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Julia Fischer (l.) und am Klavier Yulianna Avdeeva - Alle Fotos: Martin Engel

Fulda Überbordend leidenschaftliche Kammermusik

Weltstars Julia Fischer und Yulianna Avdeeva begeistern im Fürstensaal

12.11.21 - Am Donnerstag traten beim Konzertabend im Fürstensaal mit Yulia Avdeeva und Julia Fischer zwei großartige Solistinnen und internationale Stars auf, die sich in Sachen Können, Ausstrahlung, Ausdruck und Dynamik in nichts nachstehen.

Weltstars im Fürstensaal

Yulia Avdeeva (Jahrgang 1985) und Julia Fischer (Jahrgang 1983) haben ein tiefes gemeinsames Musikverständnis. In ihrem Youtube-Video zu diesem Konzertprogramm (Link unten) erzählen sie, sie hätten das Glück mehrerer gemeinsamer Proben miteinander gehabt. Das hört man an diesem Abend bei allen vier Stücken, die sie ausgesucht haben. "Die beiden sind einander technisch und musikalisch gewachsen", schrieb die SZ in ihrer Konzertkritik am 07. März 2018 – auch da ein mit "Virtuosen-Exzessen aller Art" gespicktes Programm (Brahms, Szymanowski, Schostakowitsch).

Die diesjährige Konzerttournee der beiden führt durch 9 Städte – Bozen, Lyon, Fulda, Ingelheim, Zürich, Lugano, Bern, London und München. Fulda mittendrin – ein großes Danke an Christoph Stibor, der die beiden Künstlerinnen in den Fürstensaal geholt hat.

Der Höhepunkt: Meisterwerk eines weitgehend Unbekannten

Über die Dramaturgie des Konzerts kann man reden, man könnte auch sagen, sie war eigenwillig. Zwei Höhepunkte und zwei Durchschnaufer, gewissermaßen – mit sehr unterschiedlicher Wirkung auf das Publikum.

Beginnen wir mit dem Höhepunkt, dem zweiten Stück des Abends, George Enescus Sonate für Violine und Klavier in f-moll, op.6 No.2. Wieviel rumänische Musik haben Sie schon in Konzertsälen gehört? Eben – wenig, sehr wenig. Ich bin mir relativ sicher, dass Enescu in Fulda in den letzten 20 Jahren nie gespielt wurde. Für das Fuldaer Publikum also ein Komponist, den es zu entdecken gilt! Enescu war ein äußerst vielseitiger Musiker – Komponist, Dirigent, Geiger und Pianist. Und dass er diese beiden Instrumente so beherrscht, war der Sonate in jedem Ton anzumerken. Er vollendete sie 1899 und sah sie als das Werk an, mit dem er seine eigene musikalische Stimme gefunden hatte.

Auch für Julia Fischer war es das erste Mal, dass sie die Sonate in einem Konzert spielte. Und doch führt eine persönliche Linie von ihr zu diesem Komponisten. Ihre Geigenlehrerin, Anna Chumachenco, war eine Menuhin-Schülerin, und der wiederum studierte bei Enescu, "der Name war mir also seit Jahren vertraut." Die Atmosphäre im Fürstensaal lud sich in Sekunden elektrisch auf, jetzt waren die beiden Musikerinnen sichtlich in ihrem Element.

"Es gibt wenige Sonaten, in denen die Breite der Emotionen so ausgeschöpft wird", erklärt Julia Fischer. Der erste Satz ist sanft, traurig und dramatisch, "es ist ein bisschen wie ein Horrorfilm, wo man die Tür öffnet und nicht weiß, ob man gleich sterben wird". Innerhalb weniger Noten wandert die Musik durch verschiedene Tonarten. "Er muss ein sehr leidenschaftlicher Mann gewesen sein", sind beide Musikerinnen überzeugt. Der zweite Satz beginne wie eine Geschichte, die man sich abends am Kamin erzähle, er sei eher melancholisch. Der dritte Satz gleiche einer Zugfahrt, man schaue hinaus aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft. "Für mich ist ein großer Komponist nicht der, der die meisten Themen und Motive hat, sondern einer, der am kunstvollsten mit wenigen Themen umgeht", erklärt Julia Fischer.

Das Stück, das für beide Solistinnen große Schwierigkeiten bereithält, bot Gelegenheit, Julia Fischer "technisch" zu beobachten – und das ist ein Hochgenuss. In der Pause sprach ich mit zwei Geigern, und wir waren uns einig: Wir könnten ihr stundenlang zusehen (und zuhören). Julia Fischer führt den Bogen mit derart sicherer, ruhiger Hand, kraftvoll und schwebend zugleich, man kann gar nicht anders, als hinzuschauen. Es ist ein Hochgenuss, diese Frau an der Geige zu sehen.

Ein Stück für Teufelsgeigerinnen

Ravels Konzert-Rhapsodie Tzigane entstand 1924. Die Einflüsse der sog. Zigeunermusik sind unverkennbar, und auch wenn das Wort heute kaum noch gebraucht wird oder werden soll – es gibt nun mal einen Unterschied zwischen der Musik der Sinti und Roma und der ungarischen Tzigane-Musik, die diese Rhapsodie prägt. Ravel verbrachte Tage mit der ungarischen Geigerin Jelly d’Arányi, die ihm Musik in der Tradition der ungarischen Tziganes vorspielte. Ravel war begeistert und versprach ihr, er werde ihr ein Stück dazu schreiben.

