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Wahlkampf auf dem Uniplatz - Fotos: Privat

REGION Bündnis90/Die Grünen-Direktkandidatin

Von Piatra Neamt nach Berlin: Gianina Zimmermann

14.09.21 - Der Plenarsaal des Bundestags ist uns allen vertraut, mit seinen blauen Sesseln, dem Adler über dem Rednerpult, der Regierungsbank dahinter, und oben der Zuschauergalerie. Der Bundestag repräsentiert das deutsche Volk. Aber – tut er das wirklich? Im Bundestag sitzen ca. 80 Prozent Akademiker. Bundesweiter Durchschnitt: 20 Prozent. ca. 8 Prozent Abgeordnete mit Migrationshintergrund. Bundesweiter Durchschnitt: 22 Prozent. Ca. 31 Prozent Frauen. Bundesweiter Durchschnitt: 50,7 Prozent.

Von Piatra Neamt nach Berlin

Warum erzähle ich Ihnen das? Weil Gianina Zimmermann nicht nur eine fachlich versierte Abgeordnete wäre, sie würde auch bei den genannten drei Faktoren für eine Verbesserung der Verhältnisse sorgen: Sie ist eine Frau, sie ist keine Akademikerin, und geboren wurde sie in Rumänien.

Gianina Zimmermann und Robert Habeck auf dem Uniplatz

Bundestagskandidatin für den Wahlkreis 174.

1989, im Jahr der politischen Umbrüche in Europa, war sie 19 und arbeitete als Krankenschwester in Piatra Neamt. Sie hatte ein Ziel, "ich wollte die Freiheit erfahren". Denn in Rumänien stand man immer unter Beobachtung und Bespitzelung. Im Januar 1990 buchte sie eine Busreise nach Deutschland, war in Ostberlin und Karl-Marx-Stadt. Sie lernt eine deutsche Familie kennen, die ihr sagt: Mensch, bleib doch hier, in Deutschland fehlen an allen Ecken und Enden Pflegekräfte. Gianina aber nimmt sich Bedenkzeit. "Ich habe mich gefragt, warum bist Du dieser Familie begegnet? Zufälle gibt es nicht, das sollte wohl so sein!" "Antriebs-Agenten" nennt sie das später im Gespräch, Menschen oder Situationen, die sie immer wieder weitergestupst haben. Sie kauft ein One-Way-Ticket nach Schöneberg/Ostberlin und eröffnet ihren Eltern, für immer nach Deutschland gehen zu wollen. Denen verschlägt es erst mal die Sprache.

"Uns ging es nicht schlecht, wir waren eine typische rumänische Mittelstandsfamilie, mein Vater arbeitete bei der Bank, meine Mutter war Sekretärin. Ich war das einzige Kind und wuchs sehr behütet auf", erzählt sie. "Bei uns schreibt man Familie ganz groß. Man hält zusammen, man kümmert sich, man hilft einander. Für meine Eltern war der Gedanke daran, dass ich mutterseelenallein in Deutschland bin, grässlich."  Von Deutschland wusste Gianina nicht viel, und Deutsch sprach sie auch nicht. "Ich wollte einfach frei sein, mein Leben selbst gestalten, ohne jemand bestechen zu müssen, ohne jemand Besonderes zu sein, ohne reich zu sein, ohne bespitzelt zu werden". Die ersten Tage wohnt sie bei der Familie, die sie auf ihrer Urlaubsreise kennengelernt hat. Deutsch lernt sie mit ntv und den Nachrichten, und mit Kreuzworträtseln. Der erste Einkauf in Deutschland? Turnschuhe. Aber solche mit bunten Schnürsenkeln. Und dann beginnt sie damit, ihr neues Leben in Deutschland zu organisieren.

Auf Wahlkampftour

Im Welcome In!, Robert-Kircher-Str.25, Fulda – mit Ahmad Bayan, Jochen Kohler und ...

