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Bereits im Herbst 1890 - also drei Jahre vor Erscheinen der Winnetou-Trilogie - erschien in der Fuldaer Zeitung eine Episode aus dem späteren Buch "Winnetou III". - Foto: picture-alliance/dpa, Collage: Matthias Witzel

IM WILDEN WESTEN Keine Lust auf Füllwörter

"Ave Maria": Wie sich ein Fuldaer Redakteur ins Buch "Winnetou III" einschlich

26.12.21 - "Es ging ein Zucken und Zittern durch seinen Körper, ein Blutstrom quoll aus seinem Mund. Der Häuptling der Apachen drückte nochmals meine Hände und streckte seine Glieder. Dann lösten sich seine Finger langsam von den meinigen – er war tot." Ach, ist das schön traurig!

Rotz und Wasser haben Generationen von Karl-May-Lesern geheult, als Winnetou aus den Armen seines Blutsbruders Old Shatterhand in die ewigen Jagdgründe hinüberglitt. Lang ist’s her. Mit einem der grün gebundenen Bände aus dem Karl-May-Verlag unterm Weihnachtsbaum kann man heute nur noch die wenigsten jungen Leser begeistern. Wenn überhaupt, dann kennen sie Winnetou nur noch aus den 60er-Jahre-Filmen mit dem – rein optisch betrachtet – stilbildenden Pierre Brice und Lex Barker, der beim Nachdenken so schön angestrengt mit den Kieferknochen malmte.

Karl May © Erwin Raupp

Ausschnitt vom Buch-Cover zu "Weihnacht" (Band 24)

Trotz malerischer Landschaftsaufnahmen und schwelgerischer Musik wurde die Reihe nach dem fulminanten Auftakt mit "Der Schatz im Silbersee" immer schwächer, was auch daran lag, dass die Filme drehbuchmäßig kaum noch was mit der literarischen Vorlage zu tun hatten. Und wer beim Filmemachen die Faszination des Abenteuers einfach ignoriert, die zuallererst die Attraktion dieser Bücher ausmacht, sowie die atemlose Spannung, mit der hinter weißen Schurken und bösen Indianern hergejagt wird, dem bleiben halt irgendwann die Zuschauer weg.

Die Winnetou-Trilogie gilt als eine der wesentlichen Organisations-Zentren im riesigen Schaffenswerk von Karl May und erschien im Jahr 1893 auf Anraten dessen Verlegers Friedrich Ernst Fehsenfeld. Der sächsische Schriftsteller sollte früher geschriebene Wildwest-Kurzgeschichten zu einer Romanreihe zusammenfügen, so der Auftrag. Gesagt, getan: May schrieb "Winnetou I", in dem aus dem edlen Häuptlingssohn und Old Shatterhand (= Karl May) aus erbitterten Gegnern Blutsbrüder werden, fast komplett neu, komponierte aber die Bände II und III aus altem Material, das er umfassend bearbeitete.

Auch die oben zitierte Sterbeszene Winnetous erschien bereits 1883 – also zehn Jahre vor der Trilogie – in der Erzählung "Im 'wilden Westen' Nordamerikas" zunächst in einer Kölner Familienzeitschrift und wurde unter dem Titel "Ave Maria" im September und Oktober 1890 noch einmal in der Fuldaer Zeitung abgedruckt. Womit wir in unserer kleinen literarischen Abhandlung endlich bei der geheimnisumwitterten Frage angelangt wären: Wie konnte es ausgerechnet ein Fuldaer Redakteur schaffen, sich ins Buch "Winnetou III" einzuschleichen?

Ausschnitt vom Buch-Cover zu "Winnetou I" (Band 7)

Ausschnitt vom Buch-Cover zu "Winnetou II" (Band 8)

Ausschnitt vom Buch-Cover zu "Winnetou III" (Band 9)

Bei der Niederschrift muss Karl May auf die Druckfassung der FZ zurückgegriffen haben, folgt er doch exakt deren Wortlaut, der sich in Nuancen vom Kölner Erstdruck unterscheidet. "Es erscheint offensichtlich, dass der Redakteur der Fuldaer Zeitung kein Freund von dem war, was man als 'Füllwörter' bezeichnen könnte", weiß die Karl-May-Forschung. "Immer da, wo ihm der Sinn eindeutig schien, ließ er in seinen Augen Überflüssiges weg. Man könnte sogar argumentieren, dass die Fassung von 1890 in diesen kleinen Details direkter und angenehmer lesbar ist als der stilistisch manchmal etwas umständliche Kölner Text."

Die Abweichungen der beiden Versionen beschränken sich auf die Streichung weniger Wörter. 1883 heißt es "… daß er zusammenbricht und stundenlang besinnungslos liegen bleibt"; 1890 und in der Buchausgabe fehlt das Wort "besinnungslos". In der Kölner Fassung findet sich der Satz: "Aber zu zweien läßt sich eine so beschwerliche und gefahrvolle Entdeckungsreise nicht ausführen." In der Fuldaer Fassung und im "Winnetou III" fehlt das Wörtchen "so". Stilistische Kleinigkeiten. Aber der Gedanke daran, dass auf Karl Mays Schreibtisch die Fuldaer Zeitung lag, als er mit dem "Winnetou" sein Schlüsselwerk verfasste, der hat schon etwas Aufregendes – "wenn ich mich nicht irre, hihihihi!" (Matthias Witzel) +++


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