Die Rhapsodie verlangt einer Geigerin alles, wirklich alles ab, was es an Schwierigkeiten gibt. Hier bewegen wir uns in der Gewichtsklasse Liszt, Paganini oder Saint- Saëns. Kein Wunder, dass es Geiger gibt, die vor der Tzigane Angst haben. Man kann es irgendwie verstehen. Und dann kommt Julia Fischer und spielt das Ding, als wäre es nichts. Mit dem Kopf weiß und begreift man, wie schwer es ist. Mit den Augen sieht man die unglaubliche Schnelligkeit und Gelenkigkeit der Finger. Und doch wirkt alles federleicht und natürlich. Und bringt das Publikum zum Rasen. Beifallsstürme bedankten die beiden am Ende dieses Abends, und es gab wohl manche, die sich gewünscht hätten, das Stück grad noch einmal zu hören. Als Zugabe wählten Fischer und Avdeeva aber den 3. Satz aus Schumanns Sonate No. 1 in a-moll für Klavier und Violine. Auch schön.

Geiger-Chinesisch

Dann kommt hier eine kleine Geigenkunde – all das haben Sie in diesem Konzert und besonders in der Tzigane hören / sehen können:

- Tempiwechsel: rasend schnelle Wechsel zwischen langsam und schnell, quasi Tempo 30 und 200 innerhalb weniger Noten.
- Pizzicato: Man spielt die Töne nicht mit dem Bogen, sondern zupft sie.
- Flageoletts: das sind die ganz hohen Töne, wenn man die Saite am Griffbrett zum Schwingen bringt. Ein Flageolett kann schon mal für Ohrensausen sorgen, weil es wirklich sehr, sehr, sehr hoch ist.
- Doppelgriffe: man spielt zwei nebeneinander liegende Saiten – eine gute Vorübung zum viergriffigen Akkord.
- Viergriffige Akkorde: so was wie das Asana Herabschauender Hund für Geiger, sehr geeignet, um sich die Finger auszurenken. Und ja, vier Töne gleichzeitig, mit einer Hand.
- Triller: das schnelle Spiel zwischen einer Haupt- und einer Nebennote, die Hauptnote wird dabei mehrfach angeschlagen.
- Glissando: dabei verändert man die Tonhöhe gleitend – auf einer Gitarre sind das die Slides. Ich wette, das kennen Sie aus dem Kino, ein Glissando kommt gern dann, wenn es spannend wird.
- Rasend schnelle Läufe: Hier muss der Kopf den Finger immer schon die eine Note weiter auf dem Griffbrett denken. Auf der Gitarre sind das die Riffs.

Julia Fischer spielte auf einer Geige von Giovanni Battista Guadagnini, ein Instrument aus dem Jahr 1742. Seine Geigen, besonders die aus seiner letzten Schaffensphase, sind ebenso begehrt und teuer wie die von Stradivari, Guaneri und Amati. Und damit kennen Sie nun auch die legendärsten Geigenbauer-Namen. Warum sind diese Geigen so teuer und so begehrt? Weil sie einen unvergleichlichen Klang haben – reich und voll in den tiefen, leuchtend und klar in den hohen Tönen, niemals scharf und spitzig, immer warm und feurig. Doch, ja, man kann so eine Geige "hören" und, so Julia Fischer, man spiele einfach anders auf so einem Instrument.

Auch noch auf dem Programm

Mit Mozarts Sonate für Violine und Klavier in Es-Dur, KV 481 eröffneten Fischer und Avdeeva das Konzert. Entstanden ist sie 1785, in den Wiener Jahren, als Mozart sich als selbständiger Künstler etablierten wollte und musste. Die Klaviersonate war damals ein populäres Genre, Mozart konnte also hoffen, damit auch Geld zu verdienen. Es ist ein schönes Stück, mir ein wenig zu gefällig. Wie eigentlich immer bei Mozart ist der langsame Mittelsatz besonders schön. Dennoch schien mir, diese Sonate war an diesem Abend das Werk zum Warmspielen – alles war nett, aber gepackt hatte es da noch keinen Zuhörer.

Vor der Tzigane und nach der Pause stand die Sonate No. 1 in G-Dur, op. 78 von Brahms auf dem Programm, entstanden 1878. Die Sonate schwingt zwischen Dur und Moll und hat insgesamt eine recht melancholische Stimmung. Das gilt besonders für den langsamen Mittelsatz, eine Hommage an Felix Schumann (den

Sohn von Clara und Robert Schumann), der ein talentierter Geiger und das Patenkind von Brahms war. Er verstarb tragisch an Tuberkulose – und mindestens der zweite Satz ist ein Memento für ihn. Es ist ein schönes Stück, aber nach dem Enescu’schen Gipfelsturm wirkte es doch etwas schal.

Konzert verpasst – hier reinschnuppern

Wenn Sie das Highlight des gestrigen Konzertabends nacherleben wollen oder es gestern wegen Bronzeller Kreisel und Bombensprengung nicht in den Fürstensaal geschafft haben, schauen Sie doch mal hier rein. Fischer und Avdeeva sprechen über die Enescu-Sonate – und ja, es gibt auch diverse Hörproben – man versteht die Sonate danach viel besser: https://www.youtube.com/watch?v=3N-WHFwO3xM (Jutta Hamberger)+++


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