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Was sagen die Befürworter der Fahrraddemo auf der A7? - Henrik Schmitt

FULDA JETZT sprechen die O|N-Leser

Befürworter der Fahrraddemo auf A7: "Soll der Autowahnsinn weiter gehen?"

09.06.21 - OSTHESSEN|NEWS-Leser Andreas K. hat nach der Fahrradfahrer-Demo auf der A7 einen Gast-Kommentar an O|N geschickt. Er ist der Überzeugung, dass wir als Gesellschaft etwas für unsere Umwelt tun müssen. Er apelliert dabei aber lieber erstmal bei sich selbst anzufangen, als durch eine Demonstrationen auf der Autobahn unnötige Staus zu provozieren und damit der Umwelt zu schaden. Damit traf er einen Nerv, die O|N-Redaktion kann sich seitdem kaum mehr retten vor Leserbriefen. 

Wie Meinungsstücke es so an sich haben, hat nicht jedem der Gastkommentar von Andreas K. gefallen, doch O|N-Leser Matthias Söhlke hat es in einer Mail an unsere Redaktion auf den Punkt gebracht: "Es ist wichtig und richtig, dass Sie sich zu Wort melden und es ist auch schön, dass O|N den Raum dafür öffnet. Schließlich handelt es sich um das, was in diesen Zeiten mit all seinem Social-Media-Niedergebrüll zu oft fehlt: eine selbstverständliche demokratische Debatte über das Für und Wider in der Sache."

In diesem Beitrag finden Sie Kommentare der O|N-Leser, die die Fahrrad-Demo auf der Autobahn sinnvoll fanden: 

Clemens Groß: "Niemand will irgendjemand das Auto wegnehmen oder verbieten, darum ging es in der Demonstration auch überhaupt nicht (ich besitze selber 12 Autos), dazu hätte man sich allerdings mal genauer damit beschäftigen müssen. Das Ziel der Demonstration war, einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Verkehrsmitteln zu fordern und die meisten der Teilnehmer waren der Meinung, dass wir Autobahnen in ausreichender Länge haben und keine neuen Autobahnen mehr benötigen. Die vielen Milliarden, die in den Neubau und dem späteren Unterhalt fließen, wären beim Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs dringender benötigt. Für das Geld, was die neue Abfahrt der A7 kosten soll, könnten alle Fuldaer viele Jahre kostenlos Bus fahren (auch sonntags in Istergiesel)!

Es ging also in der Demonstration darum, den Menschen aufzuzeigen, dass wir aktuell bei der Verkehrsplanung eine massive Fokussierung auf den Autoverkehr haben und dass dies auch nicht mit den vorgegebenen Zielen der Bundesregierung z.B. bezüglich des Ausbaus des Radverkehrs und den Klimazielen der EU zusammenpasst. Es ging darum dafür zu sensibilisieren, Verkehrswege für Autos, Fahrräder und Fußgänger und den ÖPNV gleichwertig zu betrachten und dadurch Alternativen zum Auto anzubieten. Es wird immer Personengruppen geben, die auf das Auto angewiesen sind, das ist völlig klar. Aber viele könnten und würden Alternativen nutzen, wenn sie vorhanden (öffentlicher Personennahverkehr auch in ländlichen Gebieten) und sicher benutzbar wären (sichere Radwege auch von außerhalb bis in die Innenstadt). Die Teilnahme am regionalen gesellschaftlichen und kulturellen Leben und am Berufsleben darf nicht davon abhängig sein, ob jemand ein Auto hat oder nicht.  Wenn ich das Fahrrad nehme, um zur Arbeit zu fahren, muss ich kein Veganer mit selbstgestricktem Pulli aus eigenem Wollanbau sein. Daher kann ich überhaupt nicht verstehen, was eine bestimmte Kleidung oder ein verkehrstüchtiges Rad mit der Forderung nach mehr Verkehrsgerechtigkeit zu tun hat. Sie dürfen doch auch wählen gehen, obwohl sie sicherlich schon mal falsch geparkt haben."