Mit MdL Markus Hofmann auf der Sommer-Tour

Nachdenklich meint Gianina Zimmermann: "Ich war stolz auf mich, denn ich habe alles allein geschafft. Ich bin schon ein Glückskind. Denn ich bin gekommen, weil ich wollte." Im Alltag jener ersten Jahre sieht sie viele Parallelen zum Alltag von Menschen, die heute aus Not, wegen Krieg und Verfolgung nach Deutschland kommen. "Ich bin immer mit der Überzeugung rangegangen: Ich muss erst etwas leisten, bevor ich etwas beanspruchen kann – so bin ich auch erzogen worden."

Die große Liebe kommt beim Grillen

Die erste berufliche Station wird Hannover. Dort arbeitet Gianina Zimmermann in der Altenpflege. Und lernt ihren Mann kennen, und wie die beiden zueinander finden, das möchte ich Ihnen nicht verschweigen. Gianinas Mann arbeitete im Rettungsdienst. Man sah sich immer wieder, beim Schichtwechsel, den Nachtdiensten, in der Kantine. Er wollte mit ihr essen gehen, sie lehnte ab. Aber davon lässt sich ein wirklich verliebter Mann ja nicht entmutigen. Ein paar Tage später schlägt er ihr vor, grillen zu gehen, er habe ein paar Freunde eingeladen. Da sagt sie ja. "Ich habe erst Wochen später erfahren, dass er dieses Grillen nur für mich veranstaltet hat. Er hat alle Freunde zusammengetrommelt, die er hatte, alle mussten kommen, nur damit ich komme!" Im Dezember 1994 heiraten die beiden.

Mit Walter Rammler, grünem Fuldaer Urgestein

Geschafft, der Wahlkampfstand am Uniplatz ist abgebaut. Mit Volker Büchel, Omar ...

In Emmas Unverpacktladen, Am Luckenberg 1, Fulda

Der nächste Jobwechsel führt beide 1997 nach Kelkheim im Taunus. "Wir fanden beide innerhalb von zwei Wochen neue Jobs – und sogar eine Wohnung. "Ich konnte mir aussuchen, wo ich arbeiten wollte, der Pflegenotstand war damals so hoch wie heute". Der neue Arbeitgeber ist das Städtische Klinikum in Höchst, wo Gianina Zimmermann bis heute Vollzeit arbeitet. Sie macht eine berufsbegleitende Ausbildung zur Heimleitung. Dann, zwischen den beiden Kindern und wieder berufsbegleitend, die Ausbildung zur Gesundheits- und Sozialökonomin bei der VGA in Frankfurt. Das kostet nicht nur Zeit, sondern auch Geld, und das war bei der jungen Familie immer knapp. "Wir gingen zur Bank, um uns etwas zu leihen, schon der Umzug hatte ja viel gekostet. Und die sagten mir: "Sie haben alles in Schule und Weiterbildung investiert, das imponiert uns – selbstverständlich bekommen Sie einen Kredit". Elternzeit hat sie nie genommen, nur den Mutterschutz – sie und ihr Mann teilen sich die Erziehungs- und Haushaltsarbeit auf. "Ich habe immer und durchgängig gearbeitet, auch, weil wir das Geld wirklich gebraucht haben", sagt sie.

Was man nicht sieht, gibt es nicht

Zu dieser Zeit wächst auch Gianinas Interesse an Politik. Die Schwiegermutter ist engagiert bei der SPD, Gianina geht zu den Grünen. 2006 wird sie zur Frauenbeauftragten des Klinikums gewählt. "So ein Job ist per se politisch. Jede Veränderung draußen verändert ja auch die Arbeitsverhältnisse, hat Auswirkungen auf die Leistung jedes Einzelnen und des gesamten Klinikums." Ein Jobprofil für Frauenbeauftragte gibt es bis heute nicht. Wer diese Aufgabe übernimmt, muss in allen Bereichen auf Augenhöhe unterwegs sein. "Man gestaltet mit, berät, unterstützt, aber man ist auch bei vielem allein, denn die automatische Rückendeckung durch Gremien oder Ämter hat man ja eben nicht!", erzählt sie. Ein Job also, der viel Diplomatie und Kommunikationsgeschick verlangt.

