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12.10.12 - FULDA

"Patientenwille steht an erster Stelle" - Podiumsdiskussion der Palliativ-Stiftung

Experten aus den Bereichen Justiz, Pflege und Theologie diskutierten im Fuldaer Bonifatiushaus zum Thema „Rechtsfragen am Lebensende"In der Zielsetzung waren sich alle vier Referenten der Podiumsdiskussion „Rechtsfragen am Lebensende" der Deutschen PalliativStiftung im Bonifatiushaus Fulda einig: Der Patientenwille sollte – auf der Basis einer so genannten medizinischen Indikation – immer an erster Stelle stehen. Aber die Herangehensweisen und Schlussfolgerungen der Experten aus den Bereichen Justiz, Theologie und Pflege waren durchaus unterschiedlich.

Prof. Dr. jur. Ruth Rissing-van Saan, Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof a.D., argumentierte rein juristisch, in dem sie auf die entsprechenden gesetzlichen Regelungen im Patientenverfügungsgesetz und die Rechtsprechung des BHG verwies. Demnach bestehe nicht nur ein Anspruch eines Patienten auf eine effektive Schmerztherapie, sondern auch ein verbürgtes Recht auf ein selbstbestimmtes Leben sowie auf ein menschenwürdiges Sterben. „Das sind Rechte, die auch von Ärzten und Pflegepersonal respektiert werden müssen, selbst wenn es ihnen schwerfällt, den Willen des Betroffenen, nicht künstlich ernährt oder beatmet zu werden, umzusetzen und eine solche Maßnahme zu beenden, die vielleicht ursprünglich sogar mit dem (mutmaßlichen) Willen des Patienten begonnen wurde", sagte die 66-Jährige, die im Jahr 2010 selbst an einem wegweisenden BGH-Urteil zur Sterbehilfe mitgewirkt hat. Sie ergänzte: „Unsere Rechtsordnung kennt keine Zwangsbehandlung gegen den Willen des Patienten! Wer dies nicht beachtet, macht sich wegen Körperverletzung strafbar!" Nicht das medizinisch Machbare, sondern die sinnvolle, am Wohl des Patienten orientierte und seinem Willen entsprechende medizinische Behandlung sei rechtlich erlaubt.

Deutlich machte Rissing-van Saan jedoch auch die juristische Abgrenzung zur Tötung auf Verlangen, im Volksmund fälschlicherweise häufig Sterbehilfe genannt. Die deutsche Rechtsordnung setze auch dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten Grenzen, indem sie nach wie vor nicht erlaubt, einen anderen Menschen auf dessen Verlangen hin zu töten. Das verbietet § 216 StGB. „Jeder darf sich zwar selbst das Leben nehmen, aber kein Arzt, keine Pflegeperson, kein Angehöriger oder eine beliebige dritte Person darf der Bitte eines Patienten nachkommen, ihn gezielt zu töten. Das ist strafbar", so die Juristin, die sich dafür einsetzt, dass das vorhandene Wissen um rechtliche Rahmenbedingungen weiter verbreitet wird. „Die in der Praxis immer noch weit verbreitete Unkenntnis des geltenden Rechts bereitet nicht nur Angehörigen, sondern vor allem auch Ärzten und Pflegekräften in Entscheidungssituationen Schwierigkeiten. Sie haben oft Angst etwas zu tun, weil sie nicht wissen, wie sie sich richtigerweise verhalten sollen. Dann entscheiden sie lieber gar nichts und tun auch nichts, sondern lassen den Dingen ihren Lauf. Das ist fatal", meinte die pensionierte Bundesrichterin.

Auch Bettina Tews-Harms, Leiterin eines ambulanten Pflegedienstes in Niedersachsen mit Spezialisierter Ambulanter Palliativversorgung, ist der Ansicht, dass die Möglichkeiten der Palliativversorgung sowie die Rechtslage noch viel zu wenig bekannt sind. „Wir wissen heute auch genauer, welche Ängste sterbende Patienten in erster Linie bewegen: Am meisten verbreitet ist die Befürchtung, anderen zur Last zu fallen, gefolgt von der Sorge, von nahestehenden Menschen getrennt zu werden, und schließlich die Angst vor einem schmerzvollen Tod." Diese Ängste kann man Betroffenen durch Kommunikation jedoch. Davon ist Tews-Harms überzeugt. Denn in ihrer bisherigen Tätigkeit seit knapp zehn Jahren im Bereich Palliativversorgung habe sie von keinem Patienten, der palliativ versorgt wurde, den Wunsch nach „der erlösenden Spritze" gehört. „Der Wunsch nach aktiver Sterbehilfe ist das Resultat einer unzureichenden Aufklärung und Versorgungsstruktur sowie ungeklärter Rechtsfragen. Daran müssen wir dringend in der Gesellschaft arbeiten", so Tews-Harms.„Ich liege lieber mit zwei Beinen im Sarg, als mit einem Bein im Bett", so zitierte Wolfgang Putz eine seiner ersten Mandantinnen, die sich bei vollem Bewusstsein gegen weitere heilende Behandlungen juristisch wehrte. Die Patientin wollte die 17. Bypass-Operation in ihren Beinen nicht mehr. Gut ärztlich versorgt starb die ältere Frau kurze Zeit später an ihrem nächsten Beinverschluss. „Es war ihr Wille. Und der zählt", so der Münchener Rechtsanwalt, der deutschlandweit der führende Anwalt zum Thema Patientenrechte am Lebensende ist. Daher appellierte der Jurist an alle, eine Patientenverfügung anzufertigen. „Der Idealpatient weiß, was er will und sagt, was er will. Der Normalpatient weiß jedoch nicht, was er will und sagt es auch nicht oder kann es nicht mehr sagen. Und dann beginnen die Probleme."Vor einer Kontrollmanie auch beim Tod warnte Prof. Dr. Rupert Scheule: „Der Patientenwille ist das entscheidende Kriterium für alle ärztlichen und pflegerischen Maßnahmen auch an Sterbenden. Hinter diesen Standard führt kein Weg zurück. Wir sollten jedoch aufpassen, dass sich unsere Selbstbestimmung nicht vereinseitigt zur panischen ’death control’ entwickelt." Scheule, der an der Theologischen Fakultät in Fulda Moraltheologie und Christliche Sozialwissenschaften lehrt, betonte: „Wenn wir den Tod nicht mehr als Schicksal hinnehmen wollen, muss sich die Theologie zum Anwalt eines vollen Menschseins machen, das immer auch und ganz grundsätzlich passive Anteile einschließt: geboren werden und gebären, geliebt werden – und sterben."

Zudem verwies der Theologe auf eine seiner Meinung nach schwerwiegende Grauzone, die er – mit einem zielgerichteten Blick auf die anwesenden Juristen – zu klären bat. „Die Hospizbewegung hat bisher viel Einfühlsamkeit bewiesen für das diffizile Verhältnis von Passivität und Selbstbestimmung am Lebensende. Damit das so bleibt, sollte sie sich unter anderem abgrenzen von jener verschleierten Variante aktiver Sterbehilfe, die neuerdings unter dem Label „terminale Sedierung" firmiert. Diese muss auch rechtlich klar unterscheidbar bleiben von einer zulässigen, gegebenenfalls sogar gebotenen  ’palliativen Sedierung’."Im Anschluss entwickelte sich eine lebhafte, zum Teil hitzige Diskussion unter den Podiumsteilnehmern und dem Publikum im voll besetzten Saal. Moderiert wurde die Veranstaltung vom Medizinethiker und Mitglied im Stiftungsvorstand, Dr. Arnd May, der zwischen den Referenten und den Beiträgen geschickt vermittelte und die zum Teil für Laien komplizierten Fragen verständlich zusammenfasste.+++

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