gewinnmaximierung dürfe nicht das oberste Gebot sein, sondern ein faires Miteinander zwischen Mensch und Wildtier.

Dem Schalenwild wird von der Bundesregierung immer weniger Lebensraum zugestanden ...

Auch der Landesjagdverband Hessen (LJV) vertritt eine klare Meinung: Die generelle Verjüngung des Waldes, insbesondere jedoch Anpflanzung und Aussaat von nichtheimischen Baumarten ohne Schutzmaßnahmen, sei unrealistisch. "Sie geht sogar zulasten heimischer Wildtiere - der Tierschutz ist ebenso in Gefahr wie die Alters- und Sozialstruktur von pflanzenfressenden Arten. Eine starke Reduktion des Schalenwildes lehnt der Verband ab. "Selbst wenn das Gesetz in der jetzt bekannten Form verabschiedet werden sollte, erhalten wir unsere Kritik daran aufrecht und werden insbesondere bei der Umsetzung in die Praxis genau hinschauen und alle Möglichkeiten der Einflussnahme oder der Gestaltung im Sinne des uns anvertrauten Wildes wahrnehmen."

OSTHESSEN|NEWS wird zeitnah über die Abstimmung des neuen Jagdgesetzes sowie über eventuelle Änderungen berichten.

UPDATE: Von der Tagesordnung am Donnerstag abgesetzt hat der Bundestag die abschließende Beratung des Entwurfs der Bundesregierung zur Änderung des Bundesjagdgesetzes. Somit findet in dieser Woche keine Abstimmung mehr statt. Nach Informationen des Deutschen Jagdverbandes hat die SPD im Nachgang zur öffentlichen Anhörung nochmals Gesprächsbedarf angemeldet. (Miriam Rommel) +++


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