Peter Pospiech: "´Fangt bei Euch an, liebe Autobahn-Radler´. Ich glaube, diese Aufforderung ist deswegen wenig hilfreich, weil die, welche auf der Autobahn am letzten Sonntag geradelt sind, schon lange irgendwie und irgendwann angefangen haben. Mit dem Nachdenken und auch Handeln. Sicher, der von den Radlern ausgelöste Stau ist nicht schön für Automobilisten, die darin stecken. Und alles auf dem Rücken der Autofahrer. Aber soll denn der Autowahnsinn immer so weiter gehen? Immerhin wird die Bewegungsfreiheit auch auf dem Rücken von Millionen Fußgängern und Radfahrern seit Jahrzehnten durch den motorisiertem Individualverkehr (MIV) eingeschränkt. Wenn die öffentliche Hand den MIV fördert, dann wird man mehr davon bekommen; genauso, wenn man den Rad- und Fußverkehr fördert, dann wird sich das in diese Richtung bewegen. Jüngstes und bestes Beispiel ist die finnische Hauptstadt Helsinki. Dort hat man richtig viel Geld in die Hand genommen und den Rad- und Fußverkehr konsequent gefördert. Und das Ergebnis ist vorbildlich und  kann sich sehen lassen. Nebebei: die Finnen sollen zu den glücklichsten Menschen dieses Planeten gehören. Warum aber wollen die meisten nicht den verliebten Blick von ihrem fahrbaren Untersatz über den berühmten Tellerrand lenken?

Sicher, viele der Teilnehmer an der Demo sind auch Autofahrer und  -besitzer. Ich auch. Aber man muss die Tendenzen betrachten, die meistens im Verborgenen liegen. Bei mir ist es so, dass ich die jährliche Kilometerleistung mit dem Auto in den letzten sechs Jahren auf ein Drittel gesenkt habe. Das ist absolut nicht gut, aber immerhin weniger schlecht. Und das ist auf jeden Fall positiv zu bewerten.

Wenn wir wirklich Ernst machen wollen mit dem Klimaschutz, dann werden wir als Gesellschaft an der vermehrten Nutzung von Fahrrädern nicht vorbeikommen. Das wird vielen Konzernen und Automobilisten nicht schmecken. Aber ein "Weiter so" wird uns immer schneller an die Kipppunkte bringen, an denen das Klima sich zu unser aller Nachteil unwiderruflich  weiter verändert. Und das wird uns nicht nur nicht schmecken, sondern große wirtschaftliche Schäden verursachen und viele Menschen in der Zukunft umbringen."

Marie-Louise Puls: "Ich unterstelle den Organisator:innen mit Bedacht den Sonntag Vormittag gewählt zu haben, da zu diesem Zeitpunkt üblicherweise das geringste Verkehrsaufkommen herrscht und die Gefahr von Staubildung mit dieser bewussten Entscheidung gering gehalten wurde. Die Demo richtete sich gegen den weiteren Autobahnausbau, nicht gegen Sie persönlich als Fahrzeughalter. Deutschland hat das Viertlängste Autobahnnetz der Erde - Autobahn gibt es also bereits mehr als genug. Wie sie richtig angemerkt haben, macht das Fahren mit der Bahn einfach so gar keinen Spaß, wenn wir nicht gerade von (Groß)Stadt zu (Groß)Stadt unterwegs sind. Einen Besuch meiner Heimatstadt im Münsterland, mit zwei kleinen Kindern, brauche ich mit der Bahn bisher gar nicht zu versuchen: Eine Strecke von etwa 300km bewältige ich mit unserem kleinen Mittelklasseauto bei moderater Reisegeschwindigkeit (120km/h) und mäßigem Verkehr in 3 bis 3,5 Std. Mit der DB sind wir 4,5 Std unterwegs - unter der Bedingung, dass alle 3(!) Umstiege in dieser Zeit wie geschmiert laufen, was ja leider eher selten zutrifft. Wenn wir uns lediglich einen Umstieg geben wollen, fahren wir dafür dann gleich ganze 5Std. und zahlen für die zusätzliche Fahrtzeit auch gleich nahezu das doppelte. Von dem Projekt den Güterverkehr auf Schienen zu verlagern, das neben dem Klima auch unser aller Nerven schonen würde, mal ganz zu schweigen. Aber das stagniert ja leider auch.