Im VeloCulTour, Neuhof. Mit den beiden MdL Markus Hofmann und Silvia Brünnel ...

"In meinem Leben gab es immer wieder Menschen, die mir Chancen gezeigt haben, die für Antrieb gesorgt haben. Was man nicht sieht, gibt es nicht – und das meine ich auch politisch. Sehen schafft Bewusstsein, und andersherum gilt das auch". Richtig ist aber auch, dass man Chancen ergreifen muss und vor Veränderungen nicht ängstlich in die Knie gehen darf. "Ich hatte wirklich überhaupt keine Ahnung, wie man eine Wahl gewinnt. Als Frauenbeauftragte wirst Du ja gewählt, und du musst gewinnen. Ich habe also mehrsprachige Flyer gemacht, bin auf die Stationen gegangen, habe mit den Frauen geredet. Und dann war der Wahltag, und ich habe zum ersten Mal vor so vielen Menschen reden müssen. Ich habe nur einen Satz rausbekommen, aber ich habe es geschafft. Das war meine allererste politische Handlung."

Merken Sie was? Wenn Gianina über Politik erzählt, dann liegt der Fokus auf ihrem Leben und ihrer Arbeit, und auf dem Einsatz für die Menschen. Dabei könnte sie mir eine beträchtliche Zahl politisch durchaus schmückender Positionen aufzählen:  Stadtverordnete in Kelkheim, Initiatorin des regionalen Frauennetzwerks "Taunusfrauen", Ortsverbandsvorsitzende der Grünen in Kelkheim, Delegierte für den Hessischen Frauenrat, Kreistagsabgeordnete für den Main-Taunus-Kreis, Frauenpolitische Sprecherin des hessischen Landesvorstands der Grünen. Sie spricht über Menschen. Und über das, was sie tut, richtig und wirklich tut.

Meine Heimat ist Deutschland

"Als ich auf Deutsch zu träumen begann, wusste ich, ich bin angekommen. Nur beim Zählen brauche ich meine Muttersprache", lacht sie. Ich will wissen, was sie aus Rumänien nach Deutschland mitgebracht hat. Da muss sie ein wenig überlegen, denn "vieles ist hier doch genauso wie in Rumänien". Aber dann fällt es ihr doch ein: "Das offene Haus! Mein Papa hat immer gesagt, der Kühlschrank muss voll sein, es könnte ja jemand vorbeikommen, der Hunger hat. Das hat mich geprägt. Bei mir gibt es immer was, und bei mir muss man sich nicht vorher anmelden. Das wundert mich bis heute, dass man sich in Deutschland anmelden muss, wenn man auf einen Kaffee oder Kuchen vorbeikommt!"

Und noch etwas hat sie mitgebracht, scheint mir – der Respekt vor dem Alter. "Alter bedeutet Lebensleistung", sagt Gianina mir. "Alter ist keine Krankheit" Wer heute alt ist, hat viel für seine Familie und für sein Land getan, und das sollte man liebe- und respektvoll anerkennen. Das fehlt mir in Deutschland manchmal ein wenig, da wird oft so getan, als wären "die Alten" das alte Eisen und man müsse sie deshalb nicht mehr beachten. So kann ich nicht denken!" Das ist überhaupt etwas, was Gianina Zimmermann auf die Palme bringt – wenn man verurteilt, wenn man aburteilt, wenn man anderen mit Vorurteilen begegnet.

Manche politisch gängigen Begriffe kommen Gianina nicht über die Lippen. "Schlagworte sprechen sich leicht", meint sie. "Aber was steckt wirklich dahinter? Manchmal frage ich mich bei einigen Politikern schon, ob sie noch wissen, wie der Alltag einer Familie mit zwei Kinder aussieht, was die Mehrheit der Menschen für die Alterssicherung wirklich beiseitelegen kann und was ein Päckchen Butter kostet. Ich möchte weiter nahe bei den Menschen sein." (Jutta Hamberger) +++


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