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NACHGEDACHT (41)

Wollen Sie in der Kirche bleiben? - Gedanken von Chr. LEINWEBER

20.10.13 - Die Kirchenaustritte steigen an. Ist Tebartz-van Elst schuld? Ist die Kirche als Institution an sich schuld? Ich weiß es nicht genau, aber den meisten Menschen würden richtig viele Gründe einfallen, der Kirche den Rücken zuzukehren: Kreuzzüge, Hexenverbrennung, Missbrauchsfälle und aktuell Herr Tebartz-van Elst. Wahrscheinlich gibt es noch viel mehr zu bemängeln, die Liste ist nicht fertig. Aber heute versuche ich mal etwas anderes. Ich finde nämlich, dass es einfacher ist, etwas schlecht zu reden, als etwas gut zu reden oder positiv zu sehen. Ich möchte jetzt versuchen, einmal positive Aspekte für die Kirche zu finden. Das soll aber gleichzeitig nicht bedeuten, dass die negativen Aspekte wie der Missbrauch in der Kirche damit vergessen wären. Nein, diese stehen weiterhin unentschuldbar im Raum.

Wenn man jemanden nach einem Vortrag ein Feedback geben soll, sollte man zumeist mit dem anfangen, was gut gelaufen ist. Erst dann kommen die Dinge, die zu verbessern wären. Das mache ich jetzt mit der Kirche genauso. Ich gebe ihr ein kurzes, positives Feedback für die letzten 2000 Jahre, das negative ist omnipräsent und braucht – so denke ich – nicht erläutert werden.

Dass die Kirche die ersten Schriften und Evangelien so bedächtig und unermüdlich aufgehoben und weitergegeben hat, ist wirklich bemerkenswert. Die kanonisierte Bibel ist ein Meisterstück der Erzählkunst, ein Stück Kultur und ein Moralkatalog. Ohne diese Schriften wüsste heute niemand etwas von den großen Männern wie Mose und Abraham oder von den großen Frauen wie Elisabeth und Maria. Und das Beste natürlich: Ohne diese Schriften wüssten wir womöglich nichts von Jesus, von seinen Taten und Wundern.

Dass die Kirche mir die Wahl lässt, sie zu besuchen oder sie zu meiden, ist ein Stück von Freiheit für meinen Glauben, das ich für gesund halte. Es gibt Tage, da brauche ich nichts mehr als ein Gebet - ein stilles Gebet - in meinen vier Wänden. Und es gibt Tage, da brauche ich die Masse an Mitgläubigen, die genauso denkt wie ich, die genauso Ruhe sucht und Kraft für die Woche in einem Gottesdienst tanken will. Das ermöglicht mir die Kirche. Sie würde mir aber nie Sonntagsmorgens den Ortspfarrer nach Hause schicken, um mich aus dem Bett zu ziehen um zum Gottesdienst zu gehen. Ich kann frei glauben, frei in die Kirche gehen.

Und das ist eigentlich des Pudels Kern: Freiheit. Glaubensfreiheit. Die Kirche lässt uns in Deutschland und Europa wirklich frei sein. Das ist zwar dem Grundgesetz zu verdanken, aber trotzdem dürfen wir uns freuen. Um das zu verstehen, müssen sie nur einmal den Vergleich ziehen: Schauen Sie mal in den Nahen Osten, was da los ist: Dort basiert die Gesetzgebung auf dem Koran. Das würde für Deutschland bedeuten, weil hier am meisten Christen leben: Die Bibel ist unser Gesetz und nicht mehr das Grundgesetz. Na dann wäre aber einiges anders, wenn das Alte Testament für Christen gelten würde. So vorgesehen war das zwar nie, weil es für die Israeliten gedacht war, aber trotzdem ein verrückter Gedanke, solche „alten" Gesetze im 21. Jahrhundert gelten zu lassen - zum Beispiel Opferrituale oder Ernährungsanweisungen. Der Koran ist zwar etwas jünger als die Bibel – er stammt aus dem 7. Jahrhundert – aber adäquat für eine an die moderne Zeit angelehnte Gesetzgebung kann man das auch nicht nennen. Interessant aber: Ein Teil der 10 Gebote aus dem Alten Testament sind dennoch wichtiger Bestandteil in der Grundgesetzgebung und können auch heute noch als adäquat angesehen werden.

So gesehen bin ich doch recht froh, dass die Kirche meine „Privatsache" ist. Und dass ich Christin in einem demokratischen Land sein darf.  +++

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ZUR PERSON: Christina Leinweber, 1988 geboren in der osthessischen Bischofsstadt Fulda, neun Jahre katholisch-private Schulausbildung – so war der Weg zum Theologiestudium für sie vorbestimmt und beschlossen. Es ging dann für vier Jahre Studium in die nächste Bischofsstadt Paderborn - inzwischen hat sie ihr 1. Staatsexamen in der Tasche. Gleichzeitig ist sie Mitarbeiterin bei osthessen-news.de, bezeichnet sich selbst als liberal-theologisch und kommentiert (seit 41 Wochen) in der neuen Serie "NACHGEDACHT" Dinge des Alltags aus ihrer persönlichen Sicht. +++


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