Die Verkehrswende aber steht genau dafür. Niemand will Ihnen das Auto wegnehmen, aber die alternativen Verkehrswege gehören gleichberechtigt ausgebaut - ebend damit Bahnreisen wirklich komfortabel und leistbar sind (sowohl finanziell als auch zeitlich!) und mehr Menschen Fahrrad fahren, ohne im Stadtverkehr um ihr Leben fürchten zu müssen. Obwohl ich selbst nicht dabei sein konnte, sind mir viele der Demonstrant*innen vom Sonntag p ersönlich bekannt - mein Mann und mein Kind waren übrigens auch dabei. Unter ihnen sind viele Alltagsrasfahrer*innen, die halt nicht nur für die nette Tour über die A7 das Rad nutzen, sondern wirklich wissen wo in Fulda der Radverkehr hakt. Und als letztes: Eine Demonstration gegen den Autobahnausbau macht vor allem dann Sinn und schafft vor allem dann Aufmerksamkeit, wenn diese dann auch am Ort des Geschehens stattfinden kann. Das hat der hessische Verwaltungsgerichtshof verstanden und deshalb genau diesen Demonstartionszug erlaubt, den der LK Fulda so gern verbieten wollte."

Monika R.: "Ich besitze kein Auto und ärgere mich persönlich über schlechte Busverbindungen ect.
Allerdings habe ich mich genau aus diesen Gründen an der Demo beteiligt. Übrigens auch ich fliege nicht in den Urlaub oder gehe auf eine Kreuzfahrt. Mir geht es auch nicht darum etwas auf anderer Rücken auszutragen nur leben wir in einer Zeit in der du komisch angeschaut wirst wenn du kein Auto fährst. Übrigens Staus gibt es täglich aus unerfreulicheren Gründen (Raser) zb. Eine bitte hätte ich noch Rad und Fußwege sind keine Parkplätze.
Ich denke wenn nicht jeder nur in seiner Kategorie denkt wären wir schon weiter."

Ulrich Mühling: "Jedes Jahr erhöht sich die Anzahl der Unfälle zwischen Rad- und Autofahrern. Es fehlen sichere Fahrradwege. Viele Radwege werden innerorts von Autos zugeparkt. Oft besteht eine große Gefahr für Fahrradfahrer (besonders Kinder). Autos haben viele Sicherheitssysteme für die Insassen. Der Radfahrer dagegen nimmt bei jeder Fahrt ein hohes Risiko auf sich. Es geht um Menschenleben – Nicht um neu gekaufte Regenjacken."

Klaus H. Fischer: "Natürlich ist es ein erheblicher Eingriff, wenn ein Autobahnabschnitt oder eine Straße wegen einer Fahrraddemo gesperrt wird, aber wieviel unendlich mehr Staus entstehen durch das Fehlverhalten mancher Autofahrer selbst? Da wird rücksichtslos gedrängelt, risikoreich überholt und wenn es dann zu einem Unfall gekommen ist das Handy "gezückt" um ja nichts zu verpassen. Stau auf der gegenüberliegenden Fahrbahn durch Gaffer hört man dann nur alszu oft in den Verkehrsmeldungen. Das Radfahrer keine "Engel" sind, zeigt sich auch jeden Tag. Da werden Gehwege befahren, obwohl das dafür erlaubte Alter der Radfahrer bereits Jahrzehnte überschritten ist.

Da "rauschen" rücksichtslose Radfahrer an älteren Mitbürgern vorbei, das diese sich in höchstem Maße verunsichert fühlen. Eigentlich ist es doch "ganz einfach" in § 1 der StVO geregelt: Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht. Wer am Verkehr teilnimmt hat sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Und wenn ein höchstes Gericht so eine Fahrraddemo genehmigt, dann darf es aus berechtigtem Grund, sogar einmal auf der Autobahn sein."

Matthias Söhlke: "Die Demonstration fand für eine Mobilitätswende und den Ausbau der Radinfrastruktur in Anbetracht der umwelttechnischen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft statt und es ging, soweit ich alle Redebeiträge mitbekommen habe, nicht darum, das Auto ansich madig zu machen. Viele der Teilnehmer:innen fahren selber Auto und brauchen es genauso wie Sie im Alltag. Kern des Anlasses war ein Hinwirken auf ein Umdenken in Sachen Mobilität, die den ÖPNV, Radverkehr und Fußverkehr gleichermaßen mit einbezieht und die durchaus berechtigte Frage stellt, ob dem Auto weiterhin sowohl im öffentlichen Raum als auch in allen planungstechnischen Belangen der Vorzug gegeben werden muss. Diese Frage ist zweifelsohne berechtigt.

Im Alltag ist es ein Graus, sich mit dem Fahrrad zumindest im Fuldaer Stadtraum zu bewegen, verbunden mit hohem Gesundheitsrisiko durch nicht vorhandenen Radwegestruktur (bitte die Strichmalereien auf dem Asphalt nicht mit Radwegen verwechseln!). Der Hintergrund dafür ist vielfach in fehlendem politischen Willen der Verantwortlichen und mangelnder Kompetenz der Planungsstäbe zu finden. Anders kann ich mir die katastrophale Situation nicht erklären. Ich selber habe das "Glück", sowohl in der Stadt zu wohnen und auch zu arbeiten, so dass ich täglich - Sommer wie Winter - mit dem Rad zur Arbeit fahren kann und deshalb bereits vor Jahren mein Alltagsauto abgeschafft habe und nur noch ein Oldtimer-Wohnmobil besitze. Deshalb nehme ich mir durchaus heraus, die Wegestruktur gut beurteilen zu können.

Nun zur Autobahn. Eine Fahrraddemonstration, die nur auf städtischem Gebiet stattgefunden hätte, würde sicherlich nicht solche Wellen schlagen. Dass aber mit der Benutzung der Autobahn auch darauf hingewiesen werden sollte, den zukünftigen Ausbau der Autobahnen angesichts der Umweltproblematiken kritisch zu hinterfragen (so zumindest auch der bundesweite Anlaß des Aktionstages), kam im Vorfeld sicherlich zu wenig rüber. Und dass die Autobahn für einen kurzen Zeitraum gesperrt wurde und dadurch ein nicht nennenswerter Stau wegen gut geplanter Umleitungen angefallen ist, hat weniger mit ein paar Radfahrer:innen zu tun. In der Regel schaffen das Autofahrende täglich dutzendfach von ganz alleine. Nein, der eigentliche Aufreger scheint mir eher in der Psychologie zu liegen. Das letzte Refugium des motorisierten Strassenverkehrs wird angekratzt und hier machen sich Verlustängste breit. Fachleute mögen mich berichtigen, ich glaube dennoch, nicht zuletzt aufgrund der teils hohen Aggressivität zahlreicher Kommentator:innen auf der ON-facebook-Seite, spricht hier eher das ängstliche innere Kind statt des sachlich gebliebenen Erwachsenen.

Aber ich gebe Ihnen natürlich recht in der Hinsicht, bei sich selber anzufangen, eigenes Konsum- und Mobilitätsverhalten zu hinterfragen, bewußter mit den Ressourcen umzugehen und damit zumindest ein Stück weit zur Verbesserung der Umweltsituation beizutragen. Und ich gebe Ihnen auch völlig recht in Ihrer umweltbedenklichen Beurteilung der Elektroautos. Und: ach ja, mein Fahrrad hat nach dreißig Jahren sicherlich eine ganz gute Ökobilanz."

Und wie argumentieren die Kritiker der Fahrraddemo auf der Autobahn? Bilden Sie sich Ihr eigenes Urteil und lesen Sie auch die Negativ-Kommentare. (tby) +++


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