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Es war einiges los am einstigen Grenzstreifen zwischen Franken und Thüringen. Zahlreiche Gäste und Besucher waren dabei, als Gerhard Sagasser und Hannes Anschütz sich am Fluchtort von 1960 trafen. - Fotos: Hanns Friedrich

25.04.12 - TRAPPSTADT

Bluff ermöglichte Flucht: Tränenreiches Wiedersehen nach 52 Jahren

Die einstige deutsch-deutsche Grenze ist in den letzten Tagen wieder in die Schlagzeilen der Medien gerutscht. Von Lebensgefahr durch Minen ist die Rede, von Altlasten des DDR-Regimes, das mehr als 40 Jahre lang seine Bürger durch Stacheldraht und Minen einsperrte. Nur wenige Flüchtlinge gelangten in den Westen. Dazu gehört Hannes Anschütz aus Schlechtsart in Thüringen. Nun traf ihn der ehemalige Beamte der bayerischen Grenzpolizei, Gerhard Sagasser (Passau) an der einstigen Grenze zwischen dem unterfränkischen Trappstadt und dem thüringischen Schlechtsart. Auf den Tag genau an der Stelle, an der die Flucht gelang.

Gerhard Sagasser und Hannes Anschütz lagen sich in den Armen. Die Tränen liefen ihnen über das Gesicht. „Wir sind zwei alte Männer und schämen uns deshalb aber nicht,“ sagt Gerhard Sagasser und Hannes Anschütz meint mit tränenerstickter Stimme, daß diese Begegnung die Emotionen hoch kommen läßt. „Ein unvergesslicher Moment, den wir beide ganz für uns allein hier erleben.“ Dann kommen natürlich die Erinnerungen und Gerhard Sagasser erzählt vom 22. April, einem Freitag, im Jahr 1960. Sagasser und sein Kollege Armin Richter waren gerade von der Streife zurück, als das Telefon klingelte. Ein Unbekannter kündigt eine Flucht aus dem DDR-Gebiet an. Die Grenzbeamten vermuten einen Schabernack, gingen dann aber doch an die Grenze bei Schlechtsart.

„Wir haben uns rangeschlichen, so daß die Grenzsoldaten uns nicht sehen konnten und bemerkten zwei Streifen aus Richtung Gompertshausen und aus Richtung Linden,“ erzählt Gerhard Sagasser. Plötzlich tuckert ein Traktor aus Richtung Linden heran und blieb stehen. Auf dem Traktor neben dem Fahrer zwei Kinder. Der Mann unterhält sich mit den Grenzsoldaten, dann gehen diese weiter. Als der Mann Richtung Westen schaut, steht Gerhard Sagasser auf. „Wie der mich sieht, springt er auf den Traktor und fährt mit Karacho gegen den Stacheldraht und eine Holzsperre auf bayerisches Gebiet.“ Gerhard Sagasser fordert den Mann auf, die Kinder zu packen und weiter in Richtung Westen zu laufen. Der macht ihm deutlich, daß sich jemand auf dem Anhänger versteckt hält. Unter dem Reisig des Anhängers kommt die Frau des Flüchtlings heraus.

In letzter Sekunde

Der bayerische Grenzpolizist fasst sich ein Herz, springt auf den Traktor und fährt ihn noch weiter auf bayerisches Gebiet. Im selben Moment kommen zwei Mannschaftstransportwagen. Jeweils zehn Mann springen herunter, die Waffe schussbereit in Richtung bayerische Grenze gerichtet. Eine brenzlige Situation, vor allem, wenn man heute weiß, wie Gerhard Sagasser und sein Kollege Armin Richter die DDR-Volkspolizisten geblufft haben. Hannes Anschütz weiß von einem Schuss und von Befehlen, die Gerhard Sagasser schrie. „Mein Kollege Armin Richter und ich haben vorgetäuscht, daß wir viele sind und haben geschrien "Sammeln", haben Befehle ausgegeben an imaginäre Personen, die gar nicht da waren.“ Das hat die DDR Soldaten verunsichert und sie haben sich nicht zu handeln getraut. Sagasser, Richter und die Flüchtlingsfamilie kamen so ungehindert nach Trappstadt.

Erinnerungen eines Flüchtlings

Hannes Anschütz berichtete das Geschehen aus seiner Sicht. Er hatte die Flucht vorbereitet und seinen Bruder gebeten, im Westen anzurufen. An der Grenze täuschte er einen Motorschaden am Traktor vor. Erst als er Gerhard Sagasser sah, fuhr er in den Westen, wobei er den etwas mehr als einen Meter hohen Drahtzaun niederwalzte. Bewegende Augenblicke, die die Angehörigen am einstigen Grenzstreifen noch einmal miterlebten. Die Kinder Sagassers hatten die Begegnung übrigens möglich gemacht, nachdem Opa Gerhard immer wieder von seiner Zeit als bayerischer Grenzpolizist erzählte. Die Kinder und Enkel forschten im Internet, fanden Trappstadt und Schlechtsart und einen Bericht über die Aufstellung eines Gedenksteins im Jahr 2010. Gerhard Sagasser war nun in Zugzwang, forschte weiter und bekam den Aufenthaltsort der Familie Anschütz und die Telefonnummer heraus. Dann stand dem Treffen, am 52. Jahrestag der Flucht nichts mehr im Wege.

Verständlich, daß zum Treffen nicht nur eine Grenzbegehung, sondern auch ein Dankgottesdienst und ein gemütliches Beisammensein dazu gehörte. Ebenso das Versprechen, die Verbindung nicht abreißen zu lassen. „Wir hoffen, daß wir uns noch recht lange zum Geburtstag gratulieren können, aber wir müssen uns auch bewusst sein, daß das was wir erlebt haben, wach gehalten werden muss,“ sagen beide übereinstimmend. Gerade den Kindern sei es heute nur schwer zu erklären, wie gefährlich das alles damals war und wie das war, als Deutschland durch Minen und Stacheldraht getrennt war und es den Todesstreifen gab. „Das kommt ja jetzt erst wieder so richtig hoch, wie gefährlich das alles überhaupt war. Aber wenn man so jung ist, wie ich damals mit 24 Jahren, da ist man noch draufgängerischer,“ sagt Hannes Anschütz und dann liegen sich Grenzer und Flüchtling von einst wieder in den Armen. Eine Grenz-Geschichte, die vor allem am Fluchtort selbst, wohl allen Beteiligten unter die Haut ging.+++


Gerhard Sagasser (2. v. links) und Hannes Anschütz (rechts) hatten sich viel zu erzählen. Immer wieder wurden sie nach der spektakulären Flucht am 22. April 1960 gefragt. 52 Jahre später trafen nun der ehemalige bayerische Grenzpolizist Sagasser und der damalige Flüchtling Anschütz aufeinander